KAPITEL ZWEI ㅡ long island getaway

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In ihrem Rücken versank die orangerote Scheibe langsam in der zahnigen Reliefstruktur der Stadt, sodass es beinahe den Anschein erweckte, als würde sie flackernde, gezackte Schatten durch die Rückscheibe in das Innere des Autos werfen

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In ihrem Rücken versank die orangerote Scheibe langsam in der zahnigen Reliefstruktur der Stadt, sodass es beinahe den Anschein erweckte, als würde sie flackernde, gezackte Schatten durch die Rückscheibe in das Innere des Autos werfen.

Jeongguk blickte durch den Seitenspiegel auf New York City zurück, oder auf diejenigen diffusen Lichtschablonen, die er zwischen den farbintensiven Tiefenfeldern ausmachen konnte. Aus der Ferne wirkte die Stadt seiner Kindheit beinahe unbedeutend; klein, schmächtig und unbeeindruckend – wie eine Spielzeugstadt, die weniger Mühe und Sorgfalt im Aufbau erfahren hatte, als eigentlich notwendig gewesen wäre. Es erschien ihm beinahe abstrus, dass ein Landstreifen, eine schlichte Halbinsel und ihre Randgebiete, solch einen Kultstatus erreichen konnten – dass es gesamte Generationen von Menschen gab, die New York zur Pilgerstätte ihrer Zukunft erklärt hatten, zum Hort ihres persönlichen Glücks; ihres Erfolgs.

Es gab wohl keine zweite Stadt auf der Welt, die solch ein Potential erfüllte wie New York City. Sie schien sie alle zu sich zu rufen; Hoffnungslose, Verlorene, Suchende, Erschöpfte, Ausgebeutete – schien sie mit den sanften Wogen des East Rivers zu begrüßen, mit der lindgrünen, ewig statischen, allzeit gütigen Lady Liberty dort draußen, auf einer der winzigen Inseln im Meer. Zumindest musste es seiner Mutter so ergangen sein, als sie Ende der Neunziger Jahre mit ihm unter dem Herzen das erste Mal Fuß in diese einschüchternde, furchteinflößende Stadt gesetzt hatte – der Landessprache nicht im Ansatz mächtig, ohne einen Pfennig in der Tasche und verängstigt, vor Furcht gelähmt vielmehr, dem entgegensehend, das sich ihr auf amerikanischen Boden eröffnen würde.

So ähnlich musste es auch Taehyungs Vorfahren gegangen sein; Jahrzehnte bevor Jeon Chaeyeon erstmals über den Bug eines Passagierschiffes auf die Integrationsbehörde zugestolpert war – den ersten Kims, die es jemals gewagt hatten, den Ozean zu überschiffen und auf der Flucht vor der japanischen Zwangsherrschaft im heimatlichen Korea in neuen Landen nach Glück und Verheißung zu suchen. Seine Mutter, Chaeyeon, hatte es zur Putzkraft gebracht – und Taehyungs Vorfahren hatten das mächtigste, unzerstörbarste Kartell auf diese unvoreingenommenen Landen gesetzt.

Es war eine unerzählte Geschichte; eine den meisten unbekannte Erläuterung von Verrat, Scheitern, Notständen und dem omnipräsenten, blassesten Schimmer von gleißender Hoffnung, der sich in den schier unerwartsten Augenblicken zum Gestirn am Zenit der Kim-Familie emporhob. Es war eine Geschichte, die fast neunzig Jahre im Entstehen gewesen war, ehe sie einem schwermütigen, gedankenverlorenen Jungen in den Schoß gelegt worden war.

Einem jungen Mann, kaum einundzwanzig, der das Steuer zwischen seinen langen Fingern hielt wie ein anderer vielleicht einen Pinsel und leise zu dem summte, das aus der Stereoanlage seines Lamborghini Aventador klang und das geräumige, geschwungene, ledergeformte Innere des Autos erfüllte.

Jeongguk löste seinen Blick von der Ansicht der Stadt, die nun nicht einmal mehr im Rückspiegel erkenntlich war und ließ seinen Blick, sowie seine volle Aufmerksamkeit Taehyung zukommen, dessen Finger auf das ledergepolsterte Steuer trommelten. „Du wirst dieses... unerträgliche Gejammer auch niemals Leid, oder?"

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