Aufbruch

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Die Holzknüppel krachten auf einander. Sie duckte sich unter ihnen hindurch und trat nach den Beinen ihres Gegners. Dieser sprang hoch, machte in der Luft eine Schraube und landete hinter ihr. In der Zeit war sie allerdings schon wieder auf den Beinen und wirbelte herum. Langsam umkreisten sie sich. Jeder wartete auf den Fehler des Anderen. Er schoss vor, täuschte von der rechten Seite an und schlug auf der linken Seite zu. Sie duckte sich und zielte auf die Beine. Er wich rasch nach hinten aus. Wieder umkreisten sie sich. Der Schweiß perlte auf ihrer Haut. Die knallende Sonne brannte vom Himmel auf sie herab. Die Luft war trocken und der Boden des Innenhofes war von heißem Sand bedeckt. Diesmal griff sie an. Sie täuschte einen Schlag an, duckte sich, zog ihm die Beine weg und warf sich auf ihn. Dann drückte sie ihm den Holzknüppel an die Kehle und meinte schlicht: „tot." 

„Das macht kein Spaß mehr, immer gewinnst du." Zeterte ihr jüngerer Bruder auch schon darauf los. „Du darfst mir nicht die Beine weg ziehen, das ist unfair, das macht man nicht, wenn man mit Schwertern kämpft!" Dazu sagte sie nichts sondern stand nur grinsend auf und klopfte sich den Sand von der Hose. Dann reichte sie ihm die Hand und zog ihn hoch. 

Sie standen in der Mitte eines ehemals gepflasterten Innenhofes. Die Steine sah man schon lange nicht mehr, sie waren längst von einer dicken Sandschicht begraben. An der Bretterwand neben dem Eingang türmte sich der Sand und drang durch jede Ritze. Er war heiß und trocken und hatte wahrscheinlich noch nie einen Tropfen Wasser gesehen. Außerhalb des Hauses sah es noch schlimmer aus. Das Dach musste mit Stützen verstärkt werden, um dem Druck des Sandes Stand zu halten. Es frei zu schaufeln wäre eine ermüdende und sinnlose Arbeit. Der schneidende Wind trug selbst an schöneren Tagen ganze Dünen mit sich. Es war eine unwirtliche Landschaft und sie erstreckte sich zu allen Seiten soweit man blicken konnte. Nur ab und zu wurde sie von einigen wenigen Hütten wie dieser unterbrochen. Einzig und allein an einer Stelle wurde die Monotonie der Landschaft gestört. Hier sammelten sich Hütten und Häuser, bildeten große Kreise, immer weiter dem Himmel entgegenstrebend. Sie drängten sich aneinander, in der verzweifelten Bemühung Schutz vor der Wüste zu finden. Ein hoher Turm überragte sie alle. Einzigartig geformt wachte er wie ein Hirte über seine Herde. Er strahlte eine Macht aus, vor der sich sogar die Wüste beugte. Nicht ein einziges Sandkörnchen soll sich jemals auf seinem einzigartig geformten Dach niedergelassen haben. So waren zumindest die Erzählungen. 

Ismeere hatte fest vor, eines Tages, möglichst bald, selbst dorthin zu reisen. Sie wollte all das sehen, sie wollte über die Wüste hinaus und den Wald, die Bäume und Pflanzen sehen. Sie wollte Flüsse sehen, in denen das, in der Wüste so kostbare Wasser, in berauschenden Mengen dahin floss. Sie wollte die Berge sehen, auf denen weißes Pulver lag, welches sich im Mund zu Wasser umwandelte. All das und noch viel mehr wollte sie sehen, erleben und fühlen. Und irgendwie, würde sie das auch bald schaffen. Sonst würde sie eingehen, bei täglich dem gleichen Ablauf, täglich der gleiche Ausblick. Weit und breit nur Sand, Hitze und noch mehr Sand. 

„Kommst du?" riss ihr Bruder sie aus den Gedanken „ Mama will irgendwas mit dir besprechen, außerdem sollst du nicht solange schutzlos in der Sonne stehen." Seufzend verweilte Ismeere noch kurz in ihren Tagträumen, dann drehte sie sich um und stapfte zu der unscheinbaren kleinen Tür, vor der ihr Bruder wartete. 

Amar war in letzter Zeit deutlich gewachsen und hatte seine Schwester, zu ihrem Missmut, überholt. Er öffnete ihr die Tür und deutete sogar eine leichte Verbeugung an. Für Außenstehende musste das wie ein Spaß unter Freunden und Geschwistern wirken, doch Ismeere hatte eine ernste Miene aufgesetzt und nickte Amar nur kurz zu. So verlangte es die Tradition. Der Verlierer eines Kampfes brachte dem Gewinner durch solche Gesten Respekt entgegen. Selbst wenn es nur ein Trainingskampf zwischen Geschwistern war. In der Südlande ging es um Kampf, Jagd und Stärke. Diese Fähigkeiten wurden üblicherweise von Vater an Sohn oder Söhne weiter gegeben. 

Unbekanntes LandWhere stories live. Discover now