Ich lag auf dem Boden. Mein ganzer Körper schmerzte. Es fühlte sich an, als ob ich ein Vulkan wäre, aus dem glühend heiße Lava floss. Meine Augen waren geschlossen, und ich hatte keine große Lust, diesen Umstand zu ändern. Die Wahrheit war, dass ich mich vor dem fürchtete, was ich sehen würde, wenn ich die Augen öffnete. Meine rechte Hand fühlte sich seltsam matschig an, was mir ganz und gar nicht gefiel. Probeweise bewegte ich den Zeigefinger. Es zog etwas, tat aber nicht weh. Was mir jedoch mehr Angst einjagte, war die zähe Flüssigkeit, in der mein Finger lag. Als ich auch den Daumen bewegte, merkte ich, dass meine ganze Hand von dieser Flüssigkeit umgeben war. Ich wollte immer noch nicht die Augen aufmachen, aber ich wusste auch so, dass es Blut war.
Meine Lippen waren aufgerissen und es brannte unangenehm. Ich spürte, dass meine Jacke am Rücken gerissen war, und fluchte in Gedanken, denn meine Lippen wollten sich nicht öffnen. Als ich mein linkes Bein bewegen wollte, stieß ich gegen etwas Hartes und biss die Zähne zusammen. Durch meine Berührung begann das Ding zu wackeln und ich hörte Marmor bröckeln. Bevor ich irgendwie reagieren konnte, krachte ein schwerer Steinklotz genau auf meinen Arm.
Ich schrie. Der Schmerz schoss wie flüssiges Feuer durch meine Adern und breitete sich bis zur Schulter hin aus. Vielleicht übertreibe ich gerade, aber es fühlte sich an, als ob man mir den ganzen rechten Arm abgerissen hätte. Ich schrie so lange, bis meine Stimme immer leiser wurde und schließlich versagte. Tränen liefen meine Wange hinab in meinen Mund. Sie schmeckten salzig. Da öffnete ich die Augen.
Die Marmorsäule war während der Explosion in mehrere Stücke gesprengt worden. Ein Stück hatte noch auf dem anderen balanciert, bevor ich es mit meinem Bein zum Fallen gebracht hatte. Nun lag es schwer und unbeweglich auf meinem Arm und versperrte mir die Sicht. Unter großer Anstrengung drehte ich den Kopf und schnappte nach Luft.
Der komplette nördliche Teil der Uni war eingestürzt. Vom Innenhof war nur mehr ein mit Trümmern überhäufter Platz übrig. Einer der Bäume lag umgeknickt im Staub und an seinen Blättern leckten Flammen. Das Geländer war weggerissen worden. Ein Tisch lag in zwei Teilen in der Mitte des Platzes. Die Reste des Gebäudes qualmten und brannten. 100 Meter neben mir entdeckte ich einen offenbar bewusstlosen Körper. Ich sah genauer hin und erkannte Henry, einen rothaarigen Jungen, der ein Jahr älter als ich war. Meine Freundin Elsa war vor ein paar Monaten mit ihm zusammen gewesen.
In dem Moment stürzte ein Teil der Überdachung ein und begrub Henrys Körper unter sich. Ich sah schnell woanders hin, denn ich wollte nicht über seinen ihn und seinen Tod, den ich mit angesehen hatte, nachdenken.
Ich atmete schnell und unregelmäßig. Ich muss hier weg, war der erste klare Gedanke, den ich fassen konnte. Wenn ich weiter hier liegen blieb, würden mich die Flammen, die sich bereits an den noch stehenden Teil der Uni angepirscht hatten, verbrennen. Ich stöhnte laut und es gelang mir, mich aufzusetzen, wobei ich darauf achtete, den eingeklemmten Arm nicht zu berühren. Und jetzt? Ich schluckte, denn nun musste ich irgendwie den Marmorklotz auf die Seite schieben, ohne mich dabei selbst zu foltern. Vorsichtig drückte ich gegen den Stein und ein Stück bröckelte ab. Ich schob immer fester, bis der Stein schließlich bis zum Ellbogen von meinem Arm gerollt war. Ich schwitzte, denn der Schmerz lauerte wie ein wildes Tier in meinem Arm, das jeden Moment hervorspringen und mich anfallen konnte. Zu guter Letzt trat ich noch mal mit dem Fuß zu. Meine Ferse pochte, doch der beschädigte Marmor zerbröckelte endgültig und ich konnte meinen Arm frei bekommen.
Mühsam hockte ich mich zuerst hin, dann stand ich auf. Mein Arm hing schlaff an meiner rechten Seite herunter. Der Schmerz spürte ich inzwischen nicht mehr; um genau zu sein spürte ich gar nichts mehr in dem Arm. Ich sah den Gang entlang; oder eher: den Überresten des Gangs. Die Hälfte der Überdachung war zusammengebrochen und zerbröselter Stein bedeckte den Großteil des Bodens. Staub regnete immer noch von der Decke und sammelte sich in den Zwischenräumen der Trümmer. Ein paar Äste waren vom Innenhof herauf geschleudert worden und brannten an den Spitzen. Auch viele Haufen Schutt im Hof steckten in Flammen, und es würde sicher nicht lange dauern, bis das komplette Gebäude Feuer fing. Mir war leicht schwindelig und ich musste aufpassen, dass ich nicht gleich wieder hinfiel, als ich langsam einen Fuß vor den anderen setzte. Schließlich ging ich immer schneller, bis ich fast rannte. Als ich dort ankam, wo einmal die Treppe gewesen war, fand ich nur ein bröckeliges Gestell vor. Ich biss mir auf die Lippe, wobei ich Blut schmeckte. Wenn ich hier raus wollte, musste ich da runter. Es gab zwar theoretisch noch eine Treppe auf der anderen Seite, aber die war komplett weggesprengt worden.
Zitternd machte ich einen Schritt. Ein paar lose Steinchen kullerten hinunter, sonst hielt die Treppe stand. Vorsichtig schaffte ich die erste Hälfte, bedacht, mein Gewicht so gut wie möglich zu verlagern. Als ich nach der ersten Plattform die Richtung wechselte, fiel plötzlich von weiter oben eine Leiche vor meine Füße. Es war ein junges Mädchen, vielleicht 21. Sein Gesicht, von hellblonden Haaren umrahmt, war zerschunden und aus den Kratzern sickerte Blut. Die hellblauen Augen starrten mich an, ohne mich zu sehen. Seine Arme und Beine standen in einem unnatürlichen Winkel vom Körper ab; ein Fuß fehlte. Ich klammerte mich ans Geländer und musste würgen. Als ich mich halbwegs beruhigt hatte, stieg ich eilig über das Mädchen hinweg und beeilte mich, schnell zum Ende der Treppe zu gelangen. Auf den Bruchstücken des 1. Stockes waren weitere Körper verstreut, doch ich wandte den Blick ab und stieg weiter hinunter. Es war nicht einfach gewesen, da immer wieder Teile der Stufen abgebrochen waren, doch schließlich hatte ich es geschafft.
Das Holz des Tores war zersplittert, allerdings nicht so sehr, dass ich hindurchsteigen konnte. Vor der Tür lag eine weitere Leiche. Nein, keine Leiche! Der Mann atmete noch flach und zuckte. Ich lief zu ihm und blieb bei seinem Kopf stehen. Da erkannte ich, wer es war. "Professor Weidenberg!", rief ich erschrocken. Sein Auge war blutüberströmt, so wie seine ganze linke Gesichtshälfte. Sein Anzug war zerfetzt und wo sein linker Arm und sein linkes Bein hätten sein sollen, befanden sich nur zwei rote Stümpfe. Ich schmeckte Galle in meinem Mund und mir wurde schon wieder schlecht. Ich rannte zu einem Haufen Schutt und erbrach mich. Zitternd wurde mir bewusst, dass ich Prof. Weidenberg beiseite ziehen musste, um das Tor öffnen zu können. Ich brach kraftlos zusammen und vergrub das Gesicht in den Händen. Selbst wenn Weidenberg der grausamste Lehrer der Uni war, konnte ich ihn nicht einfach halbtot packen und wegziehen. Nach einer Ewigkeit, in der die Treppe, die ich hinuntergekommen war, eingestürzt und einen weiteren Teil des Gemäuers mit sich gerissen hatte, schüttelte ich mich und stand auf. Wenn ich nicht auch wie Henry unter einem Haufen Trümmer begraben werden wollte, musste ich Prof. Weidenberg aus dem Weg räumen. Als ich mich ihm wieder näherte, erkannte ich, dass er bereits tot war. Ich nahm meine ganze Überwindungskraft zusammen, drückte ihm die Augen zu und packte seinen verbliebenen Arm. Unter dem in Fetzen gerissenen Hemd war die Haut kalt wie Eis und ließ mich frösteln. Die Kälte kroch auch in meinen Körper und bevor ich wieder den Mut verlieren konnte, zerrte ich mit aller Kraft an dem Arm.
Quälend langsam verging die Zeit, in der ich Prof. Weidenbergs Leiche von dem Tor weg schleifte. Ich war psychisch total am Ende und zitterte am ganzen Körper, als ich endlich die letzten Zentimeter geschafft hatte. Getrocknete Tränen klebten an meinen Wangen, und als ich sie wegwischte, hinterließ meine Hand einen roten Fleck in meinem Gesicht. Mir war nicht einmal aufgefallen, dass sie blutete. Mittlerweile war die Temperatur um einige Grade gestiegen, das spürte ich ganz deutlich. Ich schloss daraus, dass einige Trümmer Feuer gefangen hatten und dass die Flammen nun wie erwartet immer näher rückten. Und dass ich nicht mehr viel Zeit hatte.
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Echo
AdventureWas, wenn du ein Geheimnis lüftest, das deine Vergangenheit komplett zerstört? Was, wenn dich das, was du erfahren hast, so zerreißt, dass du so nicht mehr leben möchtest? Gibt es wirklich nur mehr einen Ausweg? Wenn dein Leben eine riesige...