Der Morgen danach

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Sie ist aufgewacht weil das Sofa, unter ihr, ein lautes knarren von sich gegeben hat und sie sich erschreckte. War es kaputt gegangen? Sie denkt kurz darüber nach jemandem Bescheid zu geben, allerdings entscheidet sie sich nach einem Blick auf die Uhr dagegen. Es ist grade mal acht Uhr also würden die anderen noch schlafen, so wie ihr Freund neben ihr, dem das Knarren wohl nichts ausgemacht hatte. Sie weiß nicht ob sie als erste eingeschlafen war, da sie lange so getan hatte als würde sie schlafen und die anderen drei sich dann auch irgendwann hingelegt hatten. Ihr Freund merkt es nicht, wenn sie nur so tut, dafür merkt er nicht genug. Er ist diese Art Mensch, dem man jedes Gefühl und jeden Gedanken am Gesicht ablesen kann, der aber nicht unbedingt erkennt, was der gegenüber denkt oder fühlt, bis man es ihm sagt. Nachdem sie in die Küche gegangen war um eine zu Rauchen, war sie noch kurz auf Klo und betrachtet sich dort im Spiegel. Ihre Haare waren noch leicht gewellt von den Zöpfen die sie gestern getragen hatte. Sie trägt in letzter Zeit oft Zöpfe, da ihr Freund beim ersten mal sagte, er würde es sexy finden, aber er scheint kaum zu bemerken, dass sie das nur für ihn macht. Das Türkis in ihren Haaren, welches vor Monaten noch lila gewesen wahr, ist mittlerweile schon einige Zentimeter raus gewachsen und so war mehr als ihr Ansatz schon wieder dieses merkwürdige Straßenköter-Blond, von dem man sich nicht sicher war ob es nun tatsächlich noch Blond ist, oder vielleicht schon fast Braun. Sie würde sich gerne die Haare nachfärben, aber hatte Angst, sie wieder zu Blondieren. Ihre Haare waren so schon kaputt und beim letzten Blondieren hatte sie Verätzungen auf der Kopfhaut. Trotzdem kann sie sich nicht von dem Türkis trennen. Es ist was besonderes, was sie nicht als graue Maus in der Masse verschwinden lässt. Sie will Selbstbewusstsein ausstrahlen, auch wenn sie davon nicht so viel besitzt.
Außerdem sind ihre Haare eine schöne, farbige Abwechslung von den fast ausschließlich schwarzen Klamotten, die sie trägt. Ihr ganzer Stil könnte, so beschrieben, als ziemlich düster und vielleicht Emo-haft verstanden werden, aber das ist er nicht. Sie trägt nur eine leichte Aura von Melancholie und Dunkelheit mit sich, denn ihr Schwarz trägt sie mit Eleganz. Es ist so normal an ihr, dass die Menschen nicht einmal merken, dass sie fast ausschließlich schwarze Kleidung trägt. Ihr gefällt das, auch wenn sie sich zwischendurch wünschen würde, dass man erkennt, dass hinter ihrer starken, glücklichen Art, ein kleines verletztes Mädchen steckt. Ja sie versucht trotzdem immer stark zu bleiben, sogar vor ihrem Freund, obwohl sie weiß, dass sie sich eigentlich vor ihm zeigen sollte wie sie wirklich ist. Aber sie merkt wie gut es dem Kleinen Jungen, welcher schon drei Jahre älter als sie ist, tut, jemanden zu haben, der ihn stützt und so viel Stärke ausstrahlt wie es möglich ist. Sie weiß, dass er nicht so Stark sein kann, wie es von dem Typischen Mann erwartet wird, aber manchmal fragt sie sich wie es dazu kommen könnte, dass so ein toller und freudestrahlender Mensch, so wenig selbstbewusstsein haben kann. Sie kennt zwar viele Ereignisse aus seiner Kindheit, welche ihn in diese Richtung geprägt haben und die ganzen Drogen, welche er noch bis vor einem halben Jahr in sich gepumpt hat waren auch nicht ganz unschuldig, aber trotzdem kann sie es nicht verstehen. Wenn man ihn kennen lernt denkt man den glücklichsten Menschen der Welt zu Treffen, da er immer gute Laune ausstrahlt und es alleine schafft eine Gruppe Menschen zu unterhalten, aber wenn man ihn näher kennen lernt weiß man, das so viel mehr dahinter Steckt. Sie will für ihn stark sein, auch wenn es schwer für sie ist, ihm Kraft geben und diesen wunderbaren Menschen wieder aufbauen. Das verdiente er. Auch wenn er sie dabei nicht richtig sieht. Sie würde gerne diejenige in der Beziehung sein, die sich an ihren Partner anlehnen kann und der Stärke geboten wird, aber dazu ist er nicht in der Lage. Sie merkt schon, wie ihm die kleinsten Dinge helfen, wie beim Kuscheln der kleine Löffel sein oder vor ihr weinen zu können, während sie ihm gut zuredet und ihm sagt, dass sie für ihn da ist und für ihn Stark sein will. Aber sie will ihm noch mehr geben, sie will ihn verteidigen wenn sich mal wieder jemand über ihn lustig macht oder ihn sogar angreift, sie will ihm den Weg weisen, wenn er es grade nicht schafft selbständig zu sein und sie will ihm Mut machen, wenn er mal wieder denkt nicht gut genug zu sein. Auch nicht gut genug für sie zu sein.
Sie hört wieder ein Knacken aus dem Raum nebenan und denkt kurz, es könnte noch jemand wach sein, aber sie täuscht sich erneut. Alle außer ihr Freund hatten gestern getrunken, also würden sie noch ein wenig schlafen. Er trank nicht, auch wenn er bestimmt gewollt hatte, da er noch ein halbes Jahr Abstinenznachweise erbringen muss um dann eine MPU zu machen. Kurz bevor sie ihn kennengelernt hatte, hatte er betrunken einen Unfall gebaut und muss jetzt mit den Konsequenzen leben. Aber sie baut ihn wieder auf. Darauf hofft sie.

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