Kapitel 3: Junges Blut

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„Hört!" Meine leise, doch scharfe Stimme lässt das halbe Dutzend Männer zusammenfahren. Ein nicht allzu fernes Knattern ist zu hören. „Hört ihr dieses Knattern. Merkt euch genau diesen Ton. Das ist ein englisches Maschinengewehr. Ein leichtes noch dazu. Solche werden die Tommys beim Angriff einsetzen, also merkt euch, auf die Nähe dieser MG's zu achten." Die Anderen nicken. Sie werden es wieder vergessen. So war es bei den Neuen schon immer. Ich seufze. Jeder dieser Knaben, jung und schlank, erinnert mich so schmerzlich an Karl. Junge Männer, die sich freiwillig meldeten, teilweise ihr Alter gefälscht haben. Nur, um mit Jubel ins Höllenfeuer geworfen zu werden. Ich seufze erneut, blicke nach unten und ziehe eine Handgranate aus dem Gürtel. Die Gruppe weicht einen Schritt vor mir zurück. 'Als würde das helfen', denke ich mir. „Hier" Ich halte die Granate vor. „Das sind unsere Stielhandgranaten. Sie sind sowohl beim Sturm, als auch bei der Abwehr einzusetzen." Ich tippe mit dem Finger auf das Stielende. „Hier befindet sich die Zündmechanik. Die Kappe am Stielende wird abgeschraubt und herausgezogen. Dann werft ihr sie, ohne zu zögern, in die Richtung, in der ihr den Feind vermutet." Einer der Rekruten tritt hervor. „Ich habe gehört, dass man einen Moment, nachdem die Granate scharf gemacht wurde, warten soll, um den Feind zu hindern, die Granate zurückzuwerfen." Ich mustere ihn kurz. Jünger, doch größer als ich, mit kurzem, hellbraunem Haar. „Wie heißt du, Junge?" Er blickt mich ein wenig verwirrt an, antwortet aber. „Hermann." „Gut, Hermann, du hast nach der Ziehung drei Sekunden, ehe die Granate hochgeht. Wenn du wartest, vielleicht einen Fehler machst, wird sie dir keine zweite Chance geben." Ich wende mich wieder an die Gruppe. „Wenn ich euch einen Rat geben darf, den ihr, so Gott will, nicht vergesst: Spielt nicht den Helden. Junge Kerle dieser Sorte sind uns schon zu viele verreckt." Die Burschen starren mich kurz an. Dann nicken sie einstimmig, salutieren und ziehen ab. Ich bleibe in meinem Schützenloch zurück. So viele Jungen. So junges Blut, verloren durch diesen abartigen Krieg...

Das Feuer flackert ein wenig lustlos vor sich hin. Ich nehme einen kleinen Zweig und werfe ihn hinein. Rainer sitzt vor mir und rührt die Brühe ein wenig mit seiner Kelle um. „Endlich etwas Warmes zu essen", meint er zu mir. Ich nicke. Die kleine Nische in der Grabenwand reicht gerade aus, dass wir beide und der kleine Kessel hineinpassen. „Das kleine bisschen Ruhe kommt einem ein wenig wie Luxus vor", sage ich. „Wie Recht du damit hast", Rainer muss seufzen. „Ich bin froh, wenigstens einen Tag den Gestank des Grabens ertragen zu müssen, um dem Leichengeruch im Lazarett zu entfliehen." Er lacht. Kurz, ohne wirklichen Grund. „Es ist fertig. Warm genug zumindest." Ich öffne meinen Tornister, hole den kleinen Löffel heraus. Eine lauwarme Suppe, ein paar Stücke Bohnen und Mohrrüben ziehen darin ihre Kreise. Aber es füllt, es hält satt. „Und schlecht schmecken, das tut es wahrlich nicht." Ich schrecke kurz auf, ich habe wieder einmal lauter gedacht, als mir lieb ist. Rainer sieht mich fragend an. „Was ist mit dir? Dich beschäftigt doch etwas, abgesehen von der Angst, den nächsten Tag nicht mehr zu sehen." Ich bin überrascht, Rainer kann wohl aus meinem Gesicht lesen, wie aus einem offenen Buch. „Wie geht es Karl?", versuche ich abzulenken. „Er kann laufen, reden, manchmal macht er schon wieder Scherze." „Wird er heimgebracht?" „Ich bin ehrlich, ich weiß es nicht..." Ich blicke ihn entgeistert an. „Sein Zustand hat sich schon merklich verbessert, vielleicht bekommt er eine Prothese. Ich weiß nicht, ob die von oben ihn noch für etwas gebrauchen können. Und wenn es nur Meldedienst ist... Vielleicht auch nicht. Ich kann es dir nicht sagen. Aber erst einmal ist ihm der Heimaturlaub sicher." Ich lehne mich, merklich erleichtert, zurück. Der Kessel ist leer. „Die Neuen", frage ich, „Sind die für unser Korps?" „Womöglich, weshalb fragst du?" Ich lächle trocken. „Dann kann ich diesen Hermann anschreien, die Granate sofort zu werfen." Wir lachen beide. Dann erwidert Rainer: „Oder du wirst das Vergnügen haben, seine Überreste von der Grabenwand zu kratzen." Grabenhumor. Eine der Dinge, die einen Soldaten wirklich am Leben erhalten...

Der Vorhang der HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt