Der erste Tag

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Langsam taumelte ich die Treppe hinunter. Aus der Stube kam ein angenehmer Geruch von Honig und frisch gebackenem Brot. Als ich einen Blick hineinwarf, entdeckte ich einen reichlich gedeckten Frühstückstisch. An ihm saßen Olliver, seine Großmutter und ein älterer Herr, der mürrisch dreinschaute. "Guten Morgen.", begrüßte ich die drei. "Morgen.", schallte es zurück. Hella lächelte mich freundlich an: "Komm, setz dich, iss." Dann murmelte sie zu dem Grummligen Mann zu ihrer rechten. "Das ist das nette Mädchen von dem ich dir erzählt hab, jetzt stell dich doch mal vor...!" Mit einem grimmigen Blick schaute er mich an, doch schnell wandte er ihn wieder ab. "Ich bin der Anatol."
Da war wohl jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden. Enthusiastisch, fast schon herausvordernd, setzte ich mein schönstes Lächeln auf. "Freut mich sehr sie kennen zu lernen, mein Name ist Liz." Doch es half nichts. Von wegen, lächeln wäre ansteckend. Ein leises Brummen ertönte als antwort. Hellena rollte mit den Augen. "Mach dir nichts draus, mein Mann ist immer so. Ich bin wohl die Einzige in der Familie mit Manieren!" Es war kurz still, als Olliver sich zu mir herüber lehnte. "Nach dem Frühstück könnte ich dir das Dorf zeigen, wenn du lust hast."
Ich zögerte. Er war zwar insgesammt etwas merkwürdig, aber schien doch ganz nett zu sein. Also willigte ich ein:
"Gerne, dann kann ich mich gleich nach einer Bleibe umsehen." Es freute ihn sichtlich, dass ich zugestimmt hatte. Wir aßen und redeten darüber, was es in Wankelsruh alles zu sehen gebe.

Gleich danach spazierte ich mit Olliver durch das Dorf. Die Häuser waren bei Tag noch viel schöner.
Erst jetzt viel mir richtig auf, wie hübsch alles mit Blumen bepflanzt war. Aber noch etwas hatte ich gestern nicht gesehen. Über allen Eingangstüren hingen Kreuze. Es musste wohl ein sehr Religiös geprägter Ort sein. Olliver erklärte mir, wer wo wohnt, obwohl ich natürlich keinen der genannten Personen kannte, bis wir dann an einem Kleinen Marktplatz in der Mitte des Dorfes angekommen waren. Überall waren verkaufsstände, darum herum eine Menschenmenge. "Hier sind jeden Samstag Stände aufgebaut mit allen möglichen Sachen. Unter der Woche kannst du mal in die Geschäfte schauen. Wir haben einen Bäcker, einen Metzger, einen Floristen, einen Schneider-"
Die Liste wollte nicht enden.
"Und siehst du das Gebäude da hinten?" Er zeigte mit dem Finger auf einen kleinen Turm um den sich Efeu rankte. "Das ist die Bibliothek von meinem Opa. Da findest du alle Bücher! Es gibt kein Buch, das es dort nicht gibt." Ganz stolz funkelte er mich an. "Dann werde ich wohl mal reinschauen Müssen, wenn offen ist." Er nickte und ging weiter. Oliver zeigte mir das Rathaus, die Kirche, den Bader, und, und, und. Dann machte er Halt an einem Bauernhof. "Das ist der Hof vom alt Haindl. Ich helfe ihm immer und verdiene so ein bisschen Geld dazu." "Hast du keinen Beruf gelernt?", fragte ich vorsichtig. Er schüttelte den Kopf: "Mein Papa war Schreiner. Aber ich habe ihn nie kennengelernt, also konnte er es mir nie beibringen." Ich frage ihn lieber nicht weiter nach seinen Eltern. Ich verstehe sehr gut, wie er sich fühlt. Wahrscheinlich sind sie auch gestorben oder fortgegangen.

Auf einmal traf ein Stein den Zaun neben uns und drei Gestalten kamen auf uns zu. Der Mittlere schaute uns Verächtlich an und lachte laut los: "Der Dorftrottel hat eine Freundin gefunden?! Dass ich nicht lache! So etwas hübsches wie du gibt sich doch nicht mit einem zurückgebliebenen Deppen wie dem da ab!" Olivers Blick verfinsterte sich bei diesen Worten. Ob die ihn immer so behandeln? Ich wurde ein bisschen Wütend: "Habt ihr nichts besseres zu tun, als uns auf die Nerven zu gehen?" "Selber schuld, wenn du dich mit soetwas herumtreibst. Komm mit uns mit. Wir werden viel spaß zusammen haben." Mit einem schelmischen Gesichtsausdruck schaute er mich an. Was zum Teufel war das für ein Idiot? Dann sprach einer der Anderen: "Wir meinen es doch nur gut mit dir, Mädchen." Da nahm ich den Stein vom Boden, schleuderte ihn in ihre Richtung und Traf den Hässlichsten am Kopf. "Einen Teufel werde ich tun! Haut ja ab und dass ihr uns nicht mehr in die Quere kommt!!", schrie ich aus ganzer Kehle. Was bilden die sich ein wer sie sind? Der Adel vom Ort? Als hätte ich mir jemals vorschreiben lassen, mit welchen Leuten ich mich abgebe. Der unhöfliche Rüpel taumelte kurz und griff sich an die Stirn, sah mich dann Wutentbrannt an und Knurrte: "Das wirst du noch bereuen...!" Dann entfernten die Drei sich. Oliver war nun ganz still und starrte auf den Boden. Sein Strohhut verdeckte sein Gesicht, so dass ich seine Mimik nicht deuten konnte. "Was für Idioten!", beschwerte ich mich bei ihm. Immer noch reagierte er nicht. Da legte ich ihm meine Hand auf die Schulter und fragte sanft: "Alles Okay?" Er Nickte. Wenigstens eine Reaktion. "Die sind...", murmelte er: "Die sind schon so, seit ich denken kann. Tut mir leid, dass du sie wegen mir jetzt auch am Hals hast." "Das ist doch nicht deine Schuld. Früher oder später hätte ich mich sowieso mit denen rumschlagen müssen." Aufmunternd lächelte ich ihm zu. "Öhm, wer waren die eigentlich?", fiel mir ein. "Der in der Mitte, das ist Ben. Der Sohn des Bürgermeisters. Er hält sich deshalb für etwas besseres. Der mit den Muskeln ist Max. Er kommt ursprünglich aus der Stadt und ist erst vor ein paar Jahren hergezogen. Und der mit den geschorenen Haaren, das ist Tristan. Er tut schon vo klein auf was Bens sagt." Dann atmete er einmal tief durch. "Ist es in ordnung, wenn du den rest ersmal alleine erkundest? Du kannst dann später einfach nochmal daheim vorbeikommen, und deine Sachen holen." "Gut, dann bis nachher." Ich winkte ihm noch zu, während er sich entfernte, drehte mich dann um, und ging auf gut glück einen kleinen Weg entlang.

Der Pfad verzweigte sich ein paar mal und führte schließlich in den Wald. Ich mochte Wälder schon immer. Sie hatten so etwas Geheimnisvolles, Magisches. Ich spürte, wie die Sonnenstrahlen, die zwischen den Ästen hindurchschienen, sanft meine Haut berührten. Die Wärme war beruhigend und aufeinmal war ich richtig entspannt. Ohne es zu merken, war ich so weit gegangen, dass ich das Dorf gar nicht mehr sehen konnte. Nur gut, dass ich mir den Rückweg gemerkt habe. Wie gefesselt von der Schönheit dieses Ortes zog es mich weiter, den schmalen, fast nicht mehr erkennbaren Weg entlang. Als er endete, stand ich vor einer Lichtung, Darum herum waren bunte Tulpen in einer Reihe angepflanzt und bildeten einen riesigen Kreis. In der Mitte stand ein Haus. Es wirkte sehr modern, war aus hellem Holz gebaut und hatte viele, große Fenster. Das Gebäude sah belebt aus, also könnte ich dort villeicht nach einer Bleibe fragen.

Und so betrat ich das Innere des Kreises aus Tulpen. Ohne mir darüber im Klaren gewesen zu sein, dass dies mein Leben für immer verändern würde.

Der TulpenzirkelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt