Prolog

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»Der Mörder sticht dem Opfer in die Kehle.
Der Mobber sticht dem Opfer in die Seele.«
~ Robert Keller

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[Daniel]

Seit Stunden schon saß Daniel in seinem Zimmer. Die Sonnenstrahlen des warmen Tages drangen nicht zu ihm vor, seine Gardinen hatte er geschlossen. Er wollte nichts von dem schönen Wetter wissen. Der Junge konzentrierte sich nur auf die Liste vor ihm. Eine Pro- und Contra-Liste.

Die Pro-Seite war erstaunlich voll, obwohl er eine Heidenangst vor dem Kommenden hatte. Würde er sich wirklich trauen oder wieder den Schwanz einziehen?

»Nein«, mahnte er sich leise, »Du wirst nicht mehr das Opfer sein. Nie wieder. Sie sollen büßen. Für alles«

Sich selber murmelnd Mut machend nahm er die Liste und zerknüllte sie.

Seine Gedanken überschlugen sich, sein Herz raste, die blauen Augen wurden verdächtig feucht und trotzdem - Er war sich sicher. Er war entschlossen, fest von dieser Sache überzeugt.

Tief ein- und ausatmend blickte er, wie hypnotisiert, in den Spiegel. Die blasse Haut, geprägt von Narben und Blessuren, gefiel ihm nicht - ganz im Gegenteil. Es machte ihn noch wütender. Das hatten sie ihm angetan! Ihn verletzt, seelisch und körperlich. Er musste dem ein Ende setzen und sich endlich behaupten.

»Sie werden dir nie wieder wehtun«, flüsterte er, so ruhig und gelassen, dass er sich selbst ein bisschen gruselte, »Sie müssen dafür bezahlen. Sie müssen dafür büßen«

Er starrte sich weiterhin im Spiegel an, legte den Kopf schief, betrachtete jeden Winkel seines Gesichtes. Im dunklen Zimmer wirkte seine Nase ganz klein, der Hügel auf dem Nasenrücken war kaum erkennbar. Er tastete nach ihm und musste dabei an die Schmerzen denken, die sie ihm zugefügt hatten.

»Die Nase haben sie dir gebrochen!«, knurrte er und ballte die Hände zu Fäusten. Er war so unsagbar wütend, nichts konnte ihn mehr stoppen. Das Einzige, was sie noch retten könnte, wäre ein Wunder, denn Daniel sah rot. Blutrot.

Er wanderte im Zimmer herum, musste sich Mut machen. Doch abrupt blieb er stehen. Er sank neben seinem Bett auf die Knie und holte einen Schuhkarton darunter hervor.

Als er den Deckel entfernte und die Pistole seines Vaters zum Vorschein kam, fühlte er sich unbeschreiblich. Er war unbesiegbar, mächtig. Niemand konnte ihn mehr stoppen. Sein Entschluss stand fest.

»Daniel, komm runter, es gibt Abendessen!«, nur gedämpft drang die Stimme seiner Mutter zu ihm vor.

»Ich komme gleich!«, schrie er zurück, fluchte leise und stellte den Schuhkarton wieder unter sein Bett.

Auf dem Weg zur Tür kam er am Spiegel vorbei. Und als er sich erneut betrachtete, schlich sich ein Lächeln auf seine dünnen Lippen.

»Morgen«, flüsterte er sich selbst zu, »Morgen werden sie endlich für ihre Taten geradestehen«

Und das Einzige, was er in dem Moment empfand, war Vorfreude.

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