Der Tee

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Meine Liebe zum Tee ist stark einseitig. Nicht einseitig im Sinne davon, dass er mich nicht zurück liebt – wie solle der arme Tee das auch können –, sondern im Sinne von: ich liebe ihn nur mit der einen Seite meines Selbst. Nämlich mit der melancholisch geprägten, die an kalten, ekeligen Tagen im Winter in mir zu brodeln beginnt und sich schließlich einen Weg nach draußen sucht.

Wenn ich irgendwie verstimmt bin,
irgendwie nachdenklich,
irgendwie verrückt.

An diesen Tagen ist der er mein bester Freund. Leistet mir Beistand und wärmt die Kälte in mir. Dann flüstert der Wasserkocher leise, dass der Tag scheiße ist und ich seltsam bin und der Tee versichert und verspricht etwas lauter morgen würde es schon besser werden.

Der Tee steht mir bei.
Der Tee steht vor mir.

Ich gucke ihn an und gucke dann raus und draußen ist kein Winter zu sehen.
Das passt nicht zusammen.
Das verwirrt mich.
Das bringt den Tee zum Schweigen und nur des Wasserkochers Stimmchen ist noch zu hören.

"Scheiß Tag. Du bist seltsam."

Meine Liebe zum Tee ist stark einseitig und er hat heute die falsche Seite erwischt.

So kommt er mir mit seinem sinnlichen, beruhigenden Duft fast schon spöttisch vor. Wie er da in  der Tasse schwimmt und verspricht mich zu wärmen, obwohl mir schon warm ist. Es ist ja schließlich Sommer.
Aber ich habe meine Winterlaune und als wäre diese Tatsache nicht schon schwer genug für mich zu verkraften, steht da jetzt auch noch der Tee und glotzt mich an.

Sein Geruch ekelt und bezaubert mich gleichzeitig in alter Gewohnheit.
Das Wasser verfärbt sich langsam rot, wird immer röter und röter und wird zu Blut und mir wird übel.

Hastig greife ich nach der Tasse, um schnell zu trinken, schnell weg mit dem Zeug,
schnell, schnell, schnell,
doch ich greife zu hecktisch, zu grob und das Blut fließt über die Theke, tropft hinunter, bedeckt das Laminat.

Ich knie mich hin, will ihn retten. Meine Knie liegen im Blut, meine Hände sind bedeckt davon.
Ich habe ihn getötet, oh Gott, ich habe ihn getötet.

Der Wasserkocher lacht,

Der Tee keucht leidend,

ich frage mich, ob man Blut vom Boden wischen kann, ohne dass es Spuren hinterlässt.

Ich wische eilig und schütte den Rest des Tees meinen Rachen hinunter, während der Wasserkocher mich vorwurfsvoll ansieht, weil ich da plötzlich eine Mörderin vor ihm steht, vollgeschmiert mit dem Blut ihres unschuldigen Opfers.

Die warme Flüssigkeit durchfließt meinen Körper und der Wasserkocher verliert sein Gesicht.
Der Tee hält wie immer sein Versprechen, wärmt meine Kälte und verwandelt das restliche Blut an meinen Fingern in leckeres, heißes Kirschwasser.

In mir flüstert sein Stimmschen:
Morgen wird es schon besser werden.

Drehen wir unsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt