Kapitel 1

48 4 1
                                    

Jedes Mal. Jedes verdammte Mal. Sie seufzte und fuhr sich gestresst über ihr Gesicht.
Von zwei Buchreihen weiter konnte sie schon wieder das dumme Gerappe dieses Möchte-gern-Musikgenies hören.

Es lief immer gleich ab:
Er kam in den Laden, sie erkannte ihn am heftigen Klingeln der Glocke.
Er suchte sich ein Buch aus, das ihn interessieren könnte. Die Themen waren dabei sehr unterschiedlich. Mal ein Buch über Sprachen, dann über Wissenschaften, ein andern Mal schien die Kunst der Antike seine Aufmerksamkeit zu gewinnen; er war schlicht ziemlich variabel und würde er sie nicht jedes Mal so aufregen, wäre es interessant einmal ein Gespräch mit ihm zu führen und ihn auf seine ungewöhnliche Buchwahl anzusprechen.
Hatte er sein Buch gefunden, setzte er sich irgendwo an einen Tisch, Sessel oder einfach in eine Ecke, auch das variierte.
Dann war es ein paar Minuten still bis...

„B**** I'mma monster I rap with a prospect,
yeah I rap with a mindset I'm a suspect..."

Sie seufzte.
Jedes Mal.
Jedes verdammte Mal.
Er konnte seine Klappe einfach nicht halten. Soweit sie das beurteilen konnte waren es jedes Mal andere Lieder (konnte man das so nennen, denn wirklich singen tat er ja nicht?), sie kannte sich da nicht aus, ihr Musikgeschmack war ein wenig... anders.

Zugegeben es war interessant auch mal eine andere Art von Sprache kennenzulernen, die ein wenig, so schien es, rauer war und nicht alles verschönerte. Aber trotzdem: nicht in dieser Bibliothek!!!

Was außerdem sehr verwunderlich war, abgesehen natürlich von seinem Musikgeschmack und der ungewöhnlichen Auswahl der Themen seiner Bücher, war die Häufigkeit seiner Besuche.
Mal kam er jeden Tag her, das hieß täglich böse Blicke und Ermahnungen (übers Herz gebracht ihn rauszuschmeißen hatte sie noch nicht geschafft, denn schließlich schien er Bücher zu lieben, sonst würde er nicht so oft dieses Gebäude besuchen, und sie wollte niemanden den Zugang zu Wissen oder einer neuen Fantasiewelt verweigern), dann wieder tauchte er Wochen nicht auf.
Ein Tag war er da und zehrte an ihren Nerven, die nächsten Tage erschien er nicht und dann wieder täglich.

Einen bestimmten Grund für diese Unregelmäßigkeit fand sie nicht.
Sie war es gewohnt immer ein Muster zu erkennen. Der eine kam jeden Mittwoch, ein anderer erschien mehrer Wochen täglich und dann nie mehr, denn er hatte die Bücher für eine wissenschaftliche Arbeit gebraucht und als er  das nötige Wissen beisammen hatte, hatte er es nicht mehr nötig aufzutauchen.
Doch dieser Typ legte eine Unregelmäßigkeit an den Tag, dass es fast schon gewollt erschien, so als würde er sie jeden Tag auf die Folter spannen wollen, ob sie heute wieder mit seiner Anwesenheit geehrt wurde oder nicht.

„I'm da king, I'm the god
so where ma emperors at?"
...und heute war es wieder so weit.

Sie seufzte wieder tief. Warum konnte er es einfach nicht lassen? Einfach seine Klappe halten? Sie wusste, sie musste etwas tun, so konnte es nicht weiter gehen. Vielleicht wenn sie einmal das umsetzte, was sie immer drohte, vielleicht würde er dann aufhören und sie könnten wieder getrennt existieren und müssten nicht immer aneinander geraten.

Sie wollte doch einfach nur in Ruhe ihre Arbeit machen. Es war sowieso eines der  einzigen Möglichkeiten das Gefängnis, das ihre Eltern ihr erbaut hatten, zu verlassen. Die Bibliothek war ein Ort der Träume, sie konnte einfach davon träumen das zu machen, was sie wollte und nicht immer alles verboten zu bekommen. Wie gerne sie mal auf eine Party wollte oder nicht immer die Klamotten tragen wollte, die ihre Eltern für sie aussuchten.

In der Bibliothek war sie einfach frei.

Es war schwer gewesen ihre Eltern dazu zu überreden sie hier arbeiten zu lassen, aber sie hatte es endlich geschafft, nachdem sie versprochen hatte, keinen Jungs hinter Bücherregale zu folgen, was ein sehr lächerliches Versprechen war, denn erstens hätte nie jemand Interesse an ihr, egal welchen Geschlechts und zweitens war es ja nicht so, als wäre sie naiv.
Unschuldig ja, aber niemals naiv!
Sie hatte dafür schon zu viele Bücher über solche Themen gelesen, was sie ihren Eltern gegenüber nie zugeben würde, denn diese verteufelten solche „Schundliteratur", was es aber im Endeffekt noch interessanter für sie machte.

Einerseits das Kribbeln, weil es ihr eigentlich verboten war, andererseits die Leidenschaft, die immer von den Hauptpersonen ausging, trieb sie dazu immer wieder solch ein Buch in die Hand zu nehmen und geradezu zu verschlingen. Es war einfach zu verlockend. Trotzdem musste sie regelmäßig bei dem Gedanken weinen, niemals solch eine Person zu finden, die sie so liebte und sie aus ihrer Einsamkeit befreite, die ihr täglich die Luft zum Atmen nahm.

„I'mma peter pan, so this will never end"
...ach ja, da war ja was.

Entschlossen ballte sie die Fäuste. Diesmal würde sie Konsequenzen ziehen. Er musste es ein für alle mal lernen.

Bibliophilie // Namjoon Ff Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt