Tagtraum

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Ich liege im Gras und denke daran, einfach mal allein zu sein.

Ich stelle mich als einziges Lebewesen auf einer endlosen grünen Wiese vor. Alles ist stumm. Ich höre nur meinen gleichmäßigen Herzschlag und spüre meinen leisen Atem, wie sich mein Brustkorb hebt und senkt.

Ich kann meinen Körper fühlen. Ich kann ich selbst sein. Ich begreife, dass ich nicht auf der Welt bin, um so zu sein, wie mich andere haben wollen.

Niemand beobachtet mich. Niemand befiehlt mir. Ich fühle mich seit langer Zeit wieder befreit und wohl in meiner Haut. Ich nehme jede meiner Bewegungen bewusst wahr. Sie fühlen sich leicht, fast schwerelos an. Als wäre mir zwei unsichtbare Flügel gewachsen.

Ich habe das Gefühl, mich gefunden zu haben. Ich fühle mich stark und selbstbewusst.

Keine Termine, keine Klausuren, keine Aufgaben: Ich habe einfach Zeit, alle Zeit der Welt.

Ich habe Zeit, über mich nachzudenken. Mein Kopf ist vollkommen klar.

An diesem Ort in meinem Gedanken sind die Probleme meilenweit entfernt. So weit entfernt, dass ich sie selbst mit einem Fernglas nicht mehr erblicken kann.

Eine wohlige Wärme breitet sich in mir aus und ich habe das dringende Bedürfnis, meine Augen zu schließen und zu genießen.

Doch von dem einen auf den anderen Moment kommt dieses teuflische Gefühl über mich.

Ich bekomme eine Gänsehaut und meine Nackenhaare stellen sich auf. Niemand ist immun gegen dieses Gefühl, isoliert zu sein, genauso wenig wie man nicht immun gegen Hungergefühle oder Schmerz sein kann. Es ist das Gefühl der Einsamkeit, dass mir den Verstand raubt.

Ich fürchte die Einsamkeit wie der sprichwörtliche Blinde, der die Dunkelheit fürchtet.

Ich komme mir selber Volkommen fremd vor und fühle mich nicht wohl in meiner Haut. Mein Ohr nimmt ein andauerndes Pfeifen, eine Art Piepton, wahr. Es hört einfach nicht auf.

Mein Atem wird schneller und mein Kopf bebt. Mein Selbstbewusstsein und Stärkeempfinden ist verschwunden. Stattdessen gleiche ich einem seelischen Wrack.

Es sticht. Es nagt. Innerlich werde ich davon zerfressen. Langsam merke ich, wie mir eine heiße Flüssigkeit in die Augen steigt.

Durch meine verschwommen Sicht kann ich die endlose Wiese erkennen. Nun erscheint sie mir grau und düster, als warte sie nur darauf, ihr nächstes Opfer zu verschlingen.

Sie macht mir Angst.
Alles macht mir Angst.
Ich bekomme Depressionen.
Ich fühle mich hilflos und verlassen von jedem.

Ich liege am Strand, und Wellen von Schmerz brechen über mich herein, aber ich kann nicht ertrinken.

Keiner ist bei mir und tröstet mich. Und während mein Selbstmittleid von Minute zu Minute größer wird, stelle ich mir immer wieder dieselbe Frage: Wer bin ich?

Es gibt einen Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit.

Während Einsamkeit regelrecht krank machen kann, können wir das bewusste Alleinsein dazu nutzen, uns selbst näher zu kommen und uns Auszeiten vom Stress zu nehmen.

Doch die Gefahr vom Alleinsein in die Einsamkeit zu verfallen, ist groß.

Ein Mensch ist erst durch andere Menschen ein Mensch.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 10, 2018 ⏰

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