🌹 II.

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Es trieb Sehun in den inneren Kreis. An irgendeinem Punkt war er zu seinem persönlichen sicheren Ort geworden. Er befand sich buchstäblich mitten im Schlossgarten und doch fühlte es sich an, als wäre man meilenweit weg von allem und jedem. Ein unsagbar beruhigendes Gefühl.

Sehun schürte das Feuer, das in einer kleinen Grube vor sich hin glühte, bis es wieder fröhlich zu lodern begann und die Erde um sich herum angenehm erwärmte. Dann ließ er sich daneben nieder, legte sich bäuchlings ins Gras und stützte seinen Kopf innerhalb des kleinen umzäunten Quadrats auf den Unterarmen ab.

Sachte streckte er einen Zeigefinger nach dem Gänseblümchen aus und strich über seine schlappen Blütenblätter. »Was kann ich nur tun, damit es dir besser geht?«, sprach er gedankenverloren in die Stille der Nacht hinein. In dem Moment kam Sehun ein verrückter Einfall.
Yixing hatte ihm davon berichtet, dass Menschen es fühlten, wenn ihrer Blume etwas Schlechtes angetan wurde. Was jedoch würde passieren, wenn man einer Blume besondere Aufmerksamkeit schenkte?
Auch, wenn Yixing wohl bloß scherzte, als er Sehun sagte, die königlichen Blumen würden es mögen, wenn man sich vor ihnen verbeugte und ihnen Respekt zollte, war es womöglich ja doch nicht nur Spinnerei.

Sehun hatte schon öfter gehört, wie andere Gärtner zu den Blumen sprachen, die sie gerade gossen, wie sie ihnen sagten, wie hübsch sie doch aussahen und wie wundervoll sie zuletzt gediehen waren. Er hatte es stets albern gefunden, doch mittlerweile war er sich nicht mehr sicher, ob es nicht vielleicht doch einen positiven Effekt auf die Blumen und damit auf die dazugehörigen Menschen hatte.
Zumindest war es den Versuch wert.

Er räusperte sich und kam sich eigenartig vor, als er erneut die Stimme erhob. Er wusste nicht recht, was er sagen sollte und entschied sich zunächst schlicht dazu, sich Luhans Gänseblümchen vorzustellen. Seine Wangen hatten einen leichten Rosaton angenommen, als er fortfuhr und der Blume von seinem Leben im Schloss berichtete, von seinen Freunden und davon wie er die Arbeit im Schlossgarten empfand.
Sehun hatte nicht aufgehört, das Blümchen immer wieder anzustupsen, und sanft über die Blätter zu streichen, natürlich bloß so leicht, dass er nicht Gefahr lief, es umzuknicken. Nach einer Weile gewöhnte er sich an das seltsame Gefühl, legte seine Scheu ab, weil es ohnehin mehr als unwahrscheinlich war, dass jemand zu dieser Stunde in den Garten kam, und konnte frei sprechen.


Es war schon hell, als Sehun durch das Geräusch eines schweren Metallschlosses, das hinter ihm aufgesperrt wurde, aufwachte. Blinzelnd rieb er sich die Augen und sah in die verdutzten Gesichter zweier Gärtner, die den inneren Kreis betraten, um die königlichen Blumen zu bewässern.
Sehuns Brust schmerzte, weil er auf dem Zäunchen gelegen hatte, das nun traurig und leicht geplättet mit allerletzter Kraft vor ihm stand. Hastig richtete er es wieder auf, bevor er selbst aufstand.

»Bist du in Ordnung?«, fragte einer der Gärtner zögerlich, woraufhin Sehun überschwänglich nickte.
»Alles in Ordnung, danke.« Er verbeugte sich tief und wandte sich zum Gehen, nicht jedoch ohne einen kurzen Blick in Richtung des Gänseblümchens zu werfen.

Sehun konnte sich irren, doch für ihn wirkte es - zumindest ein kleinwenig - kräftiger als zuvor.


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Luhan räkelte sich unter seinen Daunendecken. Einen Moment dauerte es, bis er realisierte, dass er durch das Eintreten seines Kammerdieners geweckt worden war und durch das Licht, das er durch die Fenster hineinließ, als er die schweren Vorhänge zur Seite schob. Der Prinz konnte sich nicht daran erinnern, wann das zuletzt der Fall gewesen war. Für gewöhnlich wurde Luhan durch sein eigenes Schlottern wach, meist mehrmals pro Nacht; heute jedoch hatte er scheinbar durchgeschlafen.

Es war ein nur schwer beschreibbares Gefühl von Zufriedenheit, das ihn erfüllte. Er konnte jenes Gefühl nicht in Worte fassen, doch trug er es auf dem Gesicht.

blumenkind │ HUNHANWo Geschichten leben. Entdecke jetzt