Meine Mutter hat immer gesagt, wie abscheulich sie es fand, wenn jemand weinte. Sie hat gemeint, wer weint, zeigt Schwäche, und wer schwach ist, hat schon verloren. Es ist nicht so, als wäre meine Mutter komplett gefühlslos gewesen, aber sie hat nie gerne ihre Schwächen gezeigt. Ich bin ihre größte Schwäche gewesen, deswegen durfte ich nie weiter als zwanzig Meter von unserem Haus entfernt sein. Mir hat das nie viel ausgemacht, aber an manchen Tagen hatte ich doch einen Schwächeanfall und habe angefangen zu weinen. Mich hat dann niemand getröstet, ich war bei so was immer auf mich alleine gestellt. Meine Cousine ist damals meine beste und einzige Freundin gewesen.
Ich habe nicht geweint, als ich meine Eltern vor genau einem Monat bei den Neseirn zurückgelassen habe, und werde es auch in Zukunft nicht tun.
In Liby ist alles anders als in meinem Heimatsdorf. Hier ist alles viel größer und ich hätte mir auch damals nicht vorstellen können, dass noch so viele Menschen leben.
Vor ziemlich genau dreißig Jahren haben die Neseir, angetrieben von einer fernen, unbekannten Quelle, unseren Planeten angegriffen und ihn zu dem gemacht, was er heute ist – Sandwüste, wenig tropischer Regenwald und selten Städte mit Menschen, die den Angriff überlebt haben.
Als ich klein war, schwillte meine Mutter oft in Erinnerungen an ihre Kindheit und somit an die Welt, wie sie früher gewesen ist. Wenn ich mir heute vorstelle, dass es mal sehr viel Wasser auf unserem Planeten gegeben hat, kann ich es einfach nicht glauben, es sei denn, ich sehe Bilder davon in der Schule. Die gibt es leider immer noch, obwohl ich bis vor kurzem nicht wirklich wusste, was Schule überhaupt ist. - Eine stinklangweilige, öde Lerneinrichtung für Kinder, wie ich feststellen musste.
Seit ich in Liby bin, hat sich mein Leben so drastisch geändert, dass man sagen könnte, ich hätte alles neu lernen müssen, als wenn ich wieder ein Baby gewesen wäre. Hier ist wirklich alles anders - Die Verhaltensweisen, andere Kulturen, ja hier gab es sogar ein Kino. Früher mag das vielleicht keine Besonderheit gewesen sein, aber mittlerweile ist das wahrscheinlich das einzige Kino, das es überhaupt noch gibt. In meinem Heimatsdorf hat es nur Häuser zum Wohnen gegeben und davon auch nicht viel. Hier gibt es Kleidungsgeschäfte, Cafés und noch vieles weitere. Liby ist von hohen Mauern umgeben. Niemand kommt einfach in die Stadt rein oder aus der Stadt heraus, nicht mal wir Menschen.
Handys gibt es nicht mehr. Ich hätte gerne in der Zeit gelebt, als es noch massenweise Handys gab. Meine Mutter hatte als junger Teenager ein Handy gehabt. Sie hat mir oft davon erzählt. - Meine Mutter hat generell sehr gerne erzählt. Heute darf man keine Handys mehr haben, nicht mal mehr Telefone. Zu groß wäre die Chance, dass man abgehört werden könnte, aber mal ehrlich; von wem sollte man denn noch abgehört werden?! - Von der Quelle vielleicht? Ich denke ja immernoch, dass die Quelle einfach nur ein leuchtender Gegenstand ist, aber mit dieser Meinung bin ich so gut wie alleine.
Die meisten Menschen haben eine Megaangst, die Quelle könnte auftauchen und die Stadt komplett zerstören. Hirngespinste vom Feinsten, sag ich da nur.
Das Wetter ist katastrophal auf der Erde, die mittlerweile nur noch Desaster genannt wird, weil einfach überhaupt nichts mehr so ist, wie es mal war. Schon seit klein auf habe ich eine wichtige Lektion immer und immer wieder eingetrichtert bekommen: 'Der Schein trügt'.
Seit Jahren hat es schon nicht mehr richtig geregnet, die Sonne scheint unermüdlich den ganzen Tag auf der Erde, was nicht gerade zum Vorteil von uns Menschen ist, denn mittlerweile sterben bis zu fünfzig Prozent alleine an Hungertod oder sie verdursten.
Aber kommen wir jetzt zu meinem neuen, vermutlich besseren Leben in der neuen Stadt, die viel mehr Gefahren mit sich bringt, als am Anfang angenommen...
Jackson, mein meist verhasster Feind aus der Parallelklasse, stellte mir ein Bein, sodass ich der Länge nach hinflog und auf meinem Tablett landete, dass mit vielen leckeren Sachen bepackt war, die ich eigentlich noch essen wollte.