«Verfluchte Scheisse. Du lügst, oder?»
Der junge Soldat blickte seinen Mentor aus grossen Augen an und in seinem Gesicht stand pures Entsetzen geschrieben. Mael, ein grossgewachsener, stämmiger, junger Mann stand daneben und lächelte verschmitzt in sich hinein. Wie oft hatte er die Geschichte in seiner Ausbildung bereits gehört. Es war ein gängiger Spass, welche die erfahrenen Männer der Königsgarde mit den Neulingen machten. Die Reaktionen darauf, wurden einfach nie langweilig. Odin, einer der älteren Wächter und Mentor des armen Knaben, klopfte ihm grölend auf die Schulter.
«Du hättest dein Gesicht sehen sollen!», lachte er und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
Der Jüngling blickte peinlich berührt zu Boden, ehe auch ihm ein Lächeln über das Gesicht huschte.
«Ach, mein Junge! Solche Bestien würden sich niemals so nahe an Seydar heranwagen. Das sind doch nur Geschichten!», sagte Odin, als er sich langsam wieder beruhigt hatte.
«Der Spass hat er auch mit mir gemacht, keine Sorge», flüsterte Mael dem Neuling ins Ohr und zwinkert ihm verschwörerisch zu.
«Gerüchte verbreiten sich schnell, man hört zur Zeit viel in der Stadt!», erwiderte der junge Soldat, um seine Reaktion zu rechtfertigen.
Er erntete aber nur wieder spöttisches Gelächter von Odin.
«Der Krieg macht die Menschen naiv und leichtgläubig, wie ein Lamm, das zum Schlächter geführt wird», sprach Odin und strich sich gedankenverloren durch seinen roten Bart, «Sag mir, was siehst du, wenn du hier hinunterblickst?»
Die Frage hatte er auch Mael gestellt. Noch gut konnte er sich daran erinnern, wie er nervös und stolz zugleich an diesem Ort stand. Seine frisch polierte, eiserne Rüstung, mit dem königlichen Wappen von Seydar darauf, glänzte im Licht der Sonne und sein extra für ihn angefertigtes Schwert lag ihm perfekt in der Hand.
Tatsächlich war es eine schwierige Frage, denn von diesem Punkt aus, genau vor dem Eingang zur Burg, hatte man einen perfekten Ausblick über die ganze Stadt. Man sah sogar die Bauernhöfe in der Ferne, das Quartier der Reichen, das Lazarett, das Armenviertel, die Schmieden, Reitplätze, Marktplätze und natürlich die grosse Kirche, welche sich mit ihrem fünf Dächern in den bewölkten Himmel erstreckte. Es erinnerte Mael immer an ein rotes Meer, denn alle Hausdächer bestanden aus Ziegel und verliefen wie gefaltete Hände perfekt ineinander über. Ja, die Gassen von Seydar glichen einem Labyrinth und man konnte sich so schnell verlaufen. Wenn man auf der Hauptstrasse blieb, gelangte man schnell von der Anlegestelle, zum Marktplatz, über die vielen Plätze, weiter zur Kirche, bis man über einen langen, noch steileren Pfad die Burg erreichte. Gerne nannte man diesen Weg auch die Leiter zum Himmelstor. Hoch oben auf einem Hügel ragte sie mächtig über die Stadt, beständig und unerreichbar für die Feinde. Oftmals sah es von unten so aus, als würde die Burg auf den Wolken schweben und wie die alten Götter über sie wachen. Tatsächlich taten sie dies auch. Mehr als vier Dutzende Männer bewachten den Weg und das Areal um den Sitz des Königs. Man konnte keinen Schritt, keine Bewegung tun, ohne dass es der Wache entging.
Gespannt wartet Mael auf die Antwort des Knaben, welcher mit zusammengekniffenen Augen die Landschaft überflog.
«Ich sehe eine Stadt, die beschützt werden muss!», sagte er mit selbstgefälligem Ton und geschwelgter Brust.
Dieses Mal konnte sich auch Mael das Grinsen nicht verkneifen. Dieser Neuling musste unbedingt Mal die Toiletten der Wächter putzen! Auch Odin versuchte, ernst zu bleiben, was ihm minder gut gelang.
«Diese Stadt muss tatsächlich beschützt werden!», sprach er mit möglichst gelassener Stimme, doch seine Augen zuckten amüsiert.
Gerade als er zu einer weiteren Frage ansetzen wollte, hörte man plötzlich lautes Hufgetrappel, welches sich im rasanten Tempo näherte. Odin verstummte und warf Mael einen irritierten Blick zu. Sie bekamen keine Anweisungen auf kommende Gäste zu solch früher Uhrzeit. Um den König konnte es sich nicht handeln, dieser würde sich mit Fanfaren und Vorreitern anmelden. Den Hufschritten zu urteilen, musste es sich um mehr als drei Personen handeln.
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Pfad der Vergessenen
FantasyAls Keira eines Abends von einer vermummten Gestalt einen Stein übergeben bekommt, überschlagen sich die Ereignisse. Ein alter Hexenstamm sucht die verunsicherte Frau auf und zwingt sie, mit ihnen mitzukommen. Dort erfährt sie von den vergangenen Ge...