Vor fast hundert Jahren...
„ Was habe ich so schlimmes getan? Was habe ich dir getan, dass du mir das antun musst?" Der Klang seiner Stimme war nicht mehr als ein panisches, heiseres Kratzen. Er wagte es nicht, einen Blick nach hinten zu riskieren. Das Messer, das mit zu viel Druck gegen seine Kehle gepresst wurde, und das Wissen, dass dieser Blick nach Hinten sein sicherer Tod wäre, genügten um zu wiederstehen. Ein eisiger Wind durchfuhr seine Haare und ließ ihn erschaudern. „Was du mir getan hast?", fragte der Mann aus seinen Träumen und drückte ihm das Messer noch ein wenig fester in die Haut. „Du hast mir meine Frau genommen! Du hast mein Leben zerstört. Ich hätte glücklich werden können mit ihr. Und dann warst du plötzlich da, hast alles ruiniert. Und jetzt? Jetzt ist sie Tod! Also bitte, wenn ich sie schon nicht mehr lieben kann, dann lass mich wenigstens das letzte tun, was ich für sie noch tun kann. Ihren Tod rächen. An dir!" Sein lautes, verzweifeltes Lachen schallte von den Klippen wieder und wurde schließlich von dem Geräusch der tosenden, schäumenden Wellen tief unter ihnen übertönt. „ Hör mir zu. Ihr Tod war weder meine, noch deine oder gar ihre eigene Schuld. Es war ein Unfall. Und wir können es nicht ändern. Sie ist Tod, verdammt noch mal, und es zerreist mir das Herz. Aber wir können es nicht ändern. Und es bringt nichts, wenn wir uns Tag für Tag schuldig fühlen, denn auch wir werden sterben. Wir sollten an sie denken und dabei glücklich sein. Du solltest mich nicht töten und dann denken, sie wäre jetzt glücklich. Du solltest mich nicht töten um selber glücklich zu werden. Das hätte sie nicht gewollt. Also überlege bitte und handle in ihrem Willen. Wenn ich sterben muss, dann für sie und nicht für dich." Seine Stimme war nur ein heiseres krächzen, das Messer an seiner Kehle machte ihm das Sprechen zunehmend schwerer. Aber er war sich sicher, der Fremde hatte ihn verstanden. „Ich soll also glücklich weiterleben? Für sie? Das kann ich nicht. Für ein Glückliches Leben brauche ich die Gewissheit, dass dem Menschen, der mir mein Glück genommen hat, seines auch genommen wurde. Also stirb für sie, wenn es dir am Herzen liegt. Stirb und erzähle ihr im Reich der Toten von mir und meiner Tat. Und sie wird sich denken: „Ach Anthony, wäre ich bei dir geblieben, hätten wir zwei glücklich zusammen gelebt, dann wäre er gestorben und nicht ich. Dann wäre er unglücklich, und nicht ich." Aber so ist es ja leider nicht. So müsst ihr beide sterben, um mir ein glückliches Leben zu bescheren." Und mit diesen Worten drückte der Fremde im das Messer in die Kehle und stieß ihn von der Klippe in die endlosen, tosenden Tiefen des Meeres. Und er fiel, sein Körper wurde von den schäumenden Wellen verschlungen und in die ruhelosen Tiefen der See gezogen, tiefer und tiefer.
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Lavendelsommer
Mystery / Thriller"Vielleicht war es die Leichtsinnigkeit, die mich die Tür öffnen ließ. Vielleicht war es die Leichtsinnigkeit, die mich dazu überredete nicht umzukehren und zu gehen. Vielleicht war es die Leichtsinnigkeit, die mir das größte Abenteuer meines Lebens...