Aquaphobie (: aqua: „Wasser" und : φόβος: phobos: „Furcht") ist eine , die sich als vor äußert.
Die Wassermassen schlagen über mir zusammen und drücken mich unter Wasser, meine Glieder kalt und schwer, meine Lunge schmerzt vom verschluckten Salzwasser, um mich herum wird das Meer immer dunkler, immer schwärzer. Meine Kleidung klebt an meinem Körper und fühlt sich an wie Blei das mich immer weiter in diese Dunkelheit, diese Stille zieht. Die Ruhe ist verlockend, anziehend und beruhigend. Sie macht mich müde, schwach. Umso weiter ich sinke, desto mehr fühle ich mich alleine, verloren, zurückgelassen. Ein Wort kreist in meinem Kopf umher, eigentlich ein grauenvolles, schreckliches, aber trotzdem so tröstliches Wort: das Ende. Soll ich aufhören zu kämpfen, aufhören durchzuhalten, einfach loslassen? Ich würde so gerne loslassen, so gerne schwach sein, so gerne aufgeben, aber es fühlt sich so falsch an, so als würde ich dabei auch einen Teil von mir verlieren. Da wird mir etwas klar, so klar wie noch nie: Ich will noch nicht sterben. Der Druck auf meiner Brust wird immer schlimmer und droht mich zu ersticken. Die Schwärze ist dabei mich aufzufressen, auszulöschen. Meine Gliedmaßen erwachen aus ihrer Starre und ich versuche mich wieder zur Wasseroberfläche hoch zu kämpfen. Meine Muskeln brennen und ich würde so gerne nach Luft schnappen, aber das darf ich nicht. Der Gedanke, dass das nicht das Ende meines Lebens, meiner Geschichte sein soll kreist immer weiter in meinem Kopf und sorgt dafür durchzuhalten, weiter zu machen. Endlich durchbreche ich die Wasseroberfläche und schnappe keuchend nach Luft. Orientierungslos gleitet mein Blick über das aufgewühlte Meer. Das Rauschen der Wellen übertönt alles, jeden meiner verzweifelten Gedanken die wild durch meinen Kopf rasen, jeden keuchenden Atemzug und jeden meiner Herzschläge.
Die Haustür schlägt hinter uns zu und wir bahnen uns einen Weg durch unsere Vorgarten Richtung Auto. Dad entriegelt es schon von weitem und ein lautes Piepen ertönt. Ich steige ein und schlage die Autotür zu. Ungeschickt krame ich meine Kopfhörer aus den Tiefen der Seitentaschen meiner Kapuzenjacke und stecke sie mir in die Ohren. Sogleich ertönt die leise, melodische Stimme der Sängerin in meinen Ohren und ich versinke in dem Lied. Mum und Dad steigen ebenfalls ein, der Wagen setzt sich langsam in Bewegung und ich versucht alles um mich herum auszublenden. Das klappt anfangs auch ganz gut, bis Mum versuch Smalltalk zu betreiben. „Wie geh es eigentlich Alisha?" fragt sie und dreht sich so weit wie es ihr Gurt zulässt zu mir um. Ich tue so als ob ich sie nicht gehört hätte, drehe meinem Kopf zum Fenster und beobachte die Landschaft die an uns vorbeizieht. Als ich nicht antworte dreht sie sich mit einem dramatischen Seufzer wieder zu Dad und zischt ihm etwas zu das ich nicht verstehen kann. West Palm Beach zieht an uns vorbei, die Wellen die über den Sand rollen, die Surfer die übers Meer jagen und die vielen Menschen die sich eine Abkühlung von der erdrückenden Hitze verschaffen wollen. Mein Herz fängt an wie wild zu pochen, ich kralle meine Finger in den Sitz, eine Gänsehaut überzieht meine Arme und Beine und ein eiskalter Schauer läuft mir über den Rücken, meine Wirbelsäule hinab. Ich kann mich nicht von dem Anblick der Wellen losreißen, mein Atem geht unregelmäßig und ich zittere. Ich bin froh, als Palmen mir den Blick auf das Meer versperren und wir in eine andere Richtung abbiegen. Langsam beruhige ich mich mein Herz findet seinen Rhythmus wieder. Die Landschaft verändert sich langsam und immer mehr Bürokomplexe säumen die Straßenseiten. Wir sind bald da. Nervös knete ich meine Finger und beiße mir immer wieder auf die Lippe, bis sie schon ganz blutig ist und der metallisch Geschmack meinen Mund erfüllt. Der Wagen hält und wir steigen aus. Die Hitze ist erdrückend und die Luft ist schwül. Wir stehen vor dem mir so vertrauten Hochhaus in dessen großen Fenster sich die strahlende Sonne spiegelt. Ich ziehe mir die Kopfhörer aus den Ohren und lasse sie wieder in meiner Jackentasche verschwinden. Versunken in meinen Gedanken bemerke ich gar nicht, dass Mum und Dad bereits durch die Tür verschwunden sind. Eilig folge ich ihnen und kann sie kurz vor dem Aufzug, der mit einem leisen Pling auf unserer Etage hält, einholen. Im Fahrstuhl wird leise Musik gespielt und ich betrachte mich aufmerksam im eingebauten Spiegel. Mein mittellanges blondes Haar fällt in leichten Wellen über meine Schulter, die eisblauen Augen die mich emotionslos und doch so stechend mustern, meine harten Wangenknochen, die kleine Stupsnase durch die ich viel jünger als sechzehn aussehe, die markanten Gesichtszüge, meine schmalen Lippen, meine Arme, die viel zu lang für meine kleine Körpergröße scheinen und meine leichten Sommersprossen die von meinen Wangen bis zu meiner Nase mein Gesicht bedecken. Die Fahrstuhltüren gleiten auf und ich zucke erschrocken zusammen, als Mindy, die Sekretärin meiner Therapeutin Dr. Anderson uns begrüßt. Ihr dunkelbraunes Haar ist zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und sie lächelt uns mit ihren strahlend weißen Zähnen warm an. Sie steht von ihrem Bürostuhl auf und kommt auf uns zu. Ihrer dunkelbraunen Augen mustern uns aufmerksam und erfassen jedes noch so kleine Detail.„Soraya, du kannst gleich schon mitkommen." meint sie und ihre beruhigende Stimme lässt mich aufhören an dem Armband, das an meiner rechten Hand baumelt, herum zu fummeln. Meine Eltern warten wie immer im Wartezimmer und ich folge Mindy den Flur entlang und dann in das Sprechzimmer von Dr. Anderson. Sie erwartet uns bereits und begrüßt mich freundlich. So wie immer setze ich mich auf die Couch, die neben dem Sessel steht in dem sie immer sitzt. „Wie war deine Woche?" fragt sie mich freundlich.„Nicht so gut." murmele ich nur und blicke auf meine Sneaker hinab. Sie macht sich eine Notiz auf ihr Klemmbrett und blickt mich dann wieder durchdringend an.„Was ist passiert?" fragt sie und Besorgtheit liegt in ihrer Stimme.„Es gab einen kleinen Zwischenfall..." ich stocke und meine Stimme bricht.„Möchtest du mir davon erzählen?" fragt Dr. Anderson und ihr Blick lastet schwer auf mir. Ich kann nicht antworten, da ich plötzlich nicht mehr neben ihr sitze sondern wieder mit Alisha und Ella im Freibad bin. Es hatte mich enorme Überwindung gekosten mitzukommen, aber Alisha hatte kein nein akzeptiert, also hatte ich keine Wahl und bin mitgegangen. Zuerst war auch alles ok, bis die beiden unbedingt ins Wasser wollten und mich mitgeschleift haben. Vor dem Schwimmbecken angekommen fing ich an mich immer heftiger zu wehren, aber sie ließen einfach nicht locker. Ich weiß sie meinten das Ganze nur als kleinen Spaß, aber das war es für mich nicht. Ella kicherte, genau wie Alisha, die beiden fanden es zum Totlachen.
Ich nicht.
Als Ella mich dann noch einmal am Arm Richtung Wasser zog, verlor ich das Gleichgewicht, wankte und stürzte ins Wasser. Das eisblaue Wasser umfing mich mit seinen Klauen und ich befand mich plötzlich wieder in der Zeit vor zwei Jahren.
DU LIEST GERADE
Collection of fear
Short StoryAngst ist ein Grundgefühl, welches sich in als bedrohlich empfundenen Situationen als Besorgnis und unlustbetonte Erregung äußert. Auslöser können dabei erwartete Bedrohungen etwa der körperlichen Unversehrtheit, der Selbstachtung oder des Selbstbil...