Aimee Mikou, 17, Florida

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Als Mysophobie (Ansteckungsphobie), auch Molysmophobie oder Misophobie genannt, wird eine übersteigerte und vor Kontakt mit oder der durch , etc. bezeichnet. Die Angst kann sich auf real existierende Verunreinigungen beziehen, aber auch ausschließlich in der Fantasie der Betroffenen existieren. Die Folge ist ein extremes Meidungsverhalten sowie im Allgemeinen ein Waschzwang bzw. Putzzwang.

Meine Hände brennen, doch ich kann nicht aufhören. Ich schrubbe immer weiter mit der Nagelbürste über meine geröteten Hände. Die Borsten kratzen meine Haut immer weiter auf, doch ich kann noch nicht aufhören. Ich beginne langsam zu zählen: 1, 2, 3, 4, 5, 6... Immer weiter und weiter. 95, 96, 97, 98, 99, 100. Mit meinem Ellenbogen mache ich den Wasserhahn aus und trockne mir danach die Hände an einem frischen Handtuch ab. Ich greife zum Desinfektionsmittel und besprühe meine Arme und Hände 5-mal damit. Es brennt höllisch, frisst sich durch meine Zellen und vertreibt einen Teil der Bazillenkolonie von meinem Körper. Aber nicht alles und so lebe ich weiter in meinem parasitären Organismus, indem ich von Bakterien kontrolliert werde, so zumindest meine These. Ich verlasse das Badezimmer und gehe zurück in mein Zimmer. Meine Schultasche ist bereits gepackt, aber ich muss nochmal alles durchgehen, bevor ich guten Gewissens losgehen kann. 1 Ordner und 2 Hefte für Musik, 3 Hefte, 2 Bücher und einen Ordner für Latein, ein Ordner für Geschichte. Ich habe meine 2 Mäppchen, etwas zu trinken, mein Hausaufgabenheft, Haargummis und meinen Haustürschlüssel. Habe ich wirklich alles? Ich schaue noch einmal nach: 1 Ordner und 2 Hefte für Musik, 3 Hefte, 2 Bücher und einen Ordner für Latein, ein Ordner für Geschichte. Ich habe meine 2 Mäppchen, etwas zu trinken, mein Hausaufgabenheft, Haargummis und meinen Haustürschlüssel. Ich habe alles. Ich schultere meinen Rucksack und mache mich auf den Weg in die Schule. Ich habe es nicht wirklich weit und so kann ich nach knapp einer viertel Stunde Fußweg das Schulgebäude sehen. Die wenigsten sind jetzt schon da, genau das was ich wollte.

Mit meinem Unterarm drücke ich, möglichst darauf bedacht die Türklinke, auf der sich mehr als 70.000 Bakterien befinden, nicht zu berühren, die Eingangstür auf. Allein bei dem Gedanken an die ganzen Bakterien steigt Panik in mir auf. Blanke Angst. Ich vergrabe meine Hände in den Jackentaschen und senke den Kopf. Eine kleine Gruppe von Teenagern steht im Foyer, sie scherzen und haben Spaß, doch als sie mich sehen verstummt ihr Gelächter und ein Murmeln tritt an dessen Stelle. Ich weiß was Alle über mich sagen, was sie flüstern wann auch immer ich auftauche. Doch das ist mir egal, meistens jedenfalls. Schnell gehe ich an ihnen vorbei zu meinem Klassenzimmer. Es ist abgeschlossen und so setzt ich mich davor auf den Boden und warte. Warte, darauf dass der Unterricht beginnt, dass meine verseuchten Mitschüler kommen, dass ihre Bakterien auf mich übergehen, , dass sie durch meine Haut in meinen Körper gelangen, dass sie sich bei mir einnisten, dass sie eins mit mir werden und dass ich endlich wieder nachhause gehen kann und dort Stunden damit verbringen kann zu versuchen diese doch so tödlichen Bakterien von meinem Körper abzuschrubben, bis meine Haut schon ganz blutig ist und ich wieder das Gefühl habe sauber genug zu sein, auch wenn ich weiß, dass ich nie ganz frei sein kann. In dieses Karussell gefangen sitzt ich, bewegungsunfähig vor mich hin starren, im Flur und ziehe mich mit meinen Gedanken immer weiter runter. Fast schon bin ich froh als endlich das Klingeln, das den Unterricht einleitet, ertönt.

Der Tag verläuft gut, wirklich. Keine verletzenden Kommentare auf dem Flur und keine blöden Rempler die mich, ausversehen natürlich, über den Haufen rennen. Alles ist... Ein Stoß lässt mich nach hinten taumeln. Ich knalle mit dem Kopf gegen die Wand. Frauenhände umklammern grob meine Schulter. Künstliche Fingernägel bohren sich in mein Fleisch. Ich versuche mich zu wehren, schubse sie weg, doch ihr Klammergriff ist wie ein Schraubstock, erbarmungslos. Ich trete nach ihr im Versuch frei zu kommen, doch sie zieht mich grimmig weiter. An den Haaren schleift sie mich in die Mädchentoilette. Ich höre Kichern um uns herum. Warum macht denn niemand etwas? Ich beginne zu schluchzen, trete um mich, doch sie ist einfach stärker. Ihre Freundinnen scharen sich um uns herum, tuscheln. Durch einem Stoß werde ich in eine der Toilettenkabinen geschubst. Die Tür wir hinter mir zugezogen. Verzweifelt stemme ich mich gegen sie, rufe laut um Hilfe, doch all das hilft nicht. Ich bin hier gefangen. Ich spüre wie die Bakterien sich auf mir bewegen, sich meinem Körper bemächtigen. Milliarden von ihnen. Jeder Mensch besteht zu 50% aus Bakterien und ich kann jedes noch so kleine Bakterium spüren, wie sie mich krank machen, mich von innen nach außen vergiften. Alles. Nach ein paar Minuten gebe ich meine Bemühungen auf. Ich sinke zu Boden, weine nur noch stumm vor mich hin.

Es war der 06.05.2017 gewesen, ein Samstagabend. Meine Eltern wollten erstmals nach der Geburt meiner kleinen Schwester ausgehen und ich durfte die Babysitterin spielen. Ich weiß noch, dass ich gar keine Lust hatte, viel lieber wollte ich mit meinen Freunden abhängen und Spaß haben. Meine Eltern waren gerade am Gehen und gaben mir noch ein paar letzte Hinweise, doch die ignorierte ich geflissentlich und starrte stattdessen lieber auf mein Handy. Sie verabschiedeten sich von mir, sagten sie hätten mich lieb und machten sich dann auf den Weg zu ihrem Dinner.

Meine kleine Schwester starb noch am selben Tag. Eine Neugeborenensepsis sagten sie. Man habe getan was man konnte sagten sie. Ihr Zustand war einfach schon zu schlecht gewesen als sie eingeliefert wurde sagten sie. Die todbringenden Bakterien nannten sich B-Streptokokken, sagten sie. Sie sagten vieles. Nur eines nicht. Nämlich das ich schuld war. Ich hatte nicht bemerkt wie schlimm es um sie stand, hatte viel zu spät erst reagiert. Ich war schuld an ihrem Tod, ganz alleine ich und das würde sich niemals ändern. Von dieser Schuld würde ich mich niemals freisagen könne, denn sie ist tod und wird niemals wieder lebendig sein, aufwachsen , Freunde finden, in die Schule gehen, Erwachsen werden, heiraten, selber Kinder bekommen können. Und ich war schuld, weil ich nicht genug auf sie aufgepasste habe, sie nicht vor diesen Bakterien beschützen konnte, sie nicht retten konnte.

Collection of fearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt