Kapitel Zwei

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"Nein."

Regen prasselte auf sie nieder, durchnässte ihr Kleid und vermischte sich auf ihren Wangen mit heißen Tränen.

"Nein!"

Ihre Stimme war nun lauter, flehender und voller Panik.

"Doch."

Seine Stimme zu hören war gut und grausam zugleich.
Sie war so wunderschön wie eh und je, doch das, was er sagte, trieb ihr das Messer tiefer ins Herz.

"Versteh es doch, ich muss..." -
"Du musst gar nichts!", fiel sie ihm hitzig ins Wort und sah ihm geradewegs in die Augen.

Grau-blau.
Wie das Meer vor einem Sturm.

Nun funkelten die Sturmaugen sie wild an und sie konnte nicht umhin, sich eine Nussschale auf schäumenden Wellen vorzustellen.

"Du hast doch keine Ahnung!", zischte er. "Ich habe dir gesagt, es geht nicht."

Seine eiskalte Miene wurde ein klein wenig weicher. Nun sah sie die Verzweiflung in seinem Gesicht.

"Ich möchte doch nur das Beste für dich."

Ihre Füße wurden langsam kalt, denn sie hatte nur Sandalen an, doch sie merkte es kaum.

"Das Beste für mich?"

Ihre Stimme war nur noch ein Hauch, und doch war die Fassungslosigkeit darin deutlich herauszuhören.

"Das Beste für mich?"

Eine Träne löste sich aus ihrem Auge und sie musste sich zusammennehmen, um nicht hysterisch aufzuschluchzen.
Schnell drehte sie sich weg.

"Ja, ich will wirklich ..."

Sie wirbelte herum.

"Und ich dachte, du wüsstest, was das Beste für mich wäre!", schrie sie ihn an.

Er wich zurück.

"Ich ... " -

"DU!"

Sie schluchzte und vergrub das Gesicht in den Händen.

"Du bist das Beste für mich.
Ohne dich will ich nicht leben.
Ohne dich kann ich nicht leben.
Ich brauche dich!
Und das weißt du."

Sie sah ihn an.
Ihr Make-up war mittlerweile total verschmiert und das Kleid klatschnass, doch in diesem Moment beanspruchte sein Gesicht all ihre Gedanken.

Langsam schüttelte er den Kopf, doch in seinen Augen, den grau-blauen Sturmaugen, konnte sie tausendmal besser lesen.
Er braucht mich auch.

Sie trat auf ihn zu.
"Ich brauche dich", wiederholte sie.

Ein letzter Schritt, und die Distanz zwischen ihnen war überbrückt.
Sanft legte sie ihre Hand an seine Wange.

Als sie sich vorbeugte, um ihn zu küssen, flammte Zorn im Sturm auf.
Er schubste sie von sich weg und sie taumelte rückwärts, konnte in den Absatzschuhen nur haarscharf einen Sturz verhindern.

"Was denkst du eigentlich, wer du bist?!",
brüllte er und zitterte vor Wut.
"Erst mich betrügen und dann einen auf unschuldig machen!
Wenn du mich wirklich brauchst, dann sag mir, wer war das vorhin, mit dem du geflirtet hast?!"

"Geflirtet?! Ich habe nicht ... "

Mit einem Schnauben unterbrach er sie.

"Ja, genau.
Erzähl das deinem neuen Lover!
Aber nicht mir!
Ich ... ich weißt gar nicht, wieso ich mir das hier überhaupt antue."

Wie eingefroren stand sie da.

Wie konnte er nur so von ihr denken?

Sie hatte sich ganz normal unterhalten, nett war es gewesen, nett, mehr nicht.
Die Enttäuschung legte sich über ihre Gedanken wie ein bitterer Geschmack auf die Zunge.

"Ich wünschte, du würdest mir vertrauen", hörte sie sich selbst mit hohler Stimme sagen.
"Vertrauen, oder mich genau anschauen und sehen, dass ich das niemals tun würde.
Ich würde dich nicht betrügen.
Niemals.
Ich liebe dich."

Der Sturm flaute ein wenig ab, dennoch entdeckte sie Unruhe in seinen Augen.
Oder waren es Tränen?

"Und ich wünschte, ich könnte es."

Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.

"Ich glaube, es täte gut, wir würden eine Weile ... Abstand halten.
Uns Zeit nehmen zum Nachdenken.
Darüber, wie das mit uns weitergehen soll."

Und obwohl er es nicht aussprach, klang dabei ein leises Ob an.

Mit diesen Worten drehte er sich um, ohne sie noch ein einziges Mal anzusehen, und ging durch den Regen die Straße hinunter, bis die Dunkelheit ihn verschluckt hatte.

Sie sank auf die Knie, taub und stumm.
Und doch weinte sie.
Lautlos, sodass niemand es hören konnte.

Das war der schlimmste Schmerz.
Derjenige, der unterdrückt wurde.
Ihr war zwar nach Schreien zumute, ja, in ihrer Brust brodelte es und der Schmerz wollte sich äußern, in einem Brüllen, Schluchzen, Klagen.
Doch aus ihrer Kehle drang kein Ton.

Und so kniete sie auf dem harten Kopfsteinpflaster, die Hände aufs Gesicht gepresst, zitternd, vom Weinen geschüttelt.
Ganz alleine.




~






Sie rollte sich zusammen.
Nie wieder würde sie ihr Bett verlassen.
Nie wieder.

Ihre Gedanken kreisten die ganze Zeit um die Worte.
Um seine Worte, die alles verändert hatten.

All diese Worte, die nicht ausgesprochen wurden, sondern die er stumpf in die Tastatur seines Handys gehauen hatte.

All diese Worte, die aber hätten ausgesprochen werden sollen.

Die er ihr ins Gesicht hätte sagen sollen.

Damit sie nicht den Eindruck bekommen hätte, er wäre feige.

Stattdessen eine kurze Nachricht:

"Ich brauche Zeit.
Es ist nicht deine Schuld.
Aber ich glaube, ein bisschen Abstand ist jetzt nötig, damit wir uns darüber klar werden, wie es weitergehen soll mit uns."

Tränen liefen ununterbrochen über ihre Wangen, als sie daran dachte.
Daran, was er geschrieben hatte.
Daran, was er nicht geschrieben hatte.
Daran, was sie gehabt hatten.
Und daran, was sie wollte.

Sie wollte mit ihm reden.
Sie wollte, dass all die Zweifel, die ihm gekommen waren, verflogen.
Sie wollte zu ihm.
Sie wollte, dass alles gut war.

Doch das war es nicht.

Stumm blickte sie aus dem Fenster, wo der Mond von dicken schwarzen Regenwolken verdeckt wurde.
Schwere Tropfen prasselten an ihre Fensterscheibe.

Sie zitterte.
Doch nicht vor Kälte, es war kein äußerliches Zittern.
Dieses Zittern kam von innen.
Und es war noch viel schlimmer als ein Zittern vor Kälte.
Es war ein Zittern des Schmerzens, der Ungläubigkeit, des Nicht-Akzeptieren-Wollens.

Und ein Zittern der Angst.

Irgendwo da draußen war er.
Und dachte nach.
Darüber, was werden sollte.

Und das jagte ihr eine Heidenangst ein.









[ Published on 14 August 2019 ]

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