"Allie, mach du das mal", sagte mein Vater und ordnete die fünfzehn Euro, die er gerade für eine Stunde Tretbootfahren einkassiert hatte, in die Kasse ein. "Na gut, dann kommt mal mit." Ich führte die beiden Jungen, sie waren wohl ungefähr vierzehn Jahre alt, den Steg hinab zu den Tretbooten. Wahrscheinlich waren die beiden Urlauber, die auf dem Campingplatz gleich neben unserem Bootsverleih ihre Ferien verbrachten. Ich führte die Jungs zu ihrem Boot, half ihnen, hineinzusteigen und erklärte kurz das Wichtigste: "Wenn ihr rückwärts tretet fahrt ihr rückwärts, vorwärts nach vorne und lenken geht auch ganz leicht. Viel Spaß!" Ich löste den Knoten, mit dem das Boot am Steg befestigt war und gab ihm einen Tritt, damit die beiden vom Steg wegtrieben. Ich sah ihnen dabei zu, wie sie unbeholfen versuchten, mit dem Boot nicht gegen andere Boote oder Schwimmer zu fahren, bis sie schließlich vorwärts kamen und Richtung Seemitte trieben. Dann trottete ich wieder hinauf zum Bootshaus und ließ mich auf die Bank fallen. "Faul, oder was?", sagte mein Vater und grinste. "Nein, nur viel zu heiß. Ich dehydriere gleich!", seufzte ich und machte es mir auf der Bank bequem. "Hat ja auch 35 Grad heute. Ach Al, wenn deine Mutter hier wäre, müsstest du nicht arbeiten und könntest die Sommerferien genießen!" - "Schon gut Dad. Sie besucht ihre Schwester, und die wohnt nun mal in Texas! Da kann ich schon mal sechs Wochen einspringen." Zwei sind ja schon vorbei, dachte ich erleichtert.
Es ist nämlich so, meine Familie hat am Ammersee einen Bootsverleih namens "Blue and Gold". Wir haben Ruder-, Segel- und Tretboote. Und eigentlich ist das echt keine schlechte Sache, da ich praktisch immer wenn ich möchte - und meine Freunde Zeit haben - ein Boot ausleihen und damit über den See tuckern kann. Ab und zu helfe ich aus, vor allem in der Hochsaison. Dieses Jahr muss ich nur leider meine ganzen Sommerferien für den Bootsverleih opfern, da ich rund um die Uhr aushelfen muss. Boote reinigen, kleine Schäden reparieren, den Kunden die Boote zuweisen... Eigentlich ist auch das keine schwere Arbeit, aber wenn es so heiß draußen ist, dass nicht mal der See mehr wirklich Abkühlung schenkt, ist es definitiv ZU heiß. Aber beschweren darf ich mich auch nicht, denn Mama wird mir bestimmt wunderschöne Sachen aus Amerika mitbringen. Außerdem ist das der Preis, den man zahlen muss, wenn man auf anderen Kontinenten Familie hat. Und da ich keine weiteren Geschwister habe, bleibt es eben an mir und Papa hängen. Auch nicht sonderlich schlimm. Außerdem darf ich, sobald der Verleih geschlossen hat, selbst Tretboot fahren. Manchmal fahre ich auch gerne allein und nehme mir ein Buch mit. Dann fahre ich ein bisschen raus, beobachte den Sonnenuntergang und lese ein paar Zeilen. Alles in einem trotzdem kein schlechter Sommer.
Während ich den Steg fegte, trudelte am "Blue and Gold" Bootsverleih eine Gruppe Jungs ein, die aber deutlich älter waren als die beiden vorhin. "Hi, wir möchten zwei Stunden segeln. Segelführerschein haben wir." Mein Vater stattete die Gruppe mit Schwimmwesten aus (die die Jungs ganz bestimmt, sobald sie außer Sichtweite waren, wieder ausziehen würden). Die Gruppe bestand aus fünf Jungen, alle trugen nur Badehosen und Sonnenbrillen. Ich konnte nicht anders, als ihre Körper zu mustern. Allesamt waren sie durchtrainiert, nicht zu viel, nicht zu wenig. Es sah fast schon ungewollt aus. Aber unglaublich gut. Wie es sich wohl anfühlen musste, von solchen Armen hochgehoben zu werden... Ich hing meinen Gedanken nach und vergaß dabei leider komplett zu fegen. "Bibi Blocksberg mit dem Hexenbesen, oder was?", spottete einer der Jungs. Er war schätzungsweise achtzehn Jahre alt, hatte hellblonde gelockte Haare und war schon ziemlich gebräunt. "Hey, ich mach hier den Steg für deine dreckigen Füße sauber, sei lieber nett zu mir!", sagte ich und fegte schleunigst weiter. "Schon gut Blocksberg, siehst ja auch aus wie eine!", sagte der blonde und lachte. "Carlo, was soll der Scheiß, lass die kleine doch in Ruhe.", sagte ein anderer. Er war wahrscheinlich der älteste der Gruppe. "Koooooomm zu uns, Bibi Blocksberg!", fing dieser Carlos an zu singen. Ich verdrehte die Augen. Wieso schmiss ich ihn nicht einfach ins Wasser? "So, du bist jetzt mal still, sonst darfst du den Job meiner Tochter übernehmen und sie segelt so lange mit deinen halbstarken Freunden in der Gegend herum. Deal?", sagte mein Vater und brachte Carlos so zum Schweigen. Gott sei Dank. "So, ich werd hier nicht durchs Rumstehen reich, bringen wir euch mal ins Boot!", sagte Papa und führte die Gruppe den Steg hinunter, vorbei an mir -Schluck-. Der, den ich für den ältesten hielt, sagte "Sorry, der labert viel wenn der Tag lang ist". Ich lächelte ihn dankbar an. "Hex hex!", sagte Carlos und lachte wieder. Als letztes lief ein dunkelhaariger Junge an mir vorbei. Er war mir zuerst gar nicht aufgefallen, denn anstatt herumzualbern wie seine Kumpels, hatte er bis jetzt kein einziges Wort gesagt. Er blieb vor mir stehen und sah mich an. "Also wenn, dann bist du echt ne hübsche Hexe.", meinte er und schob sich seine Sonnenbrille aus dem Gesicht. Ich wurde rot. Ohne Brille sah dieser Junge sogar noch besser aus. "Äähm, danke?!", sagte ich. Er blieb einfach vor mir stehen. KONNTE ER VIELLEICHT EINFACH WEITER GEHEN, DAMIT ICH WIEDER KLAR DENKEN KONNTE? "Hmmm", machte er und sah mich immer noch an. "Was? Hab ich irgend wo einen Fleck oder so? Was zwischen den Zähnen?", fragte ich, sichtlich nervös. "Nein nein, alles gut. Tschüss dann, kleine.", sagte er, fuhr sich durch die Haare und drehte sich um. "Wie heißt du...", sagte ich noch, aber das hörte er wahrscheinlich gar nicht mehr. Ich sah ihn noch ins Boot klettern, und schon waren die Jungen auch schon wieder weg.
Er hatte grüne Augen...

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Wer ins kalte Wasser springt, taucht in ein Meer voller Möglichkeiten
Teen Fiction"Wusstest du, dass ein Stern stirbt, wenn man eine Sternschnuppe sieht?", sagte er und sah mich an. "Alles findet irgendwann sein Ende. Und das ist sogar ein schönes. Wir haben einen Wunsch frei, oder nicht?" - "Ich weiß gar nicht was ich mir wünsch...