Kapitel 11

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Felicitas

»Columbo? Der unordentliche Inspektor mit der Zigarre? Lebst du im Mittelalter?« Verschmitzt grinste er. »Sherlock gefällt mir besser.«

»Sherlock Holmes ist viel älter als Columbo«, verbesserte ich ihn.

»Du meinst das Buch, aber die Serie ist später rausgekommen als Columbo. Sag bloß, du hast die Serie nicht gesehen.«

»Die Bücher reichen vollkommen aus«, behauptete ich. »Filme sind nie so gut wie Bücher.«

»Das werden wir sehen.« Mir fiel auf, dass er nicht nach seinem Bleistift griff, wenn er am Steuer saß. Vielleicht hatte sein Fahrlehrer doch was richtig gemacht. »Wir schauen heute eine Folge an«, beschloss er für uns beide. Dass ich noch putzen musste, erwähnte ich lieber nicht. Spätestens wenn er alleine vor dem Fernseher saß, würde er es bemerken. »Ich habe die Serie nicht auf DVD«, sagte ich stattdessen.

Tamio trommelte mit den Zeigefingern im Takt der Orchestermusik, die leise im Hintergrund spielte, auf das Lenkrad. »Keine Sorge, ich sollte noch einen Netflix-Account haben.«

»Was ist das?« Ich blickte ihm fragend ins Gesicht, welches sich zu einem Lächeln umstellte. »Ist das dein Ernst, Geistermädchen?« Demonstrativ blies er die Wangen auf. »Ich glaube, du lebst tatsächlich im Mittelalter.«

Irgendwann wechselten wir von der Autobahn N4 auf die N5 und ich fragte Tamio, wo wir denn überhaupt hinführen. Er meinte, es sei eine Überraschung und ich hakte nicht weiter nach. Jedoch fuhren wir schon seit mindestens zwei Stunden, was ja ein ziemlich weiter Weg war für einen Spaziergang und ein Picknick. Wo genau plante Tamio dieses Picknick? »Wie lange fahren wir noch?«, rief ich über den Fahrtwind, als wir Strokestown passiert hatten.

»Noch ungefähr eine Stunde. Warum? Musst du für heute noch in die Straßenbahn?«

»Nein, heute nicht.« Stirnrunzelnd raffte ich mir meine Haare im Nacken zu einem Zopf, um nicht mehr von meinen eigenen Strähnen ins Gesicht gepeitscht zu werden. Ein unangenehmer Gedanke kroch in meine Gedanken, doch er war noch unförmig und unbeständig. »Bleiben wir weiter auf der N5? Oder wechseln wir die Autobahn?«

»Nein, aber wir fahren dann auf die L1717«, klärte er mich auf und die Erkenntnis krachte ein wie ein Kartenhaus im Luftzug einer Tür. Der Gedanke hatte Gestalt angenommen. Und leider keine gute.

»Aber was soll das Verhör, Geistermädchen? Jetzt weißt du sicher, wo wir hinfahren.« Abermals wandte er seinen Blick von der Straße ab und musterte mich mit diesen wissenden, durchdringenden Augen.

»Nein, ich weiß es nicht. Ich dachte wir fahren auf der N5 weiter nach Castlebar«, log ich wider besseres Wissen, dabei war mir sehr wohl bewusst, welchen Ort Tamio ansteuerte. Lough Cullin. Allein der Gedanke daran lähmte meine Muskeln. Woher wusste Tamio, dass ich mit meiner Familie immer an diesem See gewesen war?

Autos und Verkehrsschilder wurden immer seltener, bloß die Schilder, die Lough Cullin ankündigten, blitzten ab und zu auf. Das Auto ruckelte – Ich war zu dem Entschluss gekommen, dass Tamio ein miserabler Autofahrer war. – über den steinigen Weg, in den sich die dürftige Straße verzweigt hatte.

Sonnenstrahlen tanzten auf meiner Haut und der frische Geruch nach Bäumen kroch in meine Nase. Ich schloss meine Augen, um das Licht abzuschirmen. Trotz des Fahrtwindes hörte ich, wie mein Herzschlag sich beschleunigt hatte, seitdem der See nach zwei Jahren der Verdrängung wieder in mein Bewusstsein getreten war.

Ich hatte Tamio unterschätzt. Er musste den See an einem der Bilder im Wohnzimmer erkannt haben, doch das hätte überall sein können. Wie hatte er den Ort allein an einer Wiese identifiziert?

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