02 || MAYBE TOMORROW

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REECE || GEGENWART

Manchmal kann das passieren, womit wir am wenigsten rechnen. Von einem auf den anderen Moment kann sich alles verändern. So wie bei mir.

Nichts ist, wie es einmal war und ändern kann ich rein gar nichts. So gerne ich es mir wünsche.

Wird mir alles, was ich wissen will bis ins letzte Detail erzählt?
Eher nicht.

Stattdessen verdreht man die Wahrheit, um mich angeblich zu schützen. Aber ist es dafür nicht längst zu spät?

Ich weiß ganz genau, was ich morgens gerne zum Frühstück esse. Das Müsli aus dem Supermarkt gleich um die Ecke.

Ich kann mich erinnern, was meine Lieblingsfarbe ist. Ein dunkles blau.

Selbst die Namen unserer Nachbarn kenne ich und sogar den Namen der gruseligen Katze von Nebenan ist mir bekannt, vor der ich schon Angst hatte, als ich im Kindergarten war. Bambi heißt sie. Wobei doch jeder wusste, dass Bambi keine Katze ist, was wiederum meine ganze Kindheit durcheinandergebracht hatte.
Jedoch ist da dann noch das letzte Jahr, aus dem mir jede einzelne Erinnerung fehlt, was ich erst nach wenigen Tagen anfing zu begreifen. Es ist, als hätte dieses Jahr nie existiert.

Als hätte mein Leben davor einfach auf Stopp gedrückt und ist von einen auf den anderen Tag stehen geblieben und würde nun wieder weitergehen, als wäre dazwischen nichts passiert.

Ich dachte, dass ich mich noch an gestern erinnern könnte, doch diese Erinnerung ist anscheinend schon länger her.

Danach gibt es nur noch diese völlige Leere und eine helle Stimme, die immer wieder nach mir rief, in meinen Träumen. In einer Dauerschleife wiederholt sie sich immer und immer wieder. Fast jede Nacht tauchte sie in meinen Gedanken auf.

Genau diese Stimme kann ich jedoch nicht zuordnen, was mich mittlerweile irre im Kopf macht.

Und so sehr ich mich auch bemühe, die verschwundenen Momente zurück zu holen, funktioniert hat es bisher nicht. »Worüber denkst du nach?« Meine Schwester setzt sich an das Fußende meines Bettes und zum Teil auf die zerknitterte Decke, die nur zur Hälfte über meinen Beinen liegt.

Seufzend lehne ich mein Kopf gegen die Wand, ehe ich die Augen schließe.
Wo soll ich da anfangen?

Gefühlt tausend Fragen schwirren in meinem Kopf umher, die ich mir einfach nicht beantworten kann und genau diese Ungewissheit macht mich vollkommen wahnsinnig.

»Was habe ich verpasst?« Das war in letzter Zeit wahrscheinlich meine häufigste Frage. Beantwortet habe ich diese allerdings nie ganz bekommen.

Mackenzie strich sich eine Strähne ihrer braunen Haare, die dieselbe Farbe wie meine kurzen Haare haben, hinters Ohr und räuspert sich leise. »Was willst du wissen?«

Ich schnaube verächtlich. »Woher soll ich das wissen?«, antworte ich schließlich. »Ich kann mich schließlich nicht einmal erinnern, das neue Jahr begonnen zu haben, geschweige denn ein Jahr älter geworden zu sein.«

»Das tut mir leid, Reece«, setzt sie an, doch ich unterbreche sie, bevor sie weiterreden kann.

»Ich brauch dein Mitleid nicht, Mackenzie«, meine ich, schlage genervt die blaue Bettdecke zur Seite und steige aus dem Bett, um anschließend mein Zimmer zu verlassen.

Ich kann es einfach nicht mehr hören, wie leid ich allen tue. Aber viel schlimmer sind die Blicke, die mir jeder heimlich zuwirft, wenn sie dachten, dass ich es nicht bemerken würde. Doch das tat ich.

»Reece«, seufzt Mackenzie und steht ebenfalls auf, ehe sie mir die Treppe herunter folgt. »Jetzt warte.«

Unbeirrt laufe ich weiter zur Küche, wo ich bereits die Stimmen von Mom und Dad höre.

Maybe TomorrowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt