Freitag, 27. Februar 2013, 6:24 Uhr: Mom und Jared haben kurzfristig einen Flug nach Miami gebucht, Adele und mich haben sie spontan mitgenommen. Sie sagen es ist nur über das Wochenende und ein wenig Abwechslung hat auch noch niemandem geschadet. Also sitze ich frierend und zitternd neben Adi im Flieger und darf mir von einer Achtjährigen erklären lassen, wie die Liebe funktioniert. Genervt blicke ich aus dem Fenster, zupfe mir einige Strähnen zurecht und ziehe mir die Kapuze meines schwarzen Hoodies auf. Die letzten beiden Tage war ich nicht in der Schule, Ethan hat sich gemeldet. Er macht sich Sorgen um mich und er ist nicht der Einzige. Amber hat mir einige Nachrichten bei WhatsApp hinterlassen, die ich allerdings unbeantwortet ließ. Ich kann das jetzt nicht und ich will auch nicht. Oder doch? Die Sonne scheint bei bitterkalten 17°C und setzt der Landschaft unter unseren Füßen einen eisigen Zauber auf. Nur noch wenige Km bis wir Miami erreichen und der zweistündige Flug beendet ist. Adele redet immer noch über die Liebe, während eine schlanke, zierliche Blondine im blauen Outfit der Fluggesellschaft über den Gang stolziert und uns nach Getränken gefragt. " Ich nehm 'ne Cola, bitte." Ich lächle verlegen und sie erwidert es. Ich kann nicht anders und blicke in eisblaue Augen, die mich anblitzen. Ich blinzle einige Male und falle erschöpft in meinen Sitz zurück, die Cola in der Hand schließe ich meine Augen. Da ist sie schon wieder. Ich kann nicht loslassen. Ich kann nicht anders.
7:02 Uhr: Wir sind gelandet und ich sitze noch immer in meinem Sitz, erschöpft und müde. Ich beobachte das bunte Treiben und wie all diese Menschen aus dem Flieger stürmen und es nicht abwarten können, nach draußen zu gelangen. "Los, Kinder! Kommt, auf auf!" Oh mein Gott, meine Mutter ist ebenfalls infiziert und kann es nicht abwarten. Also schnappe ich mir meinen kleinen Rucksack, in dem Kopfhörer, ein Mininotebook und ein Buch zu Hause sind, nehme Adele an die Hand und steuere Richtung Ausgang. "Auf Wiedersehen!" Schon wieder eisblaue Augen, ein wunderschöner Augenaufschlag und ein weißes Lächeln. Ich starre sie an und stolpere schließlich über Adele und liege im Ausgang des Flugzeuges. Die blonde Stewardess bückt sich zu mir runter "Alles in Ordnung?" Verwundert blicke ich auf. Verdammt, wie peinlich. "Ja, ja klar." stammle ich vor mir her, während sie mir ihre zierliche Hand reicht und mir hochhilft. "Vielen Dank!" Ein müdes Lächeln schenke ich ihr, bevor ich mich bei Adele entschuldige und das Flugzeug endgültig verlasse. Hoffentlich hat Mom das nicht gesehen! Sie würde mich den ganzen Urlaub damit aufziehen.
9:21 Uhr: Ein riesiges Hotelzimmer, 5 Sterne, weiße Wände, braune Akzente, seidene Gardinen, dunkles Braun, ein viel zu großes Doppelbett und meine kleine Schwester. "Ich weiß ja nicht, was ihr euch dabei gedacht habt!" Mom und Jared lehnen in der Tür unseres Zimmers und schmunzeln wie Honigkuchenpferde. "Wieso? Ist doch super hier!" Breit grinsend deutet sie mit ihrem linken Arm in den weiten Raum mit angrenzendem Bad, Marmor natürlich. "Total!" Diesen Sarkasmus konnte ich mir nicht verkneifen. "Was gibt es schon Besseres, als mit einer Achtjährigen in einem Doppeltbett eines 5-Sterne Hotels zu übernachten? Ich wüsste da Nichts!" Mit angehobenen Augenbrauen starre ich sie an. Sie scheint verstanden zu haben. "Also gut, Adele schläft mit bei uns." Sie stößt einen Seufzer aus und Jared fällt das Lachen förmlich aus seinem markanten Gesicht. "Aber Helen.. Ich.." Ungläubig greift er nach ihrem rechten Arm. Irgendwie muss ich lachen. Er hat es verdient, er dachte er könnte einen Liebesurlaub daraus machen. Da hat er die Rechnung aber ohne mich gemacht! Grinsend klopfe ich ihm auf die Schulter. "Ach komm, Jared! Ist doch super hier!" Ich kann es mir nicht verkneifen und zwinkere ihm zu. Zu dritt verlassen sie mein Hotelzimmer und ich lasse mich erleichtert auf mein weiches Bett fallen, strecke beide Arme aus und da liegt es plötzlich.. mein Handy. Vorsichtig nehme ich es in die Hand, wische über den Bildschirm und lese: WhatsApp, eine neue Nachricht von Amber: "Ich liebe dich." Mein Atem stockt. Ich wollte entspannen, ein Wochenende ohne sie, ein Wochenende ohne Stress und kreisende Gedanken. Stattdessen liege ich auf meinem Bett und wische mir die Tränen von den Wangen, in der Hoffnung, sie hätte diese Nachricht nie abgeschickt.
10:45 Uhr: Nach einer eiskalten Dusche und mit frischen Klamotten am Leib lebt es sich schon viel besser. Ich sitze in der Lobby des Hotels und warte auf die Anderen. Wir sind zum Brunch verabredet, also dachte ich mir, lasse ich meinen Schlabberpulli mal im Schrank. Stattdessen ziert eine schwarze Feinstrumpfhose meine langen Beine, ich trage Ballerinas und einen dunklen Jerseyrock, dazu ein weißes Top und eine weinrote Strickjacke. Die silberne Tiffanykette habe ich von Mom zu Weihnachten bekommen und ebenfalls umgemacht. Ich fühle mich merkwürdig gut und irgendwie selbstbewusst. Vielleicht sollte ich öfter einen Rock tragen. Der Fahrstuhl öffnet sich und die anderen drei treten mir entgegen, ebenfalls besser gekleidet als heute morgen. "Gut siehst du aus!" Mom streicht mir über den Rücken und lächelt mich an. "Los, lasst uns gehen!" Gemeinsam verlassen wir das Hotel; wie eine perfekte Familie. Naja, so ähnlich jedenfalls.
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Purpurrot
PoetryChloe, 19 wohnt mit ihrer Mutter und ihrer achtjährigen Schwester Adele in Cleveland, dem zweitgrößten Ort in ganz Ohio. Ihr Vater ist abgehauen, als Chloe, von ihrer Mutter liebevoll Lea genannt, zwei Jahre alt war. Seitdem hat sie ihn nie wieder g...