Ich schmiege mich in seine Halsbeuge. Ich bin völlig ausgelaugt und habe keine Lust mehr gehabt in eine Abendvorstellung zu gehen. Stattdessen sind wir auf direktem Weg zu meiner Wohnung, in der eigentlich Ed sitzen sollte und dort Fifa zocken. Tom lässt seine Hand langsam meinen Oberschenkel hinaufwandern."Verdammt lass das. Mir geht's scheiße, merkst du das nicht?", fahre ich ihn an.
Er zuckt mit seiner Schulter, sodass mein Kopf runter rutscht. Entgeistert blicke ich ihn an. "Sorry, aber auf sowas habe ich momentan echt kein Bock. Ich hab gedacht, du willst das gleiche."
"Das will ich auch. Nur heute brauchte ich einfach einen Freund. Was soll's, ich ruf dich einfach an, wenn ich wieder auf dem Damm bin, aber heute wird nichts aus meinen Versprechungen."
Tom steht auf, die Bushaltestelle an der Uni ist die nächste und er lebt auf dem Campus in einem der Wohnheime. "Okay, dann steige ich jetzt aus. Sei mir nicht böse. Ich mag dich echt, nur hab ich noch andere Sachen zutun und hatte einfach Lust auf.. du weißt schon." Dann verschwindet er aus der Tür nachdem er mir einen schnellen Kuss auf die Lippen verpasst.
Habe ich nicht vorhin noch gedacht, dass er ein guter Kerl ist? Da bin ich mir mittlerweile nicht mehr so sicher. Ich schließe meine Augen und atme eine paar kräftige Züge, durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. Wenn ich endlich zuhause bin kann ich mich auf mein Bett schmeißen und mich bemitleiden.
Ich hätte nicht Tom mitnehmen sollen. Mir war bewusst gewesen, dass einige meiner Freunde bessere Optionen gewesen wären, aber ich wollte jemanden bei mir haben, der sich nicht so um mich sorgt. Ich hatte mir jemanden an meine Seite gewünscht, der einfach nur da war. Tom hatte sich nicht um mich gesorgt, aber ist nun auch nicht mehr bei mir. Wenigstens hat er nicht bereits vor dem Gespräch mit meinem Bruder die Flucht ergriffen. Ich atme ein letztes Mal kräftig aus, dann öffne ich meine Augen.
Vor mir sitze Rowena und Kent, die beiden leben in einer polygamen Beziehung. Rowena und ich gehen seit Anfang des Semesters in den selben Kurs "die Grundlagen der Psychotherapie" von Professor Twain und haben uns dort angefreundet. Deshalb bin ich mit ihr, Kent und anderen Kommilitonen schon öfter durch die Stadt gezogen.
"Na, bemerkst du uns auch mal? Wir sitzen hier schon seit dem Campus.", sagt Kent lachend. Ich bin wohl doch kein so aufmerksamer Mensch.
Lächelnd blicke ich die beiden an. "Vielleicht habt ihr einfach keine so strahlende Persönlichkeit, wie manch anderer, und seid deshalb beinahe unscheinbar."
Kent guckt mich gespielt ensetzt an. "Mach nur so weiter junges Fräulein."
"Und dann? Muss da nicht noch was kommen?"
"Ja, ich weiß, aber mir fällt nichts ein."
Rowena und ich lachen. Kent ist ein schöner Mann, der nicht darauf aus ist, die typische Männer Rolle zu verkörpen. Trotzdessen strahlt er etwas sehr maskulines aus oder gerade genau deshalb hat er diese Ausstrahlung. Er wirkt selbstbewusst und unabhängig. Rowena hingegen wirkt bei erster Betrachtung eher schüchtern. Doch wie sooft täuscht der erste Eindruck.
"Wie sieht's aus, gehst du mit uns feiern? Wir wollen zum Risk.", fragt Rowena mich.
"Ich hatte einen grausamen Abend, ich würde euch die Nacht versauen.", gebe ich zu. Ich will mich einfach nur in mein Bett verkriechen. Wahrscheinlich bekomme ich auch noch heute oder morgen meine Menstruation.
Rowena warf mir einen spöttischen Blick zu. "Als ob sie es schaffen würde uns die Nacht zu versauen."
"Nie im leben.", unterstützt Kent sie.
"Komm mit. Ablenkung ist das beste Mittel nach einem scheiß Abend.", endet Rowena ihre Bemühungen.
Zweifel schleichen sich in mir auf. Sie haben wahrscheinlich recht, es ist nicht gut für mich alleine in meiner Wohnung abzuhängen. Ich würde schließlich nur in selbstmitleid versinken.
Blickend springen uns die für roten Letter vom 'Risk' beinahe entgegen. Ich bezweifle noch immer meine Entscheidung, aber wenigsten hatte Rowena noch eine Wimperntusche in ihrer Tasche, sodass ich mich nicht allzu ungetsylt vorkomme. Schwatzend gehen wir die paar Stufen zum Eingang hinunter und geben dort unsere Jacken und Handys ab, denn wir haben beschlossen alle heute mal richtig abzuschalten.
Bevor wir den Dancfloor betreten zieht Kent uns zur Seite. "Wie sieht's aus Mädels? Sollen wir trinken oder einfach nur wir sein?".
Irgendwann haben wir mal mit noch anderen Freunden abgebacht vorher zu entscheiden, ob man was trinken will oder nicht. Denn wir waren uns alle sicher auch ohne Alkohol Spaß haben -und die Kontrolle abgeben zu können. Jedoch kam es manchmal vor, dass einer vergessen wollte oder noch ungehemmter tanzen wollte und dann war unser Motto: 'alle oder keiner'.
"Ruth hatte einen Scheißtag, wir trinken!", ruft Rowena laut aus.
Etwa fünf oder sechs Tequila Runden später befinden wir uns mitten im Getümmel auf der Tanzfläche und bewegen uns ausgelassen zur Musik. Der Club gefällt mir besonders gut, weil man nicht einfach so angetanzt wird und außerdem sind die DJs hervorragend.
Hin- und her hüpfend streiche ich meine Schweiß nassen Haare aus der Stirn und blicke in die kristallblauen Augen von Rowena. Sie zieht mich lächelnd zu sich und küsst mich. Einfach so. Dann schiebt sie mich wieder weg von sich und tanzt weiter.
Perplext wende ich mich zu Kent, der mich lachend anschaut. "Das ist ihre Art dich abzulenken. Sie ist der Meinung, dass man die Leidenschaft, die in Menschen steckt, mehr nutzen sollte. Soll glaube ich soviel heißen wie die Menschen müssen mehr vögeln. Naja oder zumindest sich mehr berühren, küssen", ruft er mir ins Ohr. Bevor er sich wieder von mir entfernt drückt er mehrere federleichte Küsse unter mein Ohr.
Ich bin verwirrt. Ich wusste, dass sie eine offene Beziehung führen, aber zuvor habe ich noch nie mitbekommen, dass sie voreinander jemanden anderen Küssen, dass sie mich küssen. Ich wurde bis heute noch nie an einem Tag von mehr als einer Person geküsst. Ich wurde bis zu meinem 17.en Lebensjahr noch überhaupt nicht geküsst, mal abgesehen von meiner Familie.
Plötzlich muss ich daran denken, dass ich mal gehört habe, dass man beim Küssen langsamer altert und sein Immunsystem stärkt. Also beschließe ich diese Nacht so viele Menschen wie möglich zu küssen.
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love ruth(less)
RomanceRuth studiert Psychologie an der Uni in Portland. Ihre Eltern, die sie am liebsten noch im eigen Haus wohnen hätten, haben nur unter einer Bedingung zugestimmt: Ruth soll mit ihrem Bruder Ed zusammen wohnen. Lange Zeit war das auch kein Problem, doc...