Kapitel 5

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Nora lag wieder irgendwo, doch nicht auf ihrer gemütlichen Matratze, sondern auf einem kalten Steinboden, dessen Unebenheiten ihr gegen den Körper drücken.
Als sie sich darüber Gedanken machen wollte, wie ein Pfleger so verantwortungslos mit ihr umgehen konnte, stieg ihr der bekannte Geruch von Blut in die Nase.
Er war so penetrant, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Sie fühlte keine Angst, dafür war ihr das Leben viel zu bedeutungslos, jedoch war sie über die Situation ein wenig verwundert. Etwas derartiges hatte sie noch nie erlebt und hatte sich auch nicht vorstellen können, dass es dazu kommen würde. Jedoch war vielleicht genau das das Problem.
Wenn sie durcheinander war, passierten unerwartete Dinge in ihrer Vorstellung und möglicherweise war sie so tief geglitten, dass sie das nicht mehr von der Realität unterscheiden konnte.
Sie hörte ein lautes quietschen, wie von einer schlecht geölten Tür und nach einiger Zeit spürte sie einen leichten Luftzug, der den Blutgeruch vertrieb.

Der Pfleger wollte ihr noch ein letztes Mal Lebewohl sagen, bevor er für immer aus dem Leben dieses hilflosen Kindes schied, das viel zu viel ertragen musste, ohne es zu können.
Er ging in ihr Zimmer, wo sie ganz alleine dasitzen sollte, abwartend.
Sie war es nicht, ihr Rollstuhl stand noch immer dort, wie eine dunkle Vorahnung in diesem Raum, eine Erinnerung an ihr Fehlen.
Vor ihrer Matratze lief ein Tropfen seine Wange hinunter, immer weiter, bis er auf den seidenen Stoff des Bettlakens fiel.
Ihm folgten weitere, in immer kürzeren Abständen ließen sie einen größer werdenden Fleck entstehen.

»Du solltest Angst haben. Du solltest nicht still liegen. Ich weiß du bist wach. Ich höre dich. Du musst dich fürchten. Ich bin dein Tod. Hab' endlich Angst.«
Er schlug zu und sie spürte wie sich zu dem fremden Blut ihr eigenes hinzugesellte. Sie vermischten sich, bildeten eine Gemeinschaft, ohne einander abstoßen zu wollen, entstand etwas völlig neues. Daran hielt sie sich fest, um keine Reaktion auf die Schläge zu zeigen, den Schmerz akzeptieren zu können, damit aus dem Schlechten etwas gutes werden würde. Zumindest war das eine Möglichkeit, obwohl ihre Hoffnung darin bestand, dass er die Schläge beenden würde, dass er sie töten oder freilassen würde.
Ihr Gehirn kapselte sich immer weiter vom Schmerz-Zentrum ab, statt es zu akzepieren, wie das fremde Blut ihr eigenes annahm, kämpfte es gegen sich selbst. Sie wollte nicht wissen, was aus ihrer einstmals glatten Haut geworden war.
Die Schmerzen wurden zu einem dumpfen klopfen, ihre Gedanken waren wieder in einer anderen Welt abgetaucht, während die Schläge langsam weniger wurden und die Person die Hoffnung auf eine Reaktion aufgab. Sie ging.
Alleine lag der Körper dort, unbeweglich, in einer roten Lache, deren Farbe von den schwarzen Rändern aus zur Mitte heller wurde, doch bildete es an keiner Stelle die Unschuld des Weiß, spiegelte nahezu, jedoch nicht vollkommen die Wand ihres Zimmers. In ihrer Abschottung merkte sie nichts davon.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 29, 2018 ⏰

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