Der Neue

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Schnell schleicht Leonard durch die Gänge der Schule zu seinem Klassenzimmer und klopft leise an.

"HEREIN!" die krächzende Stimme von Frau Bachmann bittet ihn herein. Langsam öffnet er die Tür. "Ah. Herr Gerdes was für eine Überraschung. Es wäre ja auch zuviel verlangt am ersten Schultag pünktlich zu kommen. Und wie sehen Sie aus? Hätten sie sich nicht was frisches anziehen können oder mussten sie wie ein Drecksschwein zur Schule kommen?"

Leo ballt die Hände zu Fäusten und nuschelt leise. "Das war frisch...nur der Bus hat's beschmutzt."

Vorsichtig schielt er in die Klasse. Eigentlich alles wie immer. Die Streber sitzen vorne, dannach die Normalos, dann die Coolen und in der letzten Reihe am Fenster ist Leons Platz. Der Platz für die Loser. Aber etwas ist anders als sonst. Da steht jemand anderes als Frau Bachmann vor der Klasse.

"Brauchen sie eine zweite Aufforderung oder kommen sie endlich rein?" Das Krächzen Frau Bachmanns weckt Leo aus seiner Erkundungsrunde. Er trottet in die Klasse und nach hinten zu seinem Platz. Vorbei an den Strebern die ihn hochnäsig beäugen, an den Normalos die ihn ignorieren und an den Coolen die kichern und ihn angrinsen.

Seine Tasche lässt er auf den Stuhl neben sich fallen und setzt sich dann. Die Coolen fangen an zu ihm hinterzusehen und halblaut zu lachen. Als ob Leo nicht wüsste das er sich auf einen riesigen Tintenfleck gesetzt hat. "Die Hose ist eh im Arsch. Was macht da jetzt schon ein Tintenfleck? Besser als die Glasscherben letztes Jahr." sein Blick richtet sich nach vorne. An der Tafel steht ein Name.

Leo kneift seine Augen etwas zusammen und liest den Namen Philipp Eilers. Frau Bachmann erzählt die alljährlichen, unnutzen Informationen und Belehrungen. Als ob sich da jemals wer dran gehalten hat.

Stumm betrachtet Leo den Neuen und hört gar nicht zu. "Ein Neuer. An einer Oberschule? Dann kann er nur ein Normalo oder ein Cooler sein. Obwohl durch sein Dauerlächeln und dem Style denke ich eher Cooler."

Frau Bachmann beendet ihre Rede langsam "So Philipp jetzt such dir einen Platz und leb dich schön in unsere Klasse ein."

Langsam geht der Neue durch die Reihen auf Leo zu. "Was macht der denn Da? Will er sich etwas neben mich setzen? Den Loser?" Philipp lächelt Leo an.

Urplötzlich packt eine Hand seinen Arm und zieht ihn zur Seite. "Hey Philipp setz dich doch mit zu uns. Da hinten sitzt Niemand." Erklärt Alexander und grinst dabei gehässig.

"Aber da sitzt doch wer und neben ihm ist Platz frei." Sichtlich verwirrt schaut Philipp zwischen Alexander und Leonard hin und her. "Ist doch egal. Setz dich neben mich. Ich bring dich gut mit in die Klasse ein." Alex schuppst seinen Rucksack vom Stuhl und deutet dem Neuen sich hinzusetzen.

Noch immer etwas verwirrt lässt dieser sich neben Alex nieder. "Okay. Danke sehr. Und was ist mit dem Jungen da hinten?" Alex schaut kurz zu Leo.

Dieser kritzelt wie immer auf seinem Block herum und hört weder zu noch sonst was. "Mit dem würde ich an deiner Stelle kein Wort wechseln. Der hat keine Freunde und ist ein Loser." Eine Mitschülerin vor ihnen dreht sich nach hinten um und lacht. "Er ist das totale Opfer."

Philipp schaut kurz zu Leo und scheint mit den Gedanken woanders zu sein. "Und wieso? Wie heißt er überhaupt?" Alex fängt an lautstark zu lachen, wird dann aber etwas leiser da Frau Bachmann ihn streng ansieht.

"Er heißt Leonard Gerdes. Und ein Opfer ist er weil er zum einem keine Freunde hat und zum anderem ist er verrückt. Er zeichnet gruselige, blutige Bilder, führt Selbstgespräche, hat manchmal blutige Hände. Alles so ein Scheiß."

Das Klingeln der Durchsagenanlage beendet seine Ausführung. Die Stimme des Direktors meldet sich. "Leonard Gerdes bitte sofort in mein Büro!" Leo reagiert nicht und schaut verträumt aus dem Fenster.

Frau Bachmann stapft genervt nach hinten und schlägt vor Leo auf den Tisch! Leo zuckt augenblicklich vor Schreck zusammen. "LEONARD! ZUM DIREKTOR!"

Leo nimmt seinem Block und erhebt sich stumm. Alle Schüler bis auf Philipp schauen ihn schräg und grinsend an. Leonard geht zur Tür und verlässt das Klassenzimmer.

"Sicher hat er wieder was an den Spiegel in der Toilette geschmiert oder sonst was. Das kommt oft vor. Also Wunder dich nicht. Der ist mehr beim Direktor als in der Klasse." Kommentiert Alexander die Situation. Philipp schaut zur Tür und murmelt leise. "Ich verstehe."

Warum kann ich nicht einfach Sterben?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt