Schnell duckte er sich. Und das keinen Augenblick zu früh, denn schon fehlte alles ab Rumpfhöhe des Baumes und wurde weiter hinein in den Wald geschleudert. Ragar lief gebückt auf die Seite, hinter den nächsten Baum. Er zog sein Schwert und wollte sich gerade wieder umdrehen, als er mit aller Wucht gepackt und auf die andere Seite der Lichtung geschmissen wurde. Er stöhnte laut auf. Seine Rippe knackste und er kauerte sich zusammen.
Sein Blick glitt hinüber zu seinem Angreifer, der sich nun Lembah zuwandte und ihn selbst vollkommen außer Acht ließ. Viel war von ihm in den nächsten Minuten auch nicht zu erwarten. Er versuchte mit aller Mühe sein Schwert wieder zu bekommen, das ihm bei seinem unfreiwilligen Flug abhanden gekommen war. Nur wenige Meter lag es neben ihm auf dem Boden. Oder besser gesagt auf den Beinen eines toten Kameraden. Er wagte es nicht, ihm ins Gesicht zu sehen. Er hätte es sich nie verziehen, wenn er seinen Namen wusste, um seine Familie wusste, aber niemandem hätte sein Grab zeigen können.
Doch er musste es irgendwie schaffen, diese paar Meter zu überwinden, ohne dass er gehört oder gesehen wurde. Und das stellte durchaus kein leichtes Unterfangen dar. Die verbliebenen Kreaturen bewegten sich zwar alle auf seinen Freund zu, doch wer konnte schon wissen, wie aufmerksam sie waren. Und doch schienen sich alle auf Lembah zu konzentrieren.
Mit aller Kraft hielt er sich an einem Grasbüschel fest und zog sich vorwärts. Er stöhnte auf. Sein Oberkörper schmerzte bei jeder Bewegung nur noch mehr. Doch sein Wille war stärker als der Schmerz. Stück für Stück kämpfte er sich vorwärts. Zum Glück trugen sie keine Rüstung, sondern nur Lederpolster und ein Kettenhemd unter dem Wams. Alles andere hätte zu viel Lärm veranstaltet. So aber gelang es ihm tatsächlich, dass er unbemerkt seinen toten Kameraden erreichte. Er griff nach seinem Schwert und zog es zu sich. Fest presste er es an sich, bereit es jederzeit zu benutzen.
Für einen Moment verharrte er so. Doch sogleich drehte er sich auf den Boden, unter Ächzen und Stöhnen, doch es musste sein."Verdammt!", entwich ihm ein leiser Fluch, als er seine Rippe ein weiteres Mal knacksen hörte. Jetzt war sie wohl ganz durch, dachte er sich stumm bei sich und tastete dann auf seinem Rücken nach dem Bogen. Welch Glück, er war heil geblieben. Pfeile besaß er zwar nur noch vier, doch das würde schon ausreichen. Schließlich war er keineswegs davon überzeugt, dass er aus dem Ganzen lebend herauskommen würde.Ragar robbte ein bisschen nach vorne, gerade so, dass er das Geschehen im Blick hatte und doch noch versteckt lag. Die Ungeheuer hatten Lembah nun vollständig eingekreist und bildeten einen immer enger werdenden und chancenlosen Kreis um ihn. Für ihn war der Kampf schon längst verloren. Und auch sein Gesicht verriet, dass er diese Erkenntnis bereits getroffen hatte. Und dennoch sprühte dieser Funken Lebensgeist und Kampfeslust ihn seinen Augen. Es war eine Ehre, seinen Freund zu verteidigen. Und genau das war es auch für Ragar. Er würde alles tun, um Lembah zu helfen, um diese Kreaturen zu besiegen, um ihnen zu zeigen, wer in diesem Land das Sagen hatte. Denn von diesen minderwertigen Tieren ließ er sich nicht seine Heimat streitig machen, das war sicher.
Behutsam zog er den Bogen und schnappte sich einen Pfeil. Ruhig legte er an und visierte ganz genau eine Stelle an. Da sie gleichmäßig einen Kreis bildeten, wusste er mit Sicherheit, wohin er zielen müsste, um die verletzliche Kehle zu treffen. Sekunden verstrichen wie Stunden, doch Ragar ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Wollte er seinem Freund helfen, musste er geduldig sein. Seine Pfeile waren begrenzt und auch sein Versteck würde nicht ewig halten.
Er ließ los, die Sehne schnallte nach vorne und riss seine Wunde erneut auf. Kein Laut kam über seine Lippen. Gespannt verfolgte er den Flug seines Pfeils. Er behielt seine Bahn bei und durchschnitt leise den Nebel, der immer dichter aufzog. Ein Vorteil für die beiden Soldaten, die für die großen Kreaturen immer schlechter sichtbar wurden. Ragar's Hoffnungen für Lembah schwanden dennoch mit jedem weiteren Atemzug, den er tat. Verzweifelt schoss dieser einen Pfeil um den anderen in Richtung seiner Gegner, doch er hatte weder die Konzentration, noch die nötige Zeit, um einen tödlichen Treffer zu landen. Seine Schüsse prallten allesamt an der undurchdringlichen Panzerung ab und fielen zerbrochen auf den Waldboden.
Ein gellender Schrei durchbrach die beinahe vollkommene Stille der Nacht und Ragar's Opfer bäumte sich auf. Es schlug um sich mit den vorderen Beinen und seine Artgenossen wandten sich ab von Lembah. Ragar lächelte siegreich. Auch sein zweiter Pfeil hatte gesessen und würde das Ungeheuer über kurz oder lang töten. Er strengte seine Augen an, der Nebel wurde schlimmer. Mit Mühe und Not konnte er gerade einmal noch das fedrige Ende seines Geschosses wahrnehmen. Die Wunde war tief, zu tief, um Überlebenschancen zu beherbergen.
Lembah sah sich hektisch um, während er sich hinkend auf die Seite hievte. Er schaffte es bis zum nächsten Baum und sank erschöpft daran herunter. Ragar konnte es sich erkennen, doch er vermutete, dass ihn eine der Klauen in der Kniekehle erwischt hatte. Das würde nicht gut enden. Er kannte sich etwas damit aus und hatte des Öfteren die Verletzungen der Anderen versorgt. Und aus Erfahrung konnte er sagen, dass in der Regel die Männer mit aufgeschlitzten Kniekehlen nicht überlebten. Es sei denn man band das Bein auf der Stelle ab und stillte die Blutung. Doch wann war das auf dem Schlachtfeld schon der Fall. Ragar litt mit seinem Freund. Die Schmerzen mussten unerträglich sein. Und zudem blickte er seinem Tod geradezu mitten ins Gesicht.
Er duckte sich. Sein Opfer war zu Boden gegangen und rang mit den letzten Atemzügen um den Tod. Die anderen Angreifer allerdings drehten sich um. Das Feuer entsprang ihren Augen nur so und die pure Wut, der pure Hass, der pure Schmerz waren darin zu sehen. Sie mochten Gefühle haben, doch er würde ihnen seine Verluste nie verzeihen können. Er hatte zu viele Kameraden und auch Freunde verloren.
Sie hatten einzig und allein Lembah im Blick, kümmerten sich nicht darum, woher der Todespfeil gekommen war. Sie waren stur und blieben bei ihrem ursprünglichen Opfer. Ein Rums lief durch den Untergrund, als der Kopf des Sterbenden auf den Boden fiel und die letzte Atemwolke aus den Nüstern geblasen wurde. Das größte der Kreaturen setzte sich nach vorne ab und senkte den Kopf. Ragar wollte am liebsten nicht hinsehen, doch er musste. Er musste seinem Freund beistehen, auch wenn dieser davon nichts mitbekam. Darum ging es nicht. Ragar wollte seinen Körper begraben und seiner Familie davon berichten, wie tapfer er gekämpft und ehrenvoll er gestorben war.
Auge in Auge standen sich Lembah und sein Gegner gegenüber, der Tod und das Leben. Der riesige Fuß setzte sich ab auf seiner Brust und selbst Ragar konnte das laute Stöhnen hören, das Lembah entwich. Er beobachtete konzentriert, wartete auf seine Chance. Doch es würde nicht helfen. Er konnte keines der Ungeheuer schwer verwunden, noch töten. Und alles andere würde nur Negatives bewirken. Wenigstens er musste überleben, er musste die Menschen warnen. Er musste die Könige erreichen, musste ihnen von der drohenden Gefahr berichten, die er selbst nicht wirklich ausmachen konnte.
Ragar sah, wie Lembah mit letzter Kraft, die in ihm steckte, das lange Messer aus seinem Stiefel zog. Sein Gesicht zog sich bei jedem Atemzug schmerzhaft zusammen. Das Gewicht auf seinem Oberkörper nahm immer mehr zu, als sich das Ungetüm zunehmend nach vorne lehnte und Lembah die Klauen in die Haut drückte. Noch schien das Kettenhemd genügend Widerstand zu leisten, doch unzerstörbar war auch dieses nicht. Sie waren zwar aus Stahl aus den hohen Gebirgen geschmiedet, von längst vergessenen Geschöpfen. Ragar wusste nicht, ob die Legenden stimmten oder ob diese menschenähnlichen Wesen noch existierten. Wenn sie das taten, dann hatte er noch nie einen davon gesehen, geschweige denn davon berichtet bekommen.
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Schwarze Krieger
FantasyDie Welt steht am Rande ihres Untergangs. Niemand wusste, wie. Niemand wusste, wann. Doch die Wesen der Unterwelt hatten einen Weg gefunden, um an die Oberfläche zu gelangen und gefährdeten nun die gesamte Existenz der Menschheit. Von den Reichen un...