„Du versuchst es, nicht wahr?", hatte Ronin sie enttarnt und schenkte ihr ein zuversichtliches Grinsen. Ihm war klar, dass seine Freundin die Beste war, die an den Kämpfen teilnehmen würde. Doch er war sich auch bewusst, dass die Elitemänner nicht sofort bei den Straßenkämpfern suchen würden. Aglaia müsste Geduld haben. Doch die hatte sie. Insgeheim hoffte er, dass einfach alles glatt lief. Er würde sie zwar nie wieder sehen, doch ein gute Zukunft für sie war ihm wichtiger. Und vielleicht würden sie sich ja eines Tages doch wiedersehen.
Aglaia nickte nur stumm. Sie überlegte. Ihr kamen dieselben Gedanken. Straßenkämpfer galten nie als besonders gut. Die Männer würden vermutlich die Garde durchforsten, in der Stadt nach guten Männern fragen. Und erst im Akt letzter Hoffnung in die hinteren Ecken der Stadt gehen, um sich noch ein paar billige Straßenkämpfer zu holen. Sie musste die Kämpfe irgendwie öffentlich machen, sie musste sich beweisen. Ihre kriminelle Ader machte sich bemerkbar, als ihr eine grandiose Idee kam. Sie war nicht gerade ungefährlich und könnte schnell ein böses Ende nehmen für sie, doch es war den Versuch wert.
„Du führst doch etwas im Schilde. Ich sehe dir das an der Nasenspitze an. Und wage es ja nicht, mich anzulügen. Ich kenne dich schon zu gut und zu lange, als dass du mir noch Lügen erzählen könntest, Aglaia." Seine Stimme klang streng. Er wusste, dass ihre Idee nicht die sicherste war. Und auch keinesfalls Erfolg garantierte. Doch Aglaia wusste, dass es ihre einzige Chance war. Die Chance auf ein besseres Leben. Die Chance auf einen Neuanfang. Weg von der Straße und der Kriminalität. Sie wollte in Ehre kämpfen. Und damit anderen helfen.
Ronin's Einwurf ignorierte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung und widmete sich den wichtigeren Dingen im Moment. Sie legte ihr Schwert, das mehr einem Degen glich, und das kleine Messer vor sich auf den Boden und breitete es in der untergehenden Sonne aus. Die Kraft der letzten Sonnenstrahlen ließ den Stahl rötlich schimmern. Es sah aus, als würde Feuer darauf tanzen. Fasziniert beobachtete sie das Schauspiel eine Weile, ehe sie sich ihrem Freund zuwandte.
„Sag mal, Ronin. Habt ihr nicht zufällig ein kleineres und kürzeres Schwert übrig? So eines wie ich schon habe, nur noch kürzer und schmaler." Mehr sagte sie dazu auch nicht, sah ihn nur bittend an. Sie wollte unbedingt stärker bewaffnet sein und lernen, mit zwei Schwertern gleichzeitig zu kämpfen. Nur selten hatte sie das bisher gesehen, doch es war von großem Vorteil. Man konnte seine beiden Flanken schützen und hatte zugleich immer eine Waffe auf Reserve, falls man die andere verlor. Doch leider hatte sie im Moment kaum Geld. Und daher auch kein bisschen übrig. Schon gar nicht für so etwas Wertvolles wie ein Schwert. Noch dazu mit ihren Wünschen. Es blieb ihr also nichts anderes als zu hoffen, dass Ronin ihr weiterhelfen würde.
„Ich bin mir nicht sicher. Eigentlich ist gerade alles weg, aber ich werde mal schauen, was ich machen kann. Vielleicht liegt ja noch irgendwo ein altes Schwert, das ich für dich anpassen und wieder richten kann. Aber versprich mir, dass du gut darauf aufpasst! Ich habe nicht zum ersten Mal Ärger mit meinem Vater, weil ich die Aufträge von dir umsonst abarbeite. Er mag dich nicht besonders. Hat vermutlich Angst, seinen Ruf zu verlieren oder jedenfalls zu schädigen. Die Leute sehen dich. Und langsam kennen sie dich. Du musst wirklich aufpassen, du wirst immer bekannter." Besorgt blinzelte er gegen das letzte Sonnenlicht, bevor der Schatten über sein Gesicht fiel.
„Je mehr Menschen über mich Bescheid wissen, desto mehr Kunden. Keine Sorge, ich passe schon auf", tat sie seine Bedenken ab. Doch nur nach außen hin. Sie wusste wohl, dass es immer gefährlicher wurde. Doch wusste sie auch, dass es schwierig war, sich in einer neuen Stadt etwas aufzubauen. Und gerade als Auftragskillerin, wie sie sich selbst bezeichnete, waren gute Verbindungen und ein annähernd guter Ruf essentiell. Das hatte sie hier. Doch sie lebte auf immer dünner werdendem Eis. Die Männer auf den höheren Rängen hatten es schon seit einiger Zeit auf sie abgesehen. Auch wenn sie selbst ihre Dienste in Anspruch nahmen. Da kamen ihr die Männer der Nacht, wie die Elitekämpfer auch genannt wurden, gerade recht. Dann konnte sie endlich ihr schmutzigen Geschäfte hinter sich lassen.
Ihre Gedanken schweiften ab, hin zu weiten Ebenen und tiefen Tälern neben den höchsten Bergen des Landes. Hinauf auf den Pferderücken mit dem Wind in den Haaren. Hinein in die Schlacht, das Klirren der Schwerter und Wiehern der Pferde, Todesschreie und Siegeslieder. Klinge auf Klinge. Bogen auf Pfeil. Messer in Herz. Weit weg war sie von der Realität, weit in der Zukunft. Sie malte sich aus, wie ihr zukünftiges Leben wohl aussehen möge. Wie sie Seite an Seite mit den Männern sang und trank und schlief. Wie sie auf dem Rücken ihres Pferdes inmitten des Heeres ritt, dem Sieg entgegen. Wie sie abends scherzte, Geschichten erzählte und den Geschichten der anderen lauschte. Wie sie morgens glücklich aufwachte und abends glücklich einschlief. Wie sie endlich etwas wert war und bedeutete. Wie sie endlich nicht mehr verpönt war, sondern bekannt und geschätzt. Wie sie nicht mehr das kleine Mädchen war, sondern eine Kämpferin. Wie man ihr zuhörte. Wie man sie liebte. Wie man sie nicht mehr hasste.
Aglaia schüttelte den Kopf, vertrieb die Gedanken und schickte sie dorthin, wo sie hingehörten. In das Land der Träume. Weit weg vom Hier und Jetzt. Dafür war keine Zeit. Nicht jetzt, als sie noch so viel vorzubereiten und zu bedenken hatte. Ihr Plan stand. Doch die Umsetzung dessen war noch einmal eine andere Sache. Sie hoffte nur, dass die Garde auch heute wieder da war, auch wenn ihr Hauptmann fehlte. Ansonsten würde sich ihr Vorhaben um einiges verzögern, wenn nicht sogar flachfallen.
„Aglaia, ich weiß nicht", gab Ronin seinen Bedenken ein weiteres Mal freien Lauf. Er wollte es wohl nicht wahrhaben, dass sie lieber ihr Leben aufs Spiel setzte als dieses Leben weiter zu führen. Ihr Leben war es schon lange nicht mehr wert, als solches bezeichnet zu werden. Ihr Leben begann jeden Morgen und wenn sie Glück hatte, dann war es am Abend noch nicht beendet. Ein jeder Tag war ein Kampf ums Leben. Ein jeder Tag bedeutete Furcht und Verstecken. Ein jeder Tag bedeutete Morden, Stehlen oder Betteln. Das war nicht, wozu sie geboren war. Wenn sie auch ihre Eltern nie persönlich kennengelernt hatte, so hatte sie doch bereits einiges gehört. Sie war die einzige Frau, die mit roten Haaren in der Stadt zu finden war. Außer ihr gab es niemanden sonst. Doch sie wusste von einem Kriegerpaar, dessen Frau ihre Haarfarbe teilte. Vor Jahren sollten sie hier gastiert haben, im Dienste des Königs. Man sagte, die Frau war schwanger. Doch niemand hatte sie je mit einem Kind im Arm gesehen. Niemand wusste, was aus dem Kind geworden war. Und niemand konnte Laia sagen, wohin sie gingen, was aus ihnen geworden ist oder gar, wer sich um das Kind gekümmert hat. Sie konnte nur Vermutungen über ihre Vergangenheit anstellen. Das einzige, woran sie sich erinnern konnte, war ein Mann, das Gesicht verdeckt, der sie im Alter von knappen 10 Sommern vor den Toren der Stadt ausgesetzt hatte. Sie waren sich vertraut gewesen, das spürte sie. Doch er ritt davon, in den Sonnenuntergang. Sie hatte ihn nie wieder gesehen. Seine Gesichtszüge verschwammen immer mehr in ihrer Erinnerung. Das Pferd war pechschwarz gewesen, wie die Nacht. Doch seine Mähne war silbern. Silbern wie der Mond. Im untergehenden Sonnenlicht glänzte sie rot wie ein frisch geschmiedetes Schwert. Seither kam ihr jedoch nie wieder solch ein außergewöhnliches Pferd unter die Augen.
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Schwarze Krieger
FantasyDie Welt steht am Rande ihres Untergangs. Niemand wusste, wie. Niemand wusste, wann. Doch die Wesen der Unterwelt hatten einen Weg gefunden, um an die Oberfläche zu gelangen und gefährdeten nun die gesamte Existenz der Menschheit. Von den Reichen un...