Leseprobe - II

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„Du hast Recht, das Buch ist ein totaler Schrott", kommentierte Vero, schob sich ihre riesige Sonnenbrille auf den Kopf unmittelbar vor ihren überdimensionalen, feuerroten Dutt und grinste Clio an, die sich die Haare zusammenband. „Vielleicht solltest du dir lieber von Benni ein Buch empfehlen lassen, da hat wahrscheinlich sogar er einen besseren Geschmack."

Benni war Clios jüngerer Bruder – alterstechnisch lag er mit 18 exakt zwischen Lara (13) und ihr (23) –, der nur dann ein Buch in die Hand nahm, wenn man ihn dazu zwang.

„Oder vielleicht solltest du deiner Schwester mal ein neues Vampirbuch schreiben, in dem die Vampire auch fähig sind zu sterben."

Clio verdrehte die Augen und griff sich ihren E-Book-Reader. Nicht wieder dieses Gespräch. Veronique würde wohl niemals lockerlassen. Clio liebte es nämlich zu schreiben. Geschichten entstanden von ganz allein in ihrem Kopf, sie musste sie nur aufschreiben und schon existierte eine neue bunte Welt, festgehalten zwischen dem Schwarz der Schrift und dem Weiß des Papiers. Aber leider hatte sie nicht genug Mumm, irgendetwas aus ihrem Talent zu machen, stattdessen versauerte sie in der Werbeagentur, in der sie als Projektmanagerin arbeitete. Sie liebte ihren Job, keine Frage, doch der Laden war einfach ein Irrenhaus. Von den beiden Chefs – ein Ehepaar – wollte sie gar nicht anfangen ...

Vero versuchte immer, sie davon zu überzeugen, endlich einmal aktiv zu werden und ihre Bücher und Geschichten zu veröffentlichen. Selbst Clios Mutter war Feuer und Flamme von ihren Geschichten und Ideen, doch Clio traute sich einfach nicht. Nicht einmal Veros Drohung, sie würde selbst einen Verlag anschreiben und Clios Schreibsachen hinschicken, zog bei ihr. Nun war sie aber zu einer neuen Masche übergegangen.

„Ich bleib dabei, für dich würde ich sogar Nikolas noch einmal kontaktieren", sagte Vero und schnitt somit wieder das ewige Thema an, bei dem sie sowieso niemals weiterkommen würden.

Clio seufzte laut und verzog den Mund.

„Ich weiß das wirklich zu schätzen, Vero, dass du deinen idiotischen Exfreund kontaktieren würdest für mich, auch wenn ich mir sicher bin, dass Jannik das nicht so cool fände, aber ich verzichte wirklich, tausend Dank."

„Ist mir doch egal, was Jannik denkt", schnaubte Vero und reckte ihr Stupsnäschen in die Höhe, von dem die Sonnenbrille wieder einmal aufgrund der Sonnencreme und des Schweißes runterrutschte, „wenn es dir hilft und dich weiterbringt, wird er das schon verstehen, wieso ich Nikolas noch einmal kontaktieren muss."

Also erstens wusste Clio, dass es Vero eindeutig nicht egal war, was ihr Freund dachte, und zweitens wusste Clio, dass Nikolas wahrscheinlich eh keine Hilfe sein würde, auch wenn er bei einem der größten Verlage in München, ihrer Heimatstadt, arbeitete. Der Typ hatte immer schon gerne geredet, nur damit die Luft schepperte. Rausgekommen war dabei aber nie etwas.

„Ist ja auch egal jetzt", versuchte Clio, das Thema zu beenden.

„Naja, find ich nicht, aber wenn du meinst ..."

Clio aber hörte ihrer Freundin schon gar nicht mehr zu. Sie linste über den Rand ihres E-Book-Readers und hatte etwas viel Interessanteres entdeckt. Eine Schar an Leuten, die ungefähr in ihrem Alter waren, vielleicht mal ein Jahr älter oder so, aber sonst sahen sie alle auch so aus, dass sie in ihren frühen Zwanzigern waren, waren am Strand schräg vor ihnen aufgetaucht und waren dabei kaum zu überhören oder zu übersehen.

„Uh, wer ist denn da?"

Veronique war Clios plötzlicher Aufmerksamkeitswechsel natürlich nicht entgangen. Sie schob ihre Sonnenbrille ein wenig die Nase hinunter – grad, dass sie nicht von ihrer Nasenspitze fiel –, um besser gucken zu können.

„Na, endlich mal jemand, den ich auch interessiert betrachten kann", grinste Vero, „und nicht nur so langweilige Leute, die du sonst beobachtest."

Clio überging diesen Kommentar, sie sah lieber die Truppe an Freunden an, die ein wenig von ihnen entfernt und weiter vorne am Wasser neben dem russischen Pärchen, von dem der weibliche Teil eindeutig eine Pornodarstellerin sein musste, ihre Handtücher ausbreiteten und durch ihr Gelächter und ihre Energie sämtliche Blicke auf sich zogen.

Sie waren zu siebt. Drei Mädels und vier Jungs. Waren sie Italiener? Sie hatten nämlich alle, bis auf ein Mädchen, dunkle Haare.

„Wieso müssen die sich alle so ähnlich sehen? Ich kann die ja kaum auseinanderhalten!", kommentierte Vero seufzend und Clio grinste in sich hinein, denn es war nichts Neues, dass die beiden ständig das Gleiche dachten.

„Okay, lass mich mal analysieren. Du bist die Expertin darin, jetzt testen wir mal meine Beobachtungsgabe", sagte Vero und klang dabei ganz aufgeregt.

Sie rutschte von ihrer Liege, auf der sie sich unter den Schirm gelegt hatte, zu Clio auf das Handtuch. Clio rückte ein bisschen beiseite, sie lag immer noch auf dem Bauch, während Veronique nun direkt neben ihrem Kopf saß.

„Moment mal, die zwei Typen sehen sich ja absolut ähnlich – das sind Zwillinge, oder?"

„Sehr gut, Watson."

„Hey, wieso bin ich nicht Sherlock?!"

Nachdem sie Clios amüsiert hochgezogene Augenbraue gesehen hatte, räumte sie ein: „Na gut, akzeptiert. – Also, da hätten wir die Zwillinge. Dann gibt es noch zwei Typen. Und drei Mädels. – Oh, die mit den blonden Haaren und der eine Zwilling haben sich gerade geküsst! Also ein Pärchen. Aha, aha."

Vero brabbelte weiter und weiter, doch Clio hörte ihr immer weniger zu. Sie hatte schon längst gesehen, dass da ein Pärchen (mindestens ein Pärchen) und auch die beiden Zwillingsbrüder waren – doch ihr Blick hatte sich an dem einen Typen festgekrallt. So sehr sie auch versuchte, die anderen wieder anzusehen und zu beobachten, sie schaffte es nicht. Leider waren sie zu weit weg, als dass sie sein Gesicht richtig sehen konnte, doch allein wie er sich bewegte und mit den anderen sprach und sie dabei ansah, ließ ihren Bauch ein wenig kribbelig werden.

„Clio?"

„Hm?", machte sie und drehte ihren Kopf ein wenig in Veros Richtung, ohne den Blick von dem Typen abzuwenden.

„Kann's sein, dass du gerade magisch von Nummer 3 angezogen wirst?"

„Nummer 3?"

„Ich habe sie durchnummeriert. Die Zwillinge sind 1 und 2, der Typ, den du angaffst wie ein Reh im Scheinwerferlicht, ist Nummer 3 und der andere, der etwas unscheinbar wirkt, ist Nummer 4. Die mit dem Dutt ist 5, die Blonde ist die Nummer 6, die mit den pechschwarzen Haaren ist die 7. Ich find das super. Meinst du, die sind deutsch? Oder eher italienisch? Spanisch? Österreichisch? Kroatisch? Tschechisch? Dänisch?"

„Fallen dir noch irgendwelche Nationalitäten ein?", unterbrach Clio sie lachend und sah Vero grinsend an. Vero wackelte nur mit den Augenbrauen, ihr Grinsen zog sich quasi einmal um ihren Kopf herum.

„Okay, Operation Nummer 3. Wir müssen ihn kennenlernen."

„Ohhh nein, das werden wir schön sein lassen!", antwortete Clio vehement und setzte sich auf. Alarmiert sah sie ihre beste Freundin an.

„Wirklich, Vero, ich habe keinen Bock auf irgendeinen Typen im Urlaub. Das ist doch nur Stress und Liebeskummer und so weiter, echt jetzt!"

Hello Sunshine! [LESEPROBE]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt