f*uck those depressing thoughts

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Tief in Gedanken lief ich die Avenue entlang, in der Red's Laden war. Vor dem Laden setzte ich mich auf eine Bank und begann die Leute zu beobachten, die zügigen Schrittes vorbeiliefen. Sie waren alle so unterschiedlich. Dort waren Gruppen von Studenten die sich, nach einem langen Tag, einen schönen Abend in einer Kneipe machen wollten. Straßenhändler die an den Straßenecken Hot dogs und Souvenirs verkauften, Geschäftsleute, die sich nach einem langen Arbeitstag freuten ihre Familie wiederzusehen. Sie alle hatten ein Leben, so wie ich es vor ein paar Monaten noch hatte. Das waren Leute deren größte Sorge es war, wann sie einkaufen gehen sollten, oder ob ihr pubertierender Sohn wohl die Halbjahresprüfungen schaffen würde.

Ich sah wieder zu der Gruppe von Studenten rüber. Das waren junge Leute, die überlegten was sie eines Tages nach ihrem Studium machen wollen. Sie hatten ihr ganze Leben noch vor sich und stehen eigentlich noch am Anfang ihres Lebens. Sie wirkten so glücklich und unbeschwert, als ob nichts, jemals ihre Pläne durchkreuzen könnte. Leise flüsterte ich in ihre Richtung:"Vermasselt es bloß nicht, so wie ich es getan hab"

Ich merkte wie mir Tränen die Wange herunterliefen. All diese Leute waren eigene Individuen. Sie alle hatten eine eigene einzigartige Persönlichkeit, ihre eigenen Probleme, Wünsche und Hoffnungen. Doch ich? Ich war nur noch eine leere, unnahbare Hülle. ich horchte in mich hinein, doch da war nichts. Das einzige was ich fühlte war eine gewaltige Sehnsucht. Doch nach was ich sehnsüchtig war, konnte ich ebenfalls nicht festmachen. Es war als würde etwas ständig an mir vorbeirauschen. Ich versuchte es zu erfassen, doch immer war ich zu spät und das was ich suchte, rieselte durch meine Hand wie Sand.

Das Gefängnis hatte mich verändert. Es würde jeden Menschen verändern. Ich erklär das mal kurz. Wenn man ins Gefängnis kommt, versucht man die ersten Wochen, sich abzugrenzen, seine eigene Persönlichkeit aufrecht zu erhalten. Aber das durchzuhalten ist extrem schwer. Man könnte es mit Ertrinken vergleichen. Am Anfang kämpft man, doch dann beginnt man aufzugeben. Die Glieder werden schwer, das Gehirn schaltet sich aus. Man wird eins mit seiner Umwelt. Im Gefängnis sind alle irgendwann mehr oder weniger gleich. Leere Hüllen in khakifarbenen Klamotten. Jeder Tag ist gleich. Alles wird dir vorgeschrieben; wann du zu essen hast, wann du zu duschen hast, wann du rausdarfst, einfach alles. Im Gefängnis dauerhaft eine starke, eigene Persönlichkeit zu haben, ist schier unmöglich.

Ich stand auf und begann weiterzugehen. Hier in New York hört man ständig Polizeisirenen, die einem, wenn man neu hier ist, monatelang den Schlaf rauben können. Irgendwann gewöhnt man sich daran und nimmt sie gar nicht mehr wahr. Für jemanden wie mich, der monatelang im Gefängnis in erdrückender Ruhe geschlafen hat, sind die Geräusche die New York von sich gibt, viel zu laut.
Und dennoch spüre ich einen kleinen Funken Geborgenheit in mir. Also würde mein Körper spüren, dass er zuhause ist. 

Die Cola war leer und ich schmiss die Flasche in den nächsten Müll. Im Knast haben sie auch Cola, nur dass die immer abgestanden schmeckt. Ich schaute in meinen Geldbeutel, der gut gefüllt war, denn im Gegensatz zu vielen meiner Mitgefangenen habe ich Geld. Meine Familie hat Geld. Ich musste mich mich selten sorgen, ob das Geld für den Rest des Monats reichte. Ich hatte einen Job, der mir ein sauberes, ausreichendes Einkommen verschaffte. Alex hatte nach ihrer Inhaftierung nur noch einen Bruchteil ihres Vermögens. Die Behörden hatten ihr natürlich jegliches Geld, das von Drogenmachenschaften beschmutzt war, weggenommen. Ich erinnere mich, wie ich ihr einmal einen kleinen Handventilator aus dem Knastladen gekauft habe, weil ihr Monatsgehalt dafür nicht ausgereicht hat. Sie hat sich so gefreut. 

Ein paar Meter weiter spielte ein Straßenmusiker ein Lied auf seiner Gitarre; Ich erkannte es auf Anhieb. "Pale Blue Eyes" von Underground Velvet. Ich habe den Song das erste Mal gehört, als ich mit Alex in London in einem Taxi durch die Stadt fuhr, denn es lief dort im Radio. Ich habe den Text nie wieder vergessen.

Sometimes I feel so happy
Sometimes I feel so sad
Sometimes I feel so happy
But mostly you just make me mad
Baby, you just make me mad


Linger on your pale blue eyes
Linger on your pale blue eyes


Thought of you as my mountaintop
Thought of you as my peak
Thought of you as everything
I've had, but couldn't keep
I've had, but couldn't keep


Linger on your pale blue eyes
Linger on your pale blue eyes


If I could make the world as pure
And strange as what I see
I'd put you in a mirror
I put in front of me
I put in front of me


Linger on your pale blue eyes                                                                                                                                Linger on your pale blue eyes

Skip a life completely
Stuff it in a cup
She said "money is like us in time
It lies, but can't stand up"
Down for you is up

Linger on your pale blue eyes                                                                                                                                 Linger on your pale blue eyes


Kein Lied könnte unsere Beziehung je besser beschreiben. Die Augen von Alex waren zwar nicht "pale blue", aber ich ertappte mich früher oft, wie ich in das grau-grün ihrer Augen starrte. Minutenlang. Immer bis es ihr auffiel, denn dann kicherte sie und hielt sich die Hände vors Gesicht. Ich habe in meinem Leben schon mehrere Beziehungen geführt; ich habe schon ein paar Menschen geliebt, aber nie liebte ich jemanden so sehr wie sie. Sie gab mir stets das Gefühl am Leben zu sein. Lebendig. Ich liebte sie mit jeder Faser meines Körpers. Ich sollte sie hassen, aber ich kann es einfach nicht so, wie ich sie gerne hassen würde.

Der Musiker hatte inzwischen ein neues Lied angestimmt, das ich nicht kannte, also ging ich weiter die Straße entlang. Mittlerweile taten mir die Füße weh. Ich war hohe, enge Schuhe einfach nicht mehr gewohnt, also zog ich sie aus und lief barfuß weiter, was nicht weiter schlimm war, denn die Luft war mild und in Queens interessiert es eh niemanden, wie du rumläufst.  Auf dem Burger waren eindeutig zuviele Zwiebeln gewesen und mein Atem verlangte nach einem Kaugummi, weshalb ich gleich den nächsten Kiosk betrat. 

Ich grüßte den Typen an der Kasse und stellte mich vor das Regalfach mit den Kaugummis, welches gleich am Eingang war. Jetzt kam das Dilemma, sich zu entscheiden. extra LEMON, extra  MINT, 5 Watermelon oder doch das gute alte Hubba Bubba ? Oder alle ? Im Knastladen verkaufen sie nur das normale Airwaves. Ich wollte gerade nach einer Packung extra LEMON greifen, als ich eine Frau hinter mir an der Kasse bezahlen hörte. Der Klang ihrer Stimme lies mich hochfahren. Ich drehte mich langsam um und mir stockte der Atem, als ich direkt in die grau-grünen Augen, der Frau schaute, die mein Leben zerstört hatte.

"Alex ??"

"Pipes ???"

Zwei Tage GlückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt