Nachts war ich den Weg vom Supermarkt bis zu meiner Wohnung immer sehr zögerlich gegangen. Ich genoss es einfach, durch die Straßen zu gehen, wenn fast niemand anderes es tat. Das war natürlich nicht in allen Teilen der Stadt so, doch auf genau diesem Weg, vom Supermarkt bis zu meiner Haustür, herrschte zu dieser unchristlichen Stunde immer ein besonderer Frieden.
Blöderweise hatte ich mich gerade heute zu ziemlich leichter Kleidung entschieden. Mir schlug ein eisiger Wind entgegen, der direkt durch meinen Pullover hindurchfegte. Ein Schauer lief mir den Rücken herunter. Die Hand, in der Ich meine Einkaufstüte trug, war schon fast taub vor Kälte.
Vielleicht hätte ich doch ein Wenig schneller gehen sollen. Dann säße ich jetzt schon in meiner Wohnung. Die war zwar auch nicht gerade großzügig geheizt, doch isoliert war sie, und unter drei Decken war es schon fast so warm wie an einem Kaminfeuer. Der Gedanke an ein warmes, kuscheliges Plätzchen motivierte mich glatt dazu, die Tüte ein bisschen fester zu umklammern und bestimmt die Straße herunterzumarschieren, in dem Wissen, bald zuhause zu sein.
Im Licht der Straßenlaternen erkannte ich von Weitem die Shilouette eines Hundes. Er stand ein paar hundert Meter entfernt mitten auf der Straße, doch seinen Besitzer konnte ich nicht entdecken. Vermutlich stand er irgendwo zwischen den Autos, oder schlief in einer der Gassen.
Einen Hund zu sehen motivierte mich noch viel mehr. Ich sah zwar nicht viele Menschen mit ihren Hunden nachts durch die Straße laufen, doch hin und wieder erlebte man doch ein paar nette Überraschungen. Hunde hatten diese wunderbare Gabe, jede Situation zu verbessern. Vorausgesetzt natürlich, sie waren genauso froh, mich zu sehen, wie ich sie.
Während ich hastig einen Fuß vor den anderen setzte und die Atemwolken aus meinem Mund beobachtete, spürte ich, wie meine Wangen langsam anfingen zu brennen. Der Winter hatte gerade erst angefangen, doch nachts wurde es nochmal doppelt so kalt wie tagsüber. Hoffentlich kommt demnächst der erste Schnee. Dann lohnen sich die Minusgrade wenigstens.
Ich sah erneut zum Hund. Er hatte sich nicht von der Straße bewegt. Tatsächlich hatte er sich gar nicht bewegt. Stand still da, sein Blick direkt auf mich gerichtet.
Mir lief erneut ein Schauer über den Rücken, diesmal lag es allerdings nicht an der Kälte. Die Situation kam mir auf seltsame Weise faul vor. Irgendwas stimmte nicht.
Kurz verlangsamte sich mein Schritt, dann lief ich wieder mit gleichem, hastigem Tempo die Straße entlang, geradewegs auf den Hund zu. Er bewegte keinen Muskel. Je näher ich kam, desto schärfer wurde das Bild, umso größer und unförmiger wurde der Hund - bis ich abrupt stehen blieb. Schlagartig wurde es mir klar.
Das war kein Hund.
Ich war nur noch einige dutzend Meter entfernt. Die Shilouette bewegte sich zum ersten Mal, seit ich sie erblickt hatte. Ein paar Schritte vorwärts, direkt in den Lichtschein der Straßenlaterne. Meine Tüte fiel zu Boden.
Ein Werwolf.
Glänzende, gelb leuchtende Augen fixierten mich. Tief aus seiner Kehle ertönte ein boshaftes Knurren. Ich hielt die Luft an. Langsam, ganz langsam bewegte er sich auf mich zu, musterte mich bedrohlich und fletschte seine Zähne. Ganz eindeutig kein Zeichen dafür, dass er froh wäre, mich zu sehen.
Na großartig.
Ich musste schnell überlegen, was ich nun tat. Ich hätte rennen können, doch er wäre schneller gewesen. Ich hätte reden können, doch er wäre nicht darauf eingegangen. Ich hätte kämpfen können. Doch ich wusste nicht, wie ernst es war. Blieb mir eine andere Wahl?
Ein weiteres Knurren ertönte, diesmal lauter, aggressiver.
Blitzschnell wirbelte ich herum, um nach einer nützlichen Waffe zu suchen. Nein, mir blieb keine andere Wahl. Dieses Tier wollte keinesfalls spielen, geschweige denn diskutieren.
YOU ARE READING
Red V
FantasyKae lebt als Kriegerin in einer Organisation bestehend aus mystischen Kreaturen. Als sie unerwartet in die Elite befördert wird, muss sie sich an eine komplett neue Art des Lebens gewöhnen, was sich als ziemlich knifflig herausstellt - zumal während...