the group

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"Hey, Sophie!" Ich höre jemandem hinter mir her rennen und drehe mich ruckartig um, bereit, sprechende Zombies umzulegen. "Kannst du die Arme bitte runter nehmen?" fragt der Junge und schnappt nach Luft. Es ist Luke. In der Gruppe gibt es nicht viele in meinem Alter, doch er ist so um die zwei Jahre älter als ich. Trotz neckender Sprüche der anderen sind wir gut befreundet.

"Sorry, hab deine Stimme nicht erkannt", sage ich und zuckte entschuldigend mit den Schultern. Seit wir letztens fast von einer stinkenden Hochzeitsgesellschaft als Festmahl missbraucht worden waren, bin ich ziemlich angespannt und gehe grundsätzlich bei jedem Geräusch in Angriffsposition.

Luke seufzt. "Sophie, ich weiß, du bist noch angeschlagen von dem letzten-" "Was heißt hier angeschlagen?! Die Braut hätte mich mit ihrem Schleier fast erwürgt, bevor ich zum Dessert mutiert wäre!" fauche ich und verschränke beleidigt die Arme vor der Brust. Luke wäre frei gewesen in dem Augenblick und hatte sich lieber kurz entspannt, als mich vor der hässlichen Frau zu retten. Ich schnaube kurz.

"Hey, es tut mir leid, okay? Ich hab dich echt nicht gesehen! Du weißt doch, dass ich sonst dein ehrenvoller Retter geworden wäre", grinst er und in mein Gesicht schleicht sich ein Lächeln. "Sowas wie ein Retter sein kannst du überhaupt nicht, davon bin ich überzeugt", ich strecke mich und atme tief aus, bevor ich fortfahre. "Also, weshalb rufst du mich? Es war wohl kaum, um dich noch einmal zu entschuldigen." "Da hast du leider recht, ich wollte dir Bescheid sagen, dass es Christine besser geht", sagt er und guckt mich erwartungsvoll an. Christine ist meine Mutter. Obwohl sie meine letzte lebende Verwandte und meine Erzeugerin ist, habe ich ein weniger gutes Verhältnis zu ihr, als ich zu meinem Vater hatte. Wir waren ein Team. Wir haben trainiert, gekämpft, geredet. Mom stand immer nur daneben und hatte Angst. Die Angst hatte ihren Lebensmut verätzt und auch meine Beziehung zu ihr. Denoch kann ich nicht anders, ich sorge mich um sie und versuche sie, soweit es geht, zu beschützen.

Nun bin ich an der Reihe mit seufzen. Ich nicke Luke knapp zu und ein Lächeln breitet sich auf seinem hübschen Gesicht aus, während wir uns durch schmale Gassen quetschen, um zum Lager zurückzukehren. Diesmal hatten wir es in einem kleinen Dorf aufgebaut, irgendwo mitten in der verwinkelten Altstadt. Natürlich gibt es hier weniger Feinde, allerdings auch weniger Versorgungsmöglichkeiten, weshalb wir hier nur vorübergehend sind. Ich liebe diesen Ort. Die unergründliche, labyrinthartige Anordnung der Gassen fasziniert mich immer wieder aufs Neue... "SOPHIE!", Luke reißt mich aus meinen Gedanken. "Wir sind seit zwei Minuten da." "Oh", mache ich und schiebe den Vorhang zum Zelt zur Seite. Drinnen steht Wolfgang, der gewählte Anführer der Gruppe, und Katja, die mich jedesmal sitzen lässt, wenn wir zur Patrouille eingeteilt sind. Sie ist etwa im selben Alter wie Mom und scheint sich gerade angeregt mit ihr über Maniküre zu unterhalten. Wolfgang kommt zu uns.

"Na, Sophie, wie geht's?" fragt er mit seiner gutmütigen Stimme. Ich habe gesehen, dass er nicht so harmlos ist, wie er aussieht und die Kurzwaffe, die in seinem Hosenbund steckt, sagt ähnliches aus.

"Nur ein bisschen Kopfweh, sonst prima. Wie läuft's mit der Suche nach Lebensmitteln?" erwidere ich.

"Erwin und Marco haben eben durchgegeben, dass sie ein paar Vorräte gefunden hätten. Wahrscheinlich genug für die nächsten fünf, sechs Tage."

Ich nicke erstaunt. Wir sind an die 30 Leute, das muss ein ziemlich großer Vorrat gewesen sein. Luke zupft mich am Ärmel und deutet mit dem Kopf auf Mom. Ich murmele Wolfgang ein paar Abschiedworte zu und stelle mich dann neben die Pritsche, auf der Mom liegt.

"Hi", sagt sie und lächelt schwach. Katja verzieht sich schweigend nach draußen.

"Hi", sage ich zurück und verknote meine Finger. "Hab gehört, es geht dir besser."

"Da hast du ziemlich richtig gehört. Mein Bein ist fast komplett abgeschwollen und es zeigen sich keine Zeichen einer Entzündung", lächelt sie. Mom hat beim letzten Angriff mehr abbekommen als die anderen, ihr Bein wurde zerkratzt und sie hat sich eine Kapsel im Fußgelenk angerissen, jedenfalls hat Erika, die Ärztin, das so festgestellt. Es ist schon praktisch, eine gute Ärztin in der Nähe zu haben.

"Na dann...ähm...ruh dich noch ein bisschen aus", ich kratze mich am Hinterkopf. Als ich das Zelt wieder verlasse, schlägt mir ein unangenehm blumiger Duft entgegen. Aus Reflex schlage ich mir die Hand vor den Mund.

"Jetzt sag bloß, es gefällt dir nicht", höre ich die traurige Stimme meiner Freundin Nola, die ein Jahr jünger ist als ich. "Ich habe es eben in einem der Häuser gefunden und wollte Luke damit beeindrucken." Hoffnung wischt alle anderen Gefühle aus ihrer Miene und lässt sie strahlen. Meine Antwort ist wohl nicht weiter gefragt, ich merke, wie sie wieder in ihre Tagträume versinkt und weitergeht. Ich halte mich nicht weiter damit auf, ihr verwirrt nachzublicken, sondern konzentriere mich darauf, zwischen den eng aneinander gebauten Zelten auf keine Habseligkeiten zu treten. Luke gesellt sich zu mir.

"Hast du schon Erwin und Marco angefunkt? Wegen der Sache mit dem Essen", frage ich beiläufig und mein Magen knurrt auffällig. Hunger gehört hier zum Alltag.

"Ich warte noch auf eine Antwort", erwidert er, neben mir herlaufend. Wir weichen einer aus einem Zelt ragende Metallstange aus.

Ich blicke mich um und ziehe Luke in eine verdeckte Ecke.

"Und was ist mit der anderen Sache?" flüstere ich angespannt. Luke bewegt sich nicht.

"Ich suche noch nach einer passenden Gelegenheit, die Gruppe zu verlassen", sagt er und stöhnt. "Das ist schwerer als erwartet."

Ich nicke verständnisvoll.

Vor etwa einer Woche hatten wir ausgemacht, selbstständig auf die Suche nach Essen zu gehen, obwohl das gegen die Regeln der Gruppe verstößt, was uns im Anblick eines Hungertodes allerdings nicht wirklich kümmert.

Kurz zucke ich mit den Schultern und lächele ermutigend.

"Wir schaffen das schon", sage ich optimistisch. Luke wirft mir einen ironischen Blick zu.

"Behalte deinen Optimismus für dich, wir brauchen hier einen Blick für die Realität."

"Oh, okay."

Mit diesen Worten trennen sich unsere Wege wieder und ich suche das Zelt meiner Mutter und mir auf.

in a rotten worldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt