Kapitel 1

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Die Zeit verging. Ich befinde mich nun in der 10. Klasse einer arabischen Mädchenschule, denn es gab hier nur getrennte Oberschulen. Ja, auch das Lesen und Schreiben beherrsche ich nun gut, nachdem ich stundenlange Nachhilfe bekommen habe. Dies habe ich aber auch meinen neuen Freundinnen Fatima und Ranna zu verdanken, die mir immer bei schweren Aufgaben helfen und mich bei größeren Schwierigkeiten netterweise bei ihnen abschreiben lassen. Da auch die Lehrerinnen wissen, dass ich aus Deutschland komme, behandeln sie mich auch etwas freundlicher als der Rest.

Manchmal denke ich an meine Zeit in Deutschland zurück, an meine alte Schule und an meine Freunde. Doch obwohl meine jetzige Schule zerottet und wirklich arm dran ist, fühle ich mich wohl. Das Wetter ist wundervoll und die Sonne strahlt, die Menschen sind super freundlich und hilfsbereit. Ja, ich fühle mich pudelwohl. "Helen? Schlaf nicht ein, wir haben Schulschluss! , ruft Ranna, meine Sitznachbarin, mir zu. Ich bin eine wirklich sehr verträumte Person. "Ja, ich komm ja schon.", antworte ich ihr abwesend. Langsam schlendere ich ihr hinterher und betrachte die Schule auf dem Weg nach draußen. Alles voller Mädchen und Lehrerinnen, ein Pausenhof, der sehr langweilig gestaltet ist - eine leere Fläche mit zwei Basketball Körben - genauso wie der Rest der Schule und zerottete Stühle und Tische. Am Tor quetschen sich nun alle Mädchen hinaus, um als Erste raus zu kommen, denn auf anstellen hat hier keine Lust. Ein wirklich großer Unterschied zu Deutschland. Trotzdem fühle ich mich wohl.

Schon wieder dieser Baum, denke ich mir. Ranna nimmt mich wieder Mal an den Baum vor der Schule, an den wir eigentlich jeden Tag nach dem Unterricht stehen und, nun ja, Jungs beobachten. Da es keine gemischten Schulen gibt, treffen sich Jungs und Mädchen nach dem Unterricht immer auf diesem Platz, um zu flirten, sich anzumachen und um zu quatschen. Ich finde das immer so lächerlich. Aber was solls, ich hab eh nicht wichtigeres zutun und lustig ist es immerhin. Meine Freundinnen checken alle Jungs ab,  kichern die ganze Zeit und ich stehe, wie immer, augenverdrehend neben ihnen.

"Oh Helen, schau mal hinter dir, da ist ER wieder. ", sagt mir Fatima zwinkernd. Als ich mich umdrehe, um zu schauen, wen sie meint, sehe ich einen großen, etwas schmal gebauten Jungen mit verwuschelten Haaren, der mich mit einem schiefen Lächeln anstarrt. Ich mach mir aber nichts von solchen Anmachen und ignoriere es. Wir immer sind meine Freundinnen entsetzt von meiner Reaktion. "Verdammt nochmal Helen, wie kannst du so einen hotten Boy nur so alleine lassen,  er isst dich gleich auf mit seinen Augen, er stürmt ja gleich -OH-MEIN-GOTT-OHMEINGOTTOHMEINGOTT!! " schreit Fatima plötzlich. "Was ist denn mit dir.. ", frage ich sie, doch ich kann meinen Satz nicht zu Ende bringen, da mich jemand an der Schulter anstupst. Ich drehe mich um und vor mir stehen plötzlich volle schwarze Augen,  die mich anstarren. "Von nahen siehst du noch viel hübscher als sonst aus " sagt er. Es ist der Junge von gerade eben.

Ich blicke in seinen tiefschwarzen Augen und verlor mich in ihnen. Ja, er sieht echt gut aus. Vor allem dieses schiefe Lächeln.. Doch ich mache mir nichts aus einer Anmache. "Lass mich los!!! ",schreie ich. Doch er beginnt zu lachen und meine Freundinnen kichern ununterbrochen. Er kommt immer näher und blickt mir tiefer in die Augen. Mein Gesicht wurde tiefrot vor Scham, ich bin wie hypnotisiert. "Du bist wunderschön. Grüne Augen und dunkelblonde Haare. Du bist lang. Meine Traumfrau. Ich lass dich nicht mehr los. ", sagt mir Mohand und fasst mich fest an die Hand. "Sag mal gehts noch??? " schreie ich lauter. Meine Freundinnen rasten aus vor Freude. Er nähert sich immer mehr, bis seine Nase meine berührt. Ich kann mich einfach nicht lösen, ich bin wie hypnotisiert. Sollte das mein erster Kuss sein? Mit irgendeinem, dessen Namen ich nicht mal kenne? Vor Verzweiflung kullert mir eine Träne. Er entfernt sich von mir,  schaut mir wieder in die Augen und streift seinen Finger über meine Wange. "Ich gehe erst, wenn wir uns morgen hier alleine treffen und uns unterhalten. Versprochen, ich tu dir nichts. ", sagt der komische Junge mit einer warmen Stimme. Meine Freundinnen schrien "NA KLAR" und ich musste nicken. "Na dann, bis Morgen du Schönheit. Ach übrigens, ich heiße Mohanad. Ciao! "

Mohanad also.. Na das kann ja heiter werden.

Mohanad. Wie dieser eine hübsche Schauspieler. Naja was solls, mir egal. Dann kann ich ihm wenigstens ne Abfuhr erteilen und ich bin ihn endlich los. Das dachte ich mir den ganzen restlichen Tag. Meine Freundinnen terrorisierten mich mit ihren Anrufen und Nachrichten, um mir Tipps für Morgen zu geben. Aber wieso versteht niemand das ich wirklich kein Intresse an ihn habe? Für die Mädchen hier, in diesem Land, war es anscheinend normal, sich nach einer Anmache gleich zu treffen. Doch für mich war das eigentlich unmöglich - ich wollte das eigentlich alles garnicht. Wie verrückt. Ich bin in einem Land, in dem man einem nicht verlobten Paar sofort einen schlechten Ruf zuschreibt, hinter deren Rücken man sehr schlechtes redet. Doch trotzdem tuen es die Mädchen und Jungen immer wieder - sie verlieben und treffen sich, egal, was Traditionen vorschreiben.

Die Zeit verging und ich legte mich allmählich schlafen. In meinem Kopf herrscht ein großes Durcheinander. Ja ok, er war hübsch. Aber zählt nicht eigentlich der Charakter? Und der scheint ja nicht ganz toll zu sein. Er ist dreist, vorlaut und ein Obermacho. Aber vielleicht kenne ich ihn einfach nicht. Mit diesem Gedanken schlief ich langsam ein ..

Am nächsten Tag machten mich meine Freundinnen fertig, weil ich wie immer aussehe: ungeschminkt, Schlabberklamotten und stinklangweilig. Aber wieso sollte ich mich für ihn rausputzen? Ich liebe ihn doch nicht, verdammt. Auch der restliche Schultag verlief wie immer. Meine Freundinnen ließen mich nach der Schule alleine, es sollte ja romantisch werden. Oh man.

Ich lief aus der Schule und blickte schnell auf den Baum, den Treffpunkt mit Mohanad. Doch er ist nicht da. Yippie, denke ich mir. Ich wollte schnell wegrennen, doch leider kommt es nicht mehr dazu. "Die Hübsche will doch nicht vor mir wegrennen, oder ? "

Es ist Mohanad.

Ich verdrehe meine Augen. Immer er und diese ekelhaften Sprüche. Ich schaue ihn ernst an. "Mohanad ich hab kein Intresse an dir. Bitte versteh das. Du kennst nicht einmal meinen Namen. Nennst du das Liebe? Wahre Liebe kommt nicht vom Aussehen, das ist vielleicht verknallt sein. Wahre Liebe ist, wenn du den Charakter des Gegenübers kennst. Und dein Charakter ist scheusslich. Bitte geh und lass mich in Ruhe." sage ich ihm sauer, doch er kommt mir langsam entgegen. Er legt seine Hände auf meine Schultern und schaut mir tief in die Augen. Wir sind alleine auf der Staße und ich höre sein Herz pochen. "Helen, Ich lass dich nicht gehen. Du bist meine Traumfrau. Versteh das. Bitte. Ich will dich." sagt er leise und in einem sehr ernsten Ton. Ich bin verblüfft und geschockt zugleich. Niemand hat mir solche Worte zuvor gesagt. Langsam fängt auch mein Herz schnell zu schlagen. "Bitte Helen denk nicht falsch von mir. Wenn du mich einmal kennenlernst, dann weißt du,  dass ich der Richtige bin. Ich werde dich auf Händen tragen.. Ich beobachte dich schon seitdem du auf dieser Schule bist. Deine Schönheit hat mich überwältigt. Ich habe mich auf den ersten Blick in dich verliebt." Nachdem Mohanad das sagte, nähert er sich mir immer mehr. Ich spüre eine sanfte Wärme in mir steigen.

Doch er entfernt sich schlagartig von mir. "Ich liebe dich Helen." sagt Mohanad schnell, mit einem traurigen Blick und läßt mich mit einem verdutztem Gesicht stehen.

Liebe auf ArabischWo Geschichten leben. Entdecke jetzt