Zwei

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Trotz meiner eher provisorischen Bettwahl schlafe ich relativ gut bis ich unsanft geweckt werde. Ich schlage die Augen auf und sehe über mir mein Tutor, der mich an der Schulter rüttelt.

"Was machst du hier? Warum hast du nicht im Bett geschlafen?"

Ich schüttele nur den Kopf. Erstens bin ich furchtbar müde und zweitens geht sie das rein gar nichts an.

"Lange Geschichte. Erzähle ich ihnen ein anderes mal."

Ich schnappe mir meinen Schlafsack und gehe unter den erstaunten und belustigten Gesichtern meiner Mitschüler auf's Zimmer. Dort ziehe ich mir frische Unterwäsche an und ordne meine Haare. Trotzdem sehe ich noch furchtbar verschlafen aus.

Ich kann bloß hoffen, dass es warmen Kaffee im Speisesaal gibt, denn ich habe nicht viel Kleingeld mit und für eine Woche Kaffee für mich und ab und zu eine Heiße Schokolade für Nele wird's nicht reichen. Der Automat nimmt ja leider keine Scheine.

Meine Hoffnungen und Befürchtungen werden bestätigt. Zu meinem Glück gibt es Kaffee, zu meinem Pech nur Müsli. Ich meine, in der Schulzeit gerne, aber in den Ferien, am Wochenende und auf Reisen kann man doch mal was anderes erwarten als Müsli. In einer Schüssel stehen ein paar Muffins, also nehme ich mir einen von diesen staubtrocken aussehenden Dingern. Zu meinem weiteren Pech ist nur noch ein Platz am Tisch der Klassenclowns übrig. Ich setze mich etwas abseits und knabbere an dem staubtrockenen Muffin, der keinen spezifischen Geschmack hat. Ich vermute etwas vanilleartiges. Der Kaffee ist etwas abgestanden und wässrig, aber ich will nicht auf die Alternative - bis zum Geht-nicht-mehr-gesüßten Pfefferminztee - zurückgreifen.

Den leise aber unüberhörbar gemurmelten Kommentaren der anderen kann ich entnehmen, dass ich wohl etwas zerknittert aussehe. Ich schaue an mir herunter. Es stimmt. Meine Hose und meine Fleecejacke, die ich immer noch anhabe sind von der Nacht auf dem Sofe ziemlich zerknautscht. Ein schneller Blick in den Spiegel nach dem Frühstück lässt mich zu der Annahme kommen, dass ich für die anderen, inklusive dem Herbergspersonal aussehen muss wie ein Zocker, der wochenlang nicht geschlafen beziehungsweise seine Wäsche gewechselt hat.

Das heutige Programm sieht einen Besuch in einem Hochmoor vor. Wozu, ist mir allerdings schleierhaft. Mir bleibt somit nichts anderes übrig als mir mit den ganzen anderen Idioten ein langweiliges Sumpfgebiet anzuschauen. Ich bin eigentlich ein Naturfreund, doch dünn bewachsenen riesigen Matschflächen kann ich nicht gerade viel abgewinnen. Da sind Steilküsten oder Großstädte viel interessanter.

Da wir etwas länger weg sein werden, müssen wir uns Verpflegung mitnehmen. Beim Kampf um die wenigen Brötchen erwische ich eines nur um festzustellen, dass alle Beilagen vergriffen sind. Mein Mittagessen wird also aus einem trockenen Brötchen, einem Apfel und einer Flasche Leitungswasser bestehen. Tolle Aussichten.

Kurz bevor wir losgehen, packe ich noch meine Kamera mit in meine Umhängetasche. Nur für den Fall, dass sich im Moor doch ein paar Gelegenheiten für schöne Schnappschüsse ergeben.

Nach Auskunft unseres Tutors wird der Hinweg ungefähr eine Stunde in Anspruch nehmen. Eine lange Zeit für jemanden, der sich nicht mit 5 weiteren Freunden unterhalten kann/will. Ich rede zwar ein paar Minuten mit Nele, sie geht dann aber hinüber zu ihren Freundinnen. Ich kann es ihr nicht verübeln. Ich bin müde und definitiv nicht motiviert und gebe einen denkbar schlechten Gesprächspartner ab.

Ich lasse mich etwas zurückfallen und hänge meinen eigenen Gedanken nach. Der gestrige Tag kommt mir surreal und unwirklich vor. Wie hat es unser Deutschlehrer doch immer genannt? Kafkaesk?

Das Hochmoor ist interessanter als ich dachte. Auf einem schmalen Holzpfad durchquert man eine triste und doch zugeleich vewunschene und faszinierende Landschaft. Klugerweise bin ich als allerletzter hineingegangen. Holzpfad ist gerade breit genug für eine Person. So kann ich niemanden aufhalten wenn ich wieder einen schönen Ort für ein Foto gefunden habe. Weite Wiesen mit niedrigen Büschen und kümmerlichen Nadelbäumen, hatte ich nicht erwartet. Es sieht wirklich magisch aus der Ort und so kann ich fast die alten Geschichten glauben, die am Eingang auf de Tafel stehen

Jemand findet einen schönen Aussichtspunkt wo wir Pause machen und unser Mittagessen verzehren. Der Wind ist kalt aber nicht unangenehm, da die Sonne scheint. Irgendjemand erzählt pausenlos Witze die ich nicht verstehe und die teilweise auch nicht lustig sind. Wahrscheinlich sind das wieder irgendwelche Insidersachen.

Der restliche Tag verläuft weitestgehend unspektakulär. Ich liege auf meinem Folterbett und höre Musik. Mein Sofa im Aufenthaltsraum ist von einigen Mädchen in Beschlag genommen worden. Nach dem halbwegs ordentlichen Abendessen (Salat und zu weiche Nudeln) und der Versammlung, setzen Nele und ich uns wieder bei einer Heißen Schokolade auf die Bank vor dem Eingang.

"Du hast auf dem Sofa geschlafen?" kommt sie sofort zur Sache.

"Ja, mein Bett ist die reinste Folter. Durchgelegen und durchhängend."

"Hast du etwa eine der Federkernmatratzen erwischt?"

"Was, gibt es etwa andere?"

"Ja, ich und ein paar Mädchen haben Matratzen mit Schaumstofffüllung."

"Habt ihr ein Glück:"

"Ja, ich weiß. Tut mir echt Leid, dass du so viel Pech hast."

"Irgendjemanden muss es doch treffen"

"Sag doch nicht sowas!"

Es entsteht eine Pause, als ein paar aus unserer Klasse aus der Tür kommen um zum Sportplatz zu gehen. Sie sehen uns und grinsen verschwörerisch. Ich strecke ihnen nur den ausgestreckten Mittelfinger entgegen und Nele sagt, sie sollten sich verpissen. Ihre alte Schlagfertigkeit hat unter ihrer Krankheit nicht gelitten.

"Deine Schlagfertigkeit ist doch immer wieder beeindruckend.", sage ich grinsend.

"Ich habe auch lange daran gearbeitet.", schießt sie zurück. Wir lachen, bevor ihre Miene wieder ernst wird.

"Hast du ihnen schon jemals die Meinung gesagt? Also ich meine so richtig. Nicht als impulsiver Wutausbruch vor einer kleine Gruppe, sondern als spontan gehaltene Rede vor der ganzen Klasse?"

"Nein, daran habe ich noch nie gedacht."

"Die wollen doch, dass du dich so Scheiße fühlst. Also gib ihnen diese Scheiße gefälligst zurück!"

Das ist die alte Nele. Geradeheraus und einfach unglaublich ermutigend.

"Denke daran, dass die Rede spontan sein muss. Du darfst nichts aufschreiben. Du musst alles einfach rauslassen. Sag ihnen offen ins Gesicht, was du denkst und fühlst, ganz unverhüllt. Führe ihnen ihre Fehler deutlich vor Augen."

"Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du unglaublich ermutigend bist, und das meine ich ernst. Wenn dich jemand um Rat fragst und du jemandem Rat gibst, dann kann man darauf vertrauen, dass er hilft."

"Du übertreibst!"

"So etwas würde ich nicht wagen! Stell doch dein Licht nicht unter den Scheffel. Du weißt genau dass es stimmt. Du möchtest dich bloß nicht in den Vordergrund stellen. Das ist auch richtig so, aber du solltest dir dessen was ich gesagt habe immer bewusst sein."

"Das war offen und ehrlich. Danke."

"Nein, ich danke dir."

Wir schweigen kurz.

"Wann wirst du es machen?"

"Übermorgen Abend bei der Versammlung. Ich muss erstmal eine Nacht drüber schlafen."

"Das ist gut."

Wir schauen uns an, vielleicht einen Tick zu lange. Beim reingehen lege ich ihr meine Hand auf die Schulter.

"Vielen Dank nochmal. Gute Nacht."

"Ebenfalls gute Nacht."

Ich weiß genau das sie mir hinterherschaut, als ich zu meinem Zimmer gehe. Ich denke darüber nach. Hat es da etwa gefunkt? Ich will es doch stark hoffen. So jemanden wie sie kann ich jetzt und später gut gebrauchen. Sie ist nicht nur unglaublich hübsch, sondern auch intelligent und schlagfertig. Eine starke Persönlichkeit mit Willenskraft und Mitgefühl. Ich spüre, dass wir zusammenpassen.

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