Alexander (I)

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''Mylo, bitte. Er ist wie du, er hat keine Familie mehr. Gib ihm eine Chance.''

Meine Mutter wirft mir im Rückspiegel einen flehenden Blick zu und ich verschränke demonstrativ die Arme vor meiner Brust.

''Er ist nicht wie ich. Er ist ein Freak, ein Geisteskranker, ein Psychopat. Ihr wisst gar nichts über ihn, wahrscheinlich hat er schon ein duzend Menschen ins Grab gebracht.'' antworte ich aufgebracht und balle die Hand zur Faust.

''Mylo!'' 

Der scharfe Tob meines Vaters lässt mich zusammenzucken. 

''Es reicht jetzt, ich will keinen Ton mehr hören. Du benimmst dich gleich gefälligst, sonst bekommen wir zwei noch ein richtiges Problem.''

Ich muss schlucken und starre auf meine Hände. Der Gedanke daran, dass meine Eltern ein weiteres Kind aufnehmen werden, schnürt mir die Kehle zu. Alexander heißt der Junge. Seine Eltern sind tot. Seine Mutter hat sich das Leben genommen, nachdem ihr Mann bei einem Autounfall gestorben war. Ihr Sohn stürzte ab, noch tiefer als zuvor. Alkohol, Drogen, Schlägereien, schwere Körperverletzung.

Endstation: Die geschlossene Station der psychatrischen Klinik. Jetzt sollte Alexander bei uns einziehen, eine zweite Chance bekommen, so wie ich damals.

''Lass mich raus Dad, mir ist übel.'' keuchte ich und krallte die Hand in den Griff der Tür. 

Mein Vater wirft mir durch den Rückspiegel einen misstrauischen Blick zu, bevor er theatralisch seufzt und den Wagen am Straßenrand anhält. Ich reiße die Tür auf, mache zwei Schritte auf den Grünstreifen und übergebe mich. Die Hand meiner Mutter streicht mir beruhigend durch die Haare. Ich krümme mich, presse den Arm auf meinen Bauch und übergebe mich ein weiteres mal.

''Alles ist gut Mylo, beruhig dich wieder. Hier, trink etwas. Und wisch dir den Mund ab.''

Meine Mutter reicht mir ein Tuch und eine Flasche Wasser. Ich trinke einen Schluck und starre einige Sekunden in die Ferne, dann drehe ich mich zu ihr und ringe mir ein Lächeln ab.

''Lass uns weiter fahren.'' murmel ich und steige wieder ins Auto.

Sie tut es mir gleich und mein Vater bringt den Vater wieder auf die Straße. 

''Vielleicht doch etwas zu viel getrunken gestern?'' fragt er und ich überhöre das Grinsen in seiner Aussage konsequent. Wenn er wüsste.

Die restliche Fahrt vergeht in völliger Stille, keiner sagt was. Nur irgendein Country Song dringt leise aus den Lautsprechern. Ich schnaube verächtlich. Ich hasse Country Musik.

Wir parken in einer Seitenstraße und laufen den Rest des des Weges zur psychatrischen Klinik zu Fuß. Meine Eltern gehen vorneweg und ich schleiche mit gesenktem Kopf hinterher. Ich spüre die Blicke der Menschen auf mir, selbst die derer die sich überhaupt nicht für mich interessieren. Sie beobachten mich, alle. Sie verachten mich, finden mich abstoßend. Meine geröteten Augen, meine blassen Lippen, mein magerer Körper den ich nicht mal unter einem Hoodie, einer weiten Jeans und meiner Lederjacke verstecken. Sie ekeln sich vor mir, ich fühle es. Und ich kann sie sogar verstehen. 

Ich nehme mir ein Herz und schaue hoch. Niemand sieht mich an, niemand beobachtet mich. es ist keine Menschenseele hier. Erleichtert atme ich auf und entspanne mich etwas.

Vor der Klink bleibe ich stehen, schaue an der Fassade dieses trostlosen, verhassten Gebäudes hinauf, das fast zwei Jahre mein zu Hause war. Ich zähle, vier Fenster hoch, drei zur Seite. Ich zucke zusammen und spanne augenblicklich wieder jeden Muskel im Körper an. Dort am Fenster steht ein Junge, genau wie ich dort vor drei Jahren stand. Er fixiert mich mit kaltem Blick und verzieht das Gesicht zu einem hässlichen Grinsen, dann wendet er sich ab und verschwindet aus meinem Blickfeld.

''Mylo, kommst du rein Schatz?'' 

Die Stimme meiner Mutter reißt mich aus den Gedanken und ich folge ihr, mit einem unguten Gefühl im Bauch in die große Eingangshalle, wo mein Vater sich bereits mit dem Chefarzt unterhält. Dr. Steffens lächelt als er mich erblick und kommt auf uns zu, schüttelt erst meiner Mutter und dann mir die Hand.

''Freut mich dich zu sehen Mylo, lang ist es her. Du siehst-'' nachdenklich legt er den Kopf schief und mustert mich ''- verdammt scheiße aus.'' 

Ich grummel genervt. ''Zu viel gesoffen.'' entgegne ich und Grinse ihn schließlich doch schief an. 

Er ist ein netter mann, lediglich diese Umgebung schlägt mir aufs Gemüt. Drei Jahre ist es her, eigentlich wollte ich diesen Ort niemals wieder betreten. Dr. Steffen gibt sich mit meiner Antwort scheinbar zufrieden, denn er wendet sich wieder meinen Eltern zu. 

Ich flüchte mich wieder in meine Gedanken, vergrabe die Hände in den Taschen meiner Jacke und blicke mich in der Halle um. Geändert hat sich nicht viel. Es sind die selben, neuen, alten Sofas die dort in der Ecke stehen, die selben Gemälde aus der Kunsttherapie, die selbe, bedrückende Atmosphäre und die selbe, quälende Stille.

Als ich mich wieder zu meinen Eltern und Dr. Steffen wende, bemerke ich den Jungen, der oben an der Treppe steht und uns vier genau beobachtet. 

Alexander. Er muss es sein, er ist der selbe Junge der mich vom Fenster aus angestarrt hat. Er scheint zu merken das ich ihn ansehe, denn er dreht langsam den Kopf zu mir. Er mustert mich von Kopf bis Fuß und dieses hässliche Grinsen schleicht sich erneut auf seine Lippen.

''Alexander! da bist du ja. Komm runter, das sind Emil und Laura Möller und ihr Sohn Mylo.'' ruft Dr. Steffens, als er Alexander auf dem Treppenabsatz bemerkt. 

Scheinbar wiederwillig löst der angesprochene seinen Blick von mir und kommt langsam die Stufen runter in die Halle. Als er bei uns ankommt reicht er meinen Eltern die Hand und begrüßt sie betont höflich. Dann kommt er zu mir und reicht mir ebenfalls die Hand. Wieder dieses Grinsen. 

''Mylo also. Freut mich.''

Er spricht meinen Namen aus, als würde er sich jeden einzelnen Buchstaben auf der Zunge zergehen lassen. Seine Hand ist kalt und umschließt meine einen kurzen Moment länger als zuvor die meiner Eltern.

''Alexander, nimm doch schon einmal deine Tasche, mein Mann und ich unterschreiben noch kurz etwas und dann können wir los.''

Meine Mutter schenkt ihm ein fröhliches Lächeln und nimmt den Stift  entgegen, der ihr von meinem Vater gereicht wird. Alexander schnappt sich die beiden großen Sporttaschen, die an der Treppe stehen und wirft sie sich locker über die Schulter. 

Er ist groß, überragt mich bestimmt um einen Kopf. Ich muster ihn neugierig aus dem Augenwinkel. Dunkelbraune Schnürboots, eine zerissene, schwarze Jeans und ein ebenfalls schwarzes Hemd, welches er zur Hälfte unter den Gürtel gesteckt hat. Darüber trägt er eine abgewetzte Lederjacke. Seine dunklen Haare sind unordentlich und stehen in alle Richtungen ab, als wäre er gerade erst aufgestanden. Vermutlich ist er das auch.

Bevor ich sein äußeres weiter in Augenschein nehmen kann, stößt er mir mit der Hand gegen die Schulter und und deutet mit dem Kinn Richtung Ausgang, wo meine Eltern und der Doktor bereits warten. Letzterer schüttelt uns im vorbeigehen nochmal die Hand, bevor sich die Türen dieses ekelhaften Ortes endlich hinter uns schließen. 

Erleichtert atme ich aus und bekomme im gleichen Moment eine Gänsehaut. Alexander geht schräg hinter mir neben meinem Vater und beantwortet ihm geduldig die Fragen die gestellt werden. trotzdem spüre ich seinen stechenden Blick im Rücken. Ich schlucke die Übelkeit runter und beginne ein lockeres Gespräch mit meiner Mutter um mich abzulenken. 


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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 11, 2018 ⏰

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