„Erzähl mir etwas von dir, Lisa", schlug er vor und sah interessiert zu ihr.
„Ich mag den Herbst ziemlich gerne." Sie strich sich eine Strähne hinter ihr Ohr und sah lächelnd zu ihm rüber. Doch dass es kein echtes Lächeln war, merkte sie erst einige Sekunden später.
„Nicht so etwas. Ich meine etwas echtes."
Und sie fing an zu überlegen. Wer genau war sie denn?
„Ich weiß nicht, was ich dir erzählen könnte. So interessant bin ich nicht." Auch wenn sie ihre Aussage weglächelte, tat es ihr auf eine Art und Weise weh.
„Das bezweifle ich." Er wusste genau, dass die Frau vor ihm mehr war, als sie wahrscheinlich selber dachte.
Verlegen nippte sie an ihrem Kaffee, den sie sich schon bestellt hatte, bevor er sie angesprochen hatte, als ihr schließlich etwas einfiel. „Ich trinke meinen Kaffee gerne etwas außergewöhnlich."
„Mit ganz viel Zucker, so wie ich?", lächelte er, doch sie schüttelte glücklich ihren Kopf.
„Nein, ich bestelle ihn immer mit zwei Würfel Zucker, drei Teelöffel Kondensmilch und vier Teelöffel Milch." Sie rührte in ihrem Kaffee herum und erinnerte sich glücklich an einige Momente.
„Und wie bist du darauf gekommen? Hast du einfach so viel reingetan, bis es dir geschmeckt hat?"
„Nein, meine Mutter hat ihren Kaffee auch immer so gemacht. Irgendwann, als ich älter geworden bin, hat sie gesagt, dass ich meinen Kaffee nur so trinken sollte, da es ein Geheimtipp von ihr sei. Das war es zwar nicht, aber trotzdem möchte ich meinen Kaffee seitdem nicht mehr anders trinken. Sie hat mir wirklich viel beigebracht. Ob das nun hilfreich ist, oder nicht, darüber kann man sich natürlich streiten." Glücklich strahlte sie ihn an und er fragte sich, warum zum Teufel er sie nicht schon früher getroffen hat.
„Und wenn ich morgens aufstehe, muss ich immer zuerst mein Gesicht waschen, egal was passiert. Ach, und ich hatte mal eine Glatze."
Er sah sie überrascht an und ließ seinen Blick über ihre langen braunen Haare gleiten. Das hätte er nicht erwartet und genau das fand er so toll.
„Und wieso?"
„Ich hatte Lust", erklärte sie grinsend.
„Erzähl mir mehr solcher Dinge."
Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, sie fand es toll, dass es einen Mann gab, der sich wirklich für sie interessierte. Nicht für ihr Aussehen oder ihre blöden Augen, die alle immer so toll fanden.
„Ich lackiere mir meine Nägel nie vor 19 Uhr."
„Ich esse gerne Schokolade und Chips abwechselnd."
„Ich habe Angst, verlassen zu werden."
„Ich litt vor ein paar Jahren an Depressionen."
„Ich schreibe gerne Gedichte."
„Ich habe jemandem das Herz gebrochen."
„Ich gehe nie vor 22 Uhr schlafen."
„Ich liebe die Zahl 171920."
„Ich mag Toast nur mit Butter."
„Ich habe noch nie unter der Dusche gesungen."
„Ich hasse roten Lippenstift."
„Ich liebe es, früh aufzustehen."
„Ich liebe den Schnee, weil er mich irgendwie an meinen alten Hund erinnert. Er hat sich immer im Schnee versteckt und man konnte ihn nie finden, weil er so weiß war."
„Ich esse Samstags gerne Brötchen mit Butter und Marmelade und nebenbei ein frisch gekochtes Ei."
„Ich mag keine einzige Teesorte."
„Ich kann mir ein Leben ohne Musik nicht vorstellen."
„Ich denke immer zu viel nach."
Und mit jedem Satz, den sie sagte und jedem Detail mehr das sie von sich preisgab, wurde die Stimmung besser.
***
„Warum hast du mich eigentlich angesprochen?", wollte sie wissen, als die beiden vor dem Café standen.
Sie konnte schon sich schon denken, dass es an dem Aussehen lag, aber sie erhoffte sich so dringend eine andere Antwort.
Er wollte ihr sagen, dass er gesehen hatte, dass sie ein Harry Potter Buch bei sich hatte. Und weil sie so höflich mit dem Kellner gesprochen hatte. Weil sie draußen den Regen beobachtete und immer wieder etwas auf ihren Block kritzelte. Weil sie so gestrahlt hatte, als der Kellner ihr den Kuchen brachte. Weil sie kein einziges Mal an ihrem Handy war.
„Weil ich dich wunderschön fand", antwortete er stattdessen und hoffte, dass ihr die Antwort genügen würde. „Denn du bist wirklich super schön."
Und sie war mehr als nur enttäuscht. Das wollte sie ihm auch sagen. Sie wollte ihn fragen, warum er nur das Äußere sah, aber das tat sie nicht. Sie behielt ihre Gedanken für sich. Sie behielt für sich, dass er der erste Mann seit langer Zeit war, bei dem sie sich wohl gefühlt hatte.
Stattdessen dachte sie, dass sie sich in ihm getäuscht hatte. Das dachte sie auch immer noch, als sie mit dem Taxi nach Hause fuhr, weil sie ihm gesagt hatte, dass sie lieber alleine nach Hause fahren würde. Und weil sie seine Nummer auf eine nette Weise abgelehnt hatte.
Doch am meisten fragte sie sich, warum alle nur das Äußere in ihr sehen wollten. Sogar nachdem sie ihm so viel von sich erzählt hatte, sagte er ihr nur, dass sie schön war.
Und er stand vor dem Café, sah wie sie wegfuhr und fragte sich, was er falsch gemacht hatte.
Doch er dachte nicht darüber nach, ob es daran lag, dass er ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte. Sondern, ob er ihr hätte mehr Komplimente machen sollen.
Doch, dass es darauf nicht ankam, hatte er wohl nicht verstanden und ging wieder nach Hause mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass er wahrscheinlich nie wieder so eine interessante Frau finden würde.
Und beide lagen Abends im Bett und machten sich Gedanken. Darüber, warum nie etwas zu klappen schien. Darüber, dass sie selber daran Schuld waren.
Und mit dem Gedanken daran, dass sie den anderen wahrscheinlich nie wieder sehen würden, schliefen sie letztlich alleine ein.
Doch wenn beide nur ehrlich gewesen wären, dann wäre vielleicht alles anders ausgegangen.
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Ich weiß selber nicht genau, was ich mir dabei gedacht habe, aber ich wollte die kleine Geschichte mit euch teilen.Vielleicht um euch alle daran zu erinnern, dass ihr ehrlich sein solltet und wenn ihr etwas an jemandem mögt, ihr es ruhig sagen könnt. Jeder würde sich freuen, etwas nettes zu hören, was wirklich von Herzen kommt. Also nutzt eure Gelegenheit, solange ihr noch könnt ❤️
Vielleicht werden in Zukunft noch mehr Kurzgeschichten hier kommen, was dieses Thema betrifft, aber ich bin mir noch nicht sicher.
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Ehrlich
PoetryDoch wenn beide nur ehrlich gewesen wären, dann wäre vielleicht alles anders ausgegangen. *Kurzgeschichte*