Teil 1

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Von dem Moment an, als ich das alte Haus am Rande der Stadt zum ersten Mal betreten hatte, wusste ich sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Drei Tage und drei Nächte war ich ohne einmal Halt zu machen unterwegs gewesen, ehe ich vor Erschöpfung keinen Fuß mehr vor den anderen setzen konnte. Mit tropfnassen Kleidern an meinem vor Kälte und Schwäche zitternden Leib brach ich in strömendem Regen auf der Türschwelle einer verwitterten, von Efeu überwucherten Villa zusammen. Das war vor genau einer Woche gewesen.

Von den Strapazen meiner Reise hatte ich mich seitdem erholt – nicht jedoch von dem, das im Inneren des Hauses auf mich wartete. Ich weiß nicht, wie lange ich auf der Schwelle gelegen hatte, ich war in einem wirbelnden Schleier zwischen Bewusstsein und Besinnungslosigkeit gefangen und meine Erinnerung an das, was vorher war, verblasst angesichts der Ereignisse der darauffolgenden Tage. Woran ich mich allerdings ganz genau erinnere, ist wie ich schließlich zu mir kam. Erwachend aus einem dichten Nebel der Ohnmacht fand ich mich zunächst in völliger Orientierungslosigkeit wieder. Ich wusste weder, wo ich war, noch wie ich dorthin gelangt war. Unter die vernichtende Kälte, die meinen Körper durchzog, mischte sich der schreiende Schmerz meiner geschundenen Beine und ich sehnte mich nach der erlösenden Bewusstlosigkeit, die mir zum Glück verwehrt blieb. ‚Zum Glück', sage ich, da ich an des Todes Schwelle lag, soviel war mir schon dort bewusst. Hätte ich an dieser Stelle nicht die Kraft gefunden, aufzustehen, so wäre ich sicherlich auf den moosbedeckten Stufen verendet.

Als ich mich auf den glitschigen Steinen mühsam aufrichtete und mich nach einer Möglichkeit zum Festhalten umsah, gewahrte ich die Umrisse des imposanten Bauwerks, zu dessen Fuße ich gelegen hatte. Dem Tode näher als dem Leben, schenkte ich dem Anblick keine Beachtung; wohl allerdings der schweren hölzernen Flügeltür, an deren Klinke ich Halt zu suchen gedachte. Obwohl kaum eine Handvoll Schritte entfernt, kam mir der Weg dorthin wie eine Ewigkeit vor. Mehr als einmal glitt ich auf den regenbedeckten Stufen aus und wäre um Haaresbreite wieder zu Boden gefallen. Als ich die Tür schließlich schwankend und bebend erreichte und meine Hand nach der Klinke ausstreckte, durchfuhr mich plötzlich eine düstere Vorahnung. Hätte ich doch bloß auf mein Gefühl vertraut und das Weite gesucht! Aber ich griff unbeirrt nach der Klinke, die sich wie Eis in meiner Hand anfühlte. Kaum hatte ich sie berührt, glitt die Tür mit einem leisen Stöhnen nach innen und gab den Weg in einen dunklen Korridor preis.

Überrascht von der nachgebenden Tür stolperte ich auf unsicheren Beinen ins Innere, wo mich eine behagliche Wärme empfing. Hinter mir fiel mit einem leisen Klicken die Tür ins Schloss. Sofort erstarb das Prasseln des noch immer anhaltenden Regens, ebenso wie das Rauschen des Windes und jedes andere Geräusch von jenseits der Tür. Nur das stetige Tropfen meiner Kleidung auf den schweren Teppich war jetzt noch zu hören. Ich stand in vollkommener Dunkelheit und wusste nicht, ob ich es wagen sollte, zu rufen oder weiter ins Innere des Hauses vorzudringen. So verharrte ich einige Augenblicke und genoss zunächst nur die Wärme, die sich langsam in meinem Körper auszubreiten begann. Aber auch ein schleichendes Gefühl der Unruhe ergriff mehr und mehr Besitz von mir. Ich konnte noch immer nichts in der Finsternis ausmachen, nicht einmal ein Schimmer drang unter der Tür hindurch, die mich jetzt von der Außenwelt abtrennte. Ich war nie ein ängstlicher Mensch gewesen, noch war dies das erste Haus, das ich ohne Einladung betreten hatte; und doch war es dieses Mal anders. Das leise tripp, tripp meiner tropfenden Kleidung dröhnte durch die bedrückende Stille. Ich atmete die schwere Luft, getränkt mit dem Geruch modrigen Holzes und jeder Atemzug war wie ein Sturm in einer Winternacht. Nur wenige Augenblicke stand ich dort, unfähig etwas zu sehen, unfähig einen Entschluss zu fassen, hin- und hergerissen zwischen der einladenden Wärme und der unerklärlichen Abscheu, die mich befallen hatte.

Schließlich siegten Hunger, Kälte und Müdigkeit und zogen mich in ihrem unheilvollen Dreigespann mit sich. Willenlos tat ich einen schwachen Schritt in die Dunkelheit hinein. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnte: ich war nicht allein in dem Korridor. In der Finsternis hatten sich im Moment meines Eindringens Augen an mich geheftet, abwartend, beobachtend, lauernd. In der Annahme, allein zu sein, tastete ich mich behutsam durch das allumgebende Schwarz. Der vom staubbedeckten Teppich gedämpfte Klang meiner Schritte wurde von den Wänden tausendfach zurückgeworfen und schwoll zu einem unerträglichen Lärm an. Jede Bewegung jagte einen heißglühenden Pfeil durch meinen zitternden Körper. Ich wusste nicht mehr, ob das Zittern von der Kälte kam oder von der Angst, die sich meiner bemächtigt hatte. Wieso nur hatte ich eine solche Angst? Ich wusste es zu dieser Zeit noch nicht. Der Geruch von faulem Holz und abgestandener Luft biss mir in die Nase und die Dunkelheit war so stechend, dass meine Augen davon schmerzten. Mit der ausgestreckten Hand stieß ich aufeinmal gegen etwas Hartes direkt vor mir, es musste die Wand gegenüber der Eingangstür sein. Ich fuhr mit den Fingern darüber und spürte, wie ich durch dichte Spinnenweben drang, die sich kitzelnd an meine Haut klebten. Mit beiden Händen tastete ich die Wand ab, bis ich zu meiner Linken einen Türrahmen entdeckte. Ich hielt inne, um zu lauschen, ob ich von hinter der Tür etwas vernehmen könnte, aber alles was ich hörte war das immerwährende tripp, tripp, das mir seit meinem Betreten des Hauses gefolgt war. Ich suchte im Dunkeln nach einer Klinke, doch fand ich nichts außer fein gearbeiteten Schnitzereien, die unter einer dicken Staubschicht verborgen gewesen sein mussten. ‚Was nun?', überlegte ich. Der Gedanke, zu klopfen ließ mich erschaudern. Doch hierbleiben oder umkehren konnte ich ebenso wenig. Während ich noch darüber nachdachte, was zu tun sei, schwang die Tür zu meinem Horror mit einem schrecklichen Geräusch von allein nach Innen.

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