8.

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Yuu//

Ich wusste nicht, wie lange ich schon ununterbrochen gelaufen war, doch als ich letztendlich stehen blieb, konnte ich mich kaum mehr aufrecht halten. Meine Beine fühlten sich an als wären sie aus Wackelpudding, sie zitterten, mehrfach stolperte ich beim bloßen Versuch nur stehen zu bleiben, letztendlich gab ich es auf und ließ mich ins mich umgebende Gras fallen, blickte in den Himmel.
Dicke, dunkle Wolken und ein recht starker, kalter Wind kündigten ein nahendes Gewitter an, doch für den Moment mache ich mir keine Sorgen über einen Unterschlupf.
Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt, die untergehende Sonne tauchte die Wolken und die spärlichen Bäume um mich herum in ein rötliches Licht, es war völlig still, kein Vogel erfüllte die Luft mehr mit seinem Gesang, die Welt schien den Atem anzuhalten.
Dann kam der erste Donner, laut und grollend eröffnete er das Gewitter, der erste Regentropfen traf meine Nase, doch ich stand nicht auf, schloss nur die Augen... und lächelte.
Überraschend schnell begann ein wahrlicher Wolkenbruch, Blitze zuckten vom Himmel, schlugen irgendwo ein, der Donner folgte.
Bald schon war ich völlig durchnässt, der Geruch von frischem Regenwasser löste ein seltsames Gefühl von Freiheit in mir aus, ließ meinen Kopf leicht werden, ich fühlte mich so frei, so leicht als könne ich vom Wind hinfortgeweht werden.
Doch mit dieser Freiheit kam auch die Erkenntnis, wie allein ich war.
Ich hatte meine Freunde, meine Familie zurückgelassen.
Schon wieder.
Plötzlich spürte ich die Kälte um mich herum, den kalten Wind, den kalten Regen, das kalte, einsame Gefühl in meinem Magen.
,,Mein Ziel ist es wert..", murmelte ich zu mir selbst, meine Worte wurden fast sofort verschlungen von dem sich immer mehr zuziehenden Unwetter. Doch tief in meinem Herzen zweifelte ich selbst daran, ob es wirklich die Wahrheit war. Ich hatte kaum Anhaltspunkte, wo ich nach Mika suchen sollte, wo ich anfangen sollte oder was ich sagen würde, wenn ich ihn denn gefunden hatte.
Was wenn er mich nicht mehr als Familie sah? Mir war schmerzlich bewusst, dass er mich nicht lieben würde, zumindest nicht so wie ich ihn liebte, doch zumindest als Bruder sollte er mich noch sehen.
Was wenn er mich nicht mehr erkennt?
Allein beim Gedanken an eine solche Möglichkeit ging ein Stechen durch meinen Brustkorb, doch ich wollte nicht vom Schlimmsten ausgehen. Lieber dachte ich darüber nach, wie unsere gemeinsame Zukunft aussehen würde.
Plötzlich eskalierte das Wetter, der Wind nahm deutlich an Kraft zu, peitschte nun förmlich, jeder Regentropfen war wie ein winziger, eiskalter Nadelstich. Ich begann zu zittern, wollte aufstehen, doch der Wind zwang mich zu Boden. Also versuchte ich es erneut, zwang mich in eine kniende Position, musste mich sofort mit beiden Händen abstützen, um von der Macht des Wetters nicht wieder auf den Boden gedrückt zu werden.
,,Shit..", wisperte ich, hörte mich selbst kaum, zu sehr pfiff der Wind, röhrte der Donner. Es war der stärkste Sturm, den ich je erlebt hatte, und ausgerechnet bei diesem war ich draußen. Natürlich.
Ich versuchte mit allem Geschick das ich aufbringen konnte, aufzustehen, fast fühlte ich mich wie ein Baby, das zum ersten Mal das Stehen lernt. Es gelang mir nicht, auch nach mehreren Versuchen nicht, also beließ ich es dabei, kroch auf Knien und Händen los, ziellos, einfach weiter. Ein spärlicher Wald lag nicht weit von mir entfernt, ich dachte darüber nach, dort Schutz zu suchen, doch sofort fiel mir ein, wie intensiv ich davor gewarnt worden war, bei einem Gewitter unter Bäumen zu sein.
Was soll schon passieren? Die wollten mir doch nur Angst machen!
Schmunzelnd durch meine vermeintliche Intelligenz und Überlegenheit kroch ich also in den Wald, halbwegs aus der Reichweite der eisigen Hände des Unwetters.
Unter einem riesigen Nadelbaum hielt ich es für sicher, lehnte mich an den Stamm, atmete tief durch, sog den frischen Waldgeruch mitsamt dem Geruch des Regens ein, schloss erneut meine Augen, dämmerte allmählich weg.
Doch nur wenig später kam der unsanfte Schlag zurück in die Realität, als ein armdicker Ast meine Schulter traf. Ein Schrei entfuhr mir, eher durch den Schreck als durch den Schmerz, doch es war schmerzhaft genug, um mich testweise meine Schulter bewegen zu lassen, erleichtert stellte ich fest, dass es nicht viel mehr schmerzte. Einen Knochenbruch konnte ich absolut nicht gebrauchen. Ein dumpfes Krachen erklang, instinktiv rollte ich mich von dem Baum weg, keine Sekunde zu früh, denn nur wenige Millimeter neben mir schlug ein Ast auf dem Boden auf, bei dem ein direkter Treffer auf den Kopf womöglich fatal gewesen wäre.
Das Herz schlug mir bis zum Hals, doch gleichzeitig machte aufkommende Müdigkeit meine Glieder schwer, ließ das Adrenalin abklingen, das mich eben wachsam wie ein Luchs gemacht hatte.
Das Wetter beruhigte sich allmählich, es blitzte nicht mehr, nur einzelne Tropfen des ursprünglich geradezu duschstrahlartigen Regens fielen noch in meine Haare, doch viel nasser könnte ich auch nicht mehr werden.
Schwer atmend lag ich auf dem Waldboden, umgeben von Moos und Zweigen, allein.
Ich hätte sterben können. Ich könnte es immer noch, jederzeit. Und niemand würde es herausfinden.


 

~The smell of blood and fear~ [MikaYuu] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt