Winterblues

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Weihnachten, sinnierte er und führte das noble Glas an seine Lippen, den langen Stiel fest mit der Hand umschlossen. Gedankenverloren ließ er sich tiefer in den weichen Stoff des Ohrensessels sinken, während die herbe Süße der blauen Trauben seinen Mundraum flutete. Er glaubte, eine dezente hölzerne Note zu schmecken und behielt die opulente Flüssigkeit noch einen Augenblick länger auf seiner Zunge, ehe er schluckte und seine Nase über den Rand des Glases führte. Bewusst sog er den Duft in sich auf, die Augen fest geschlossen und alle Sinne einzig auf den bordeauxfarbenen Saft der hochklassigen Rebe gerichtet.

Kastanie. Ja, es war eindeutig ein Hauch von Kastanie.


Weihnachten, dachte er abermals und erneut nahm er einen tiefen Schluck, die Gedanken erfüllt von leisem Wehmut. Seine Arme, seine Beine sanken tiefer in den Stoff. Sein Körper war in Schwere gehüllt, fühlte sich taub an. Dumpf und unbeweglich. Als wäre er von kaltem Wasser umgeben und doch völlig außer Stande auf den Grund des Meeres herabzusinken und zu ertrinken.

Lag es an dem Wein, dass er so fühlte?

Dass er nicht fühlte? Nichts empfand?

Trüben Blickes wanderten seine Augen über den Stapel ausgewählter Bücher, die den kleinen Beistelltisch zierten und den beiden Weinflaschen Gesellschaft leisteten - die eine leer bis auf den letzten Tropfen, die andere auf dem besten Wege, diesem Beispiel zu folgen.


Weihnachten, dachte er ein weiteres Mal und einmal mehr traf das Glas auf seine Lippen, ehe der Wein seine Zunge in einem roten Meer ertränkte. Schwerfällig stützte er seinen Kopf auf seine Faust, den Ellenbogen sicher auf die Lehne des Sessels gebettet, während seine Augen das Fenster zu fokussieren versuchten. Stattdessen aber fanden sie ein einsames Laubblatt, das gegen die kalte Scheibe drängte, als würde es um Einlass bitten. Es hatte sich braun verfärbt. Eine abstoßende Farbe, wie er fand.

Gedankenschwer neigte er seinen Kopf ein wenig mehr und musterte die rötlichen Äderungen, die durch das verblichene Braun hervorstachen. Das Blatt war abgestorben. Tot und ohne Leben. Und doch erschienen ihm die feinen Linien wie Arterien, in denen sattes Rot wie Blut pulsierte.

Das Blatt begann, sich zu winden. Und keinen Wimpernschlag später wurde es mit einem Ruck davongerissen.


Weihnachten, dachte er ein letztes Mal, das Fest der Familie.

Der Liebe.

Etwas, was derart vollkommen, wärmend und lieblich anmutete und doch blieb sein taubes Herz gänzlich stumm. So als hätte es trotz des pulsierenden Blutes in seinen Adern aufgehört zu schlagen.


Doflamingo seufzte tief, als er sich der Schwere seiner Lider hingab. Seine Atemfrequenz verlangsamte sich, während in den Tiefen seines Unterbewusstseins der Wunsch heranwuchs, dass das Blatt niemals eingegangen, niemals abgestorben wäre.

Hätte es doch nur nie aufgehört, in vollem Glanz zu leuchten.

Hätte es doch nur nie seine satte Farbe, sein Licht verloren.

Das verdorbene Braun aber hatte ihm unwiderruflich verkündet, dass der Winter allmählich Einzug hielt. Eine Zeit, trostlos und klirrend kalt, die für alles stand, was er verabscheute. Alles, was er nicht besaß. Und vor allem alles, was er nie und nirgends zu fühlen imstande war.

Winterblues [Donquixote Doflamingo • One-shot]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt