Erste Begegnung

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Amy:

Erschöpft rüttelte ich erneut an den Fesseln um meine Handgelenke. Sie lockerten sich kein Stück und meine bereits wunde Haut schmerzte nur noch mehr. "Lass das", erklang eine Stimme vom Eingang meiner Zelle. Ich hob den Kopf und blickte durch die Stäbe in eisblaue Augen. Normalerweise würde ich sie schön finden, wenn nicht purer Hass aus ihnen strahlen würde. Hass auf mich. "Wieso sollte ich? Es spielt doch eh keine Rolle. Du wirst mich nicht freilassen, selbst wenn ich nicht weiß, warum. Ich weiß ja noch nicht einmal wo ich bin",gab ich resigniert zurück. Ein freudloses Lachen kam über meine Lippen. Wie kam ich bloß hierher?

Heute, oder war es bereits gestern, am Morgen ging ich wie gewohnt mit meiner kleinen Schwester Viv zur Schule. Der Unterricht verlief normal, anders gesagt langweilig. Und am Abend wollte ich mit Viv wieder nach Hause, wenn man es denn so nennen konnte. Ich hatte später Unterrichtsende und als ich Viv aus dem Halbi abholte war es bereits 18 Uhr. Sie fing sofort an zu quasseln. Aufgeregt erzählte sie mir von der Zeichenstunde und dass sie eine Blume gezeichnet hatte und die Lehrerin sie dafür gelobt hatte. Aufmerksam hörte ich ihr zu und nickte ab und zu mit dem Kopf während ich sie an der Hand nahm und schnellstmögliche los wollte, denn mein Vater hatte mir immer wieder eingetrichtert, wie gefährlich dunkle, verlassene Gassen sein können. Als hätte das Universum meine Gedanken gehört, kamen uns drei bedrohlich aussehende, offensichtlich betrunkene Typen entgehen. Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich zog Viv in eine Seitengasse. Zunächst stolperte sie beinahe über ihre eigenen Füße, doch ich hielt sie fest und zog sie wieder hoch. Sie folgte meinem Blick und mit einem Mal konnte ich die Angst in ihren Augen erkennen. Hoffentlich hatten uns die Männer nicht gesehen, doch natürlich hatten sie das. Sie kamen auf uns zu. "Na, wen haben wir denn da?", rief der eine. "Sieht nach einem tollen Nachtisch aus", antwortete der andere. Meine Augen weiteten sich, dass darf doch nicht wahr sein. Ich zog Unglück förmlich an, doch wieso musste Viv dabei sein? Beschützend schob ich sie hinter mich. Ich spürte, wie sie vor Angst zitterte, doch ich konnte sie nicht beruhigen, denn ich wusste nicht wie. Sie drückte sich fest gegen meine Beine. Wen wollte sie damit beruhigen? Mich oder sich? Spielte aber eigentlich keine Rolle, denn die Panik hatte mich fest im Griff, ich wollte etwas Mutiges sagen um die Männer zu vertreiben, doch ich brachte kein Wort heraus. Ich wich weiter und weiter zurück. Plötzlich ging es jedoch nicht weiter, denn wir hatten eine Wand im Rücken, auch das noch! Die Männer kamen immer näher, bis ich ihren nach Bier stinkenden Atem auf meiner Haut spüren konnte. Mein Herz pochte so schnell gegen meine Rippen, dass ich Angst hatte, es könnte mir aus der Brust springen und Tränen stiegen in meine Augen. Dad hatte mir beigebracht mich zu verteidigen, doch auf einmal war alles Wissen wie weggeblasen. Meine Finger waren eiskalt und umklammerten Vivs Hände so stark, dass sie vermutlich blaue Flecken bekommen würde. Sie wimmerte kurz, aber dann krallte sie sich genauso fest in meine Haut. Ich würde nicht zulassen, dass ihr etwas passierte. Mit dem Entschluss schloss ich die Augen, ich wollte an alles denken, was Dad mir beigebracht hatte, doch unwillkürlich stellte ich mir vor irgendwo anders zu sein. Ich wollte weg, nur weg. Dieses Verlangen wurde so stark, dass es meinen gesamten Körper einnahm, selbst meine Zehenspitzen wollten nicht hier sein. Ein Kribbel erfasste mich, ich riss die Augen auf und sah, dass sich alles um mich herum drehte. Die Umgebung verschwamm zu einem einzigen Wirrwarr aus Farben, nur Vivs Haut spürte ich ganz deutlich unter meinen Finger, ich durfte sie nicht loslassen. Dann wurde alles schwarz um mich.

Ich wachte in meiner Zelle wieder auf. Ich konnte mir das Ganze nicht erklären.

Die ganze Zeit über saß mein Wächter vor den Stäben. Und die ganze Zeit ließ er mich nicht ein einziges Mal aus den Augen. Er konnte mich nicht leiden, das spürte ich ganz deutlich, doch warum? Immer wieder fragte ich ihn, was ich getan hätte oder wo ich war, doch er schien mich nicht als würdig genug zu empfinden um mir zu antworten. Die einzigen Worte, die er an mich richtete waren harsch und befahlen mir aufzuhören, wenn ich an den Fesseln zerrte. Ich betrachtete ihn genauer, seine strahlend blauen Augen waren das Erste, was einem an ihm auffiel, seine Haare waren dunkelbraun, beinahe schwarz, und wellten sich leicht. Sie waren kurz geschnitten, gerade so, dass sie ihm ins Gesicht fallen konnten. Sein markantes Kinn stützte er auf den Griff eines langen Schwertes. Seine Augen waren nur noch halb geöffnet, er bemühte sich sichtlich wach zu bleiben, und dunkle Ringe waren unter ihnen erkennbar. Er hatte in letzter Zeit wohl wenig Schlaf abbekommen.

Auf irgendeine Weise wirkten diese Gedanken beruhigend auf mich und ich glitt in einen unruhigen Schlaf. Einige Zeit später, ich wusste nicht genau wie lange, weckten mich leise Stimmen. Ich beschloss, mich weiterhin schlafend zu stellen und zu lauschen. Normalerweise tat ich solche Sachen nicht, doch besondere Situationen erforderten besondere Vorgehensweisen. "Sie wird freigelassen", sagte eine unbekannte Stimme eindringlich. Mein Wächter fuhr die Person an: "Hat der Rat jetzt völlig den Verstand verloren? Ihr könnt doch nicht die Assasinin der Zwerge freilassen!" Rat? Zwerge? Ich eine Assasinin? Fast hätte ich mir ein Lachen nicht verkneifen können, was für ein Unsinn. Die unbekannte Person fuhr fort: "Eupant, ich und der gesamte Rat wissen, was du von ihr hältst und stimmen mit dir überein, aber unseren Spionen ist nicht bekannt, dass Turmalia das Schloss der Zwerge verlassen hat. Das ist sie nicht." Mein Wächter, der offenbar Eupant heißt, reagierte empört: "Ihr kennt sie nicht, wenn sie will, kann sie überall hin ohne dass es jemand bemerkt. Und überhaupt, woher wisst ihr, ob auf eure Spione verlass ist und sie nicht sie Seiten gewechselt haben?" Der Unbekannte verlor langsam die Geduld: "Jetzt krieg dich mal wieder ein!", fuhr er ihn an, "Unsere Leute sind absolut zuverlässig und wie kommst du eigentlich dazu, dass in Frage zu stellen? Der Rat hat eine Entscheidung getroffen und die hast du gefälligst zu akzeptieren. Jetzt verschwinde!" Eingeschnappt stolzierte Eupant davon. Der Unbekannte trat näher an das Gitter und sagte: "Du musst dich nicht mehr schlafend stellen, du kommst jetzt hier raus." Ich riss erstaunt die Augen auf, damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Aber was dachte ich denn? Dass ich hier vergammeln und sterben werde? "Ich bin Teran", redete er weiter, langsam schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Er nahm einen Schlüsselbund von seinem Gürtel und schloss die Tür auf. Vorsichtig, als hätte er Angst, dass ich durchdrehen könnte, schritt er durch die Tür und kam auf mich zu. Als er vor mir stand ging er in die Knie und hob vorsichtig mein linkes Handgelenk hoch und öffnete die Fesseln. Ich betrachtete ihn näher, seine Haare waren sehr kurz und hellblond. Sie bildeten einen starken Kontrast zu seiner sonnengebräunter Haut. Seine Augen waren schokoladenbraun und strahlten Wärme aus. Ich fühlte mich sofort geborgen.

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