Kapitel 1

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London, 16 Jahre später

Heute ist der grosse Tag. 15 Jahre hartes Training sind überstanden und nun stehe ich hier. Im Britischen Hauptquartier der United Agency for Digital Crime. An die 100 neuer Agents aus allen vier Zweigstellen Grossbritanniens sind heute hier im 30 St. Mary Axe versammelt. Der Saal, in dem wir uns befinden, ist ein Halbkreis. In der Rundung sind Sitzreihen in acht Sektoren unterteilt. In den Vorderen Sektoren sitzen wir Rekruten. Die Rekruten vom Stützpunkt Dublin sitzen im ersten Sektor ganz links aussen. Im 2. Sektor sitzen die Schottischen Rekruten aus Edinburgh, dann kommen die Londoner Rekruten, zu denen auch ich gehöre und ganz auf der rechten Seite im 4. Sektor sitzen die Rekruten aus Cardiff, Wales. In den oberen Sektoren sitzen die Zuschauer. Meistens sind das Verwandte. Vor uns befindet sich eine Bühne mit einem Rednerpult und einem Tisch, auf dem man die Dienstmarken erkennen kann. Plötzlich wird es ganz still im Saal. Der Direktor Special Agent Robert Hawn tritt ans Redner Pult. Oje, das wird eine laaaange und bestimmt auch langweilige Rede.

 "Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Rekruten, heute ist ein grosser Tag. Denn heute werden 112 junge Menschen aus allen Regionen Grossbritanniens die Schulzeit hinter sich lassen und ins praktische Leben eintreten. Ich bin stolz, sagen zu können, dass alle hier anwesenden Rekruten ihre Abschlussprüfungen mit Bravour bestanden haben. Herzliche Gratulation dazu." Die Menge beginnt zu klatschen und nicht selten hört man auch Gejohle, Pfiffe und Fusstampfen. Meistens aus den Reihen der Rekruten. Auch ich lasse mich von der Euphorie anstecken. Es dauert einige Minuten bis im Saal wieder Ruhe einkehrt. Erst dann spricht Hawn weiter: "Wie Sie wissen, ist die UADC eine teamorientierte Behörde. Hier ist nie jemand allein. Auch nicht während der Arbeit. Aus diesem Grund habe ich mich mit den Ausbildnern zusammengesetzt, um je zwei Agents aufgrund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten in einem Team zusammen zu fassen. Wir erhoffen uns aus diesen Zusammenstellungen die höchstmögliche Erfolgsquote für alle Teams." Wie jetzt? Die haben schon Teams? Na hoppla die habens aber eilig. "Ich werde nun jeden Rekruten einzeln aufrufen und ihm seine Dienstmarke aushändigen. Wir beginnen mit: Vincent Adams aus Cardiff!" Der Direktor ruft einen Namen nach dem anderen auf und ein Rekrut nach dem anderen geht nach vorne und bekommt seine Marke überreicht. Er ruft immer gleich nacheinander beide Mitglieder des Teams auf. Allerdings kann ich keine Logik in der Reihenfolge finden.

"Nikki Jones aus London!" Na endlich. Nach einer Ewigkeit höre ich endlich meinen Namen. Ich zwänge mich zwischen den übrigen Rekruten durch und betrete die Bühne. Der Direktor überreicht mir meine Dienstmarke und gratuliert mir, indem er mir kräftig die Hand schüttelt. Fuck, hat der Typ vielleicht nen Händedruck! "Und Leandra Clark aus Dublin!" Was? Eine Irin soll meine neue Partnerin werden? Ausgerechnet Irin! Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Obwohl ich zugeben muss, dass diese Leandra recht sympathisch wirkt, ist sie trotzdem, was sie nun mal ist. Irin. "Auch Ihnen herzliche Gratulation Miss Clark. Hier sind Ihre Unterlangen Agent Jones und Agent Clark." Damit drückt er uns je eine Mappe mit dem Aufdruck 'Clark & Jones" in die Hand und wir verlassen die Bühne. 

Für die restlichen 20 Minuten höre ich Hawn nicht mehr zu. Ich sitze wie versteinert auf meinem Sitz im Londoner-Block und Starre die Mappe an. Nach der Feier stürme ich als eine der Ersten aus dem Saal, um meinen Vater zu suchen. Ich finde ihn schliesslich in einem Gespräch mit einem alten Freund vertieft am Buffet vor. "Dad!", schreie ich durch die Halle. Dass der ein oder andere Kopf sich verwirrt zu mir umdreht, ist mir gerade herzlich egal. "Dad kann ich schnell mit dir reden?", frage ich ihn sobald ich nahe genug war, um in einem vernünftigen Ton sprechen zu können. Mit einem Seitenblick auf seinen Gesprächspartner füge ich noch ein: "Allein?", hinzu. Dad sieht den Agent fragend an und nickt schliesslich, während sich der andere bereits zurückzieht. Ich packe Dad am Arm und ziehe ihn in Richtung Ausgang. Vor dem grossen Gebäude lassen wir und auf eine etwas versteckte Bank nieder. "Was ist denn mit dir los, Kleine?", fragt er mit einem leicht belustigten Funkeln in den Augen. "Ich muss mit einer Irin zusammen arbeiten.", platzt es aus mir heraus. Wut, Entrüstung und Unwille schwingt in meiner Stimme mit. "Na und? Was ist daran so schlimm?" Ich glaub ich hab mich verhört. Völlig perplex und unfähig etwas zu sagen starre ich ihn an. "Was?", bringe ich schliesslich hervor. "Ist das dein Ernst? Kann sein, dass du das noch nicht ganz richtig verstanden hast.", sage ich erstaunlich ruhig. "Eine Irin!", wiederholte ich mit Nachdruck. "Die kommen aus Irland. Genauer gesagt aus Dublin." "Schätzchen, ich hab verstanden was du gesagt hast. Allerdings verstehe ich das Problem nicht." Mir klappt der Kinnladen runter. Hallo?! Hat er vergessen was vor 16 Jahren in Dublin passiert ist? "Dad, du weisst aber schon noch, was damals in Dublin passiert war, oder?" "Natürlich weiss ich das noch!", entgegnet Dad laut. Leiser fügt er hinzu: "Wie könnte ich das jemals vergessen. Allerdings erklärt das deinen Hass auf diese Irische Agentin nicht." "Du hast es doch gerade selber gesagt. Sie kommt aus Irland." Mann, der hat heute aber mal ne laaaaange Leitung. "Äh liegt das nicht auf der Hand? SIE IST IRIN!" "Schatz hör sofort auf hier rumzubrüllen. Ja sie ist Irin. Na und? Sie kann nichts dafür was damals passiert ist. Sie war damals schliesslich gerade mal so alt wie du. Wenn das wirklich dein Problem ist, glaube ich du solltest noch mal Dr. Larson aufsuchen." Dr. Larson war mein Psychologe. Er hat mich nach dem Tod meiner Mutter betreut. Ich hatte damals 6 Jahre lang regelmässige Termine bei ihm. Er ist zwar ganz nett, aber ich will nicht noch mal zu so dem Psychodoktor. "Ich schlage vor, du gibst Miss Clark einfach mal eine Chance. Die Ausbildner und Direktor Hawn hätten euch nicht zu einem Team gemacht, wenn sie sich nicht sicher wären, dass ihr euch auch versteht." Widerwillig nicke ich. Dad hat irgendwie schon Recht aber toll finde ich das ganze trotzdem nicht. Ich werde auf jeden Fall vorsichtig sein. 

Nikki Jones - Auf den Spuren der Cybermafia (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt