Prolog

27 6 4
                                    


 1. Januar 2019

"Was soll das heißen?" Der junge Mann war außer sich. Mit weit aufgerissenen Augen versuchte er, den Professor nieder zu starren. "Das neue Jahr hat gerade erst begonnen! Wie kann es da schon zu spät sein?" spie er ihm die Worte geradezu verzweifelt entgegen. Der Akademiker schien davon völlig unbeeindruckt.

"Es tut mir leid, Herr Lorenz. Ich mache die Regeln nicht. Ich informiere Sie nur darüber."

"Aber dann hatte ich doch nie eine Chance! Wozu habe ich mir dann die ganze Mühe gemacht?"

"Naja", grinste der Professor. " Manchmal lernt man für die Note und manchmal eben fürs Leben. Ich bin sicher Ihre Anstrengungen haben Ihnen nicht geschadet. Vielleicht können Sie Ihre Erkenntnisse ja eines Tages irgendwo gebrauchen. Nur an dieser Bildungseinrichtung eben nicht mehr."

"Sie haben meine Arbeit ja nicht einmal angeschaut!"

"Wozu auch? Der Frist ist abgelaufen. Seien Sie doch ehrlich mit sich! In welcher Welt könnte jemand wie Sie jemals einen so hohen Bildungsabschluss erreichen? Also hören Sie endlich auf rumzujammern! Benehmen Sie sich wie ein Erwachsener und akzeptieren Sie ihr Schicksal! Und jetzt entschuldigen Sie mich! Ich muss mich um meine richtigen Studenten kümmern!" Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen verschwand der Professor im Gebäude. Jens sah ihm noch eine Weile fassungslos und wütend hinterher, bevor er das Universitätsgelände verließ. Traurig machte er sich auf den Heimweg. In welcher Welt hätte ich jemals eine Chance? Die Worte des Professors wirkten noch nach.

Dabei war das neue Jahr gerade erst gestartet. Ein Jahr mit dem er so viele Hoffnungen verband. Das Jahr, in dem er das Ruder herum reißen, seinem Leben endlich eine sinnvolle Richtung geben wollte. Und jetzt das. Zu spät! Warum zum Teufel hatte man ihm das nicht gleich gesagt? Warum hatte man ihn in dem Glauben gelassen, er könnte noch etwas ändern? In dem Moment, in dem er sich dazu entschlossen hatte seine Freizeit zu opfern und diese Extra-Arbeit zu schreiben, hatte er schon verloren gehabt. Es gab zwar eine Extra-Arbeit, aber kein Extra-Ultimatum. Und dafür hatte er bis spät in die Nacht gearbeitet, hatte auf die Silvester-Party seiner Freunde verzichtet und sich am PC die Finger wund getippt. Alles umsonst.

Neujahr. Start der guten Vorsätze. Zumindest der Vorsätze. Heute war bekannt geworden, dass ein wohl fremdenfeindlicher Idiot mit seinem Auto in eine Menschengruppe gerast war, nachdem er zunächst erfolglos Jagd auf eine Einzelperson gemacht hatte. Fängt ja super an, das neue Jahr! Die Welt wurde immer verrückter, die Menschen immer verblödeter. Und wenn die andere genauso behandeln wie mich, wundert einen das nicht unbedingt! Natürlich würde er keinen Anschlag auf Unschuldige verüben. Er hatte auch kein Verständnis für den Hass auf alles Fremde, der leider auch in Deutschland immer weiter um sich griff. Aber er verstand die Zusammenhänge. Verstehen war nicht das gleiche wie Verständnis. Nimm den Menschen ihre Hoffnung, zeige ihnen wie wenig sie dir bedeuten und raube ihnen noch das letzte bisschen Würde, das sie hatten, weil sie sie sich als Teil dieser Gesellschaft sehen konnten. Das waren seit Jahrhunderten die bewährten Zutaten für Extremismus und Hass aller Art. Und immer gab es Leute, die es nur zu gut verstanden, auf diesen Zug aufzuspringen und den Menschen einen vermeintlich einfachen Weg aus diesem Dilemma zu verheißen. Die Geschichte lernte nie aus sich selbst. Aber immerhin war noch ein Deutscher im Rennen um den Gesamtsieg der Vierschanzen-Tournee. Vielleicht würden die Nachrichten so zumindest ein bisschen angenehmer ausfallen. Skispringen war wohl eine Wintersportart in der die Deutschen ganz gut mithalten konnten.

Für all das hatte Jens in diesem Moment aber keinen Kopf. Er hatte genug eigene Probleme. Was sollte er nun aus seinem Leben machen? Der Professor hatte schließlich nicht ganz Unrecht. In welcher Welt konnte er schon ein nützliches Mitglied irgendeiner Gesellschaft sein? Es lag ihm einfach nicht im Blut, nützlich zu sein oder sich gar nützlich zu machen. Also beschloss er den restlichen Tag zu Hause auf der Couch zu verbringen. Das konnte zumindest nicht schaden.

"Jens Lorenz?" Die unbekannte weibliche Stimme riss ihn unerwartet aus seinen Gedanken. Er sah sich um, konnte aber außer einem Motorradfahrer und einem Obdachlosenen niemanden erkennen, dem er diese Stimme zuordnen würde. "Sind Sie Jens Lorenz?" ließ die Stimme sich erneut vernehmen.

"Ja?" antwortete er zaghaft und hoffte inständig, dass die Stimme tatsächlich einer real existierenden Quelle zuzuordnen war. Das fehlte ihm gerade noch, dass er auf einmal anfing Stimmen zu hören.

"Gut! Ich habe Sie endlich gefunden. Es ist wichtig, dass Sie mir genau zuhören, Jens Lorenz!"

"Wer sind Sie? Und vor allem wo?" Noch immer hatte er die Besitzerin der Stimme nicht lokalisieren können.

"Sie sollen zuhören, Jens Lorenz! Mein Name tut nichts zur Sache! Ich bin nicht wichtig, Sie schon! Also nicken Sie, wenn sie das verstanden haben und bereit sind mir zuzuhören!" Jens nickte. Was hatte er schon zu verlieren? Außer meinem Verstand.

"Du verlierst nicht den Verstand! Ich bin ganz real, aber ich kann mich dir nicht zeigen. Das wäre zu gefährlich. Gefährlich für mich. Gefährlich für dich. Gefährlich für die ganze Welt." Jens schluckte, sagte aber kein Wort. "Gut. Ich erwarte nicht, dass du mir glaubst, aber du musst mir zuhören." Jens nickte erneut und die Stimme fuhr fort: "Ein Unglück wird geschehen. Mit Unglück meine ich nicht einen Flugzeugabsturz oder so was. Ich meine eine globale Katastrophe. Ein Ereignis, das das Ende der Menschheit bedeuten wird." Das Ende der Menschheit? Jens überlegte ob es passender wäre zu Angst verspüren oder zu lachten anzufangen. Die Stimme erkannte das offenbar.

"Offensichtlich belustige ich dich! Glaub mir, wenn ich eine andere Möglichkeit hätte, würde ich sie wählen, aber es gibt sie nun einmal nicht. Du bist meine letzte, meine einzige Chance, Jens Lorenz!"

"Und was erwartest du von mir?" wagte er es wieder zu sprechen. "Dass ich die Menschheit rette? Für wen hältst du mich denn?"

"Okay. Also sind wir beim Du. Für wen ich dich halte? Das ist eine gute Frage, für die wir jetzt leider keine Zeit haben. Es spielt auch keine Rolle. Du bist du und das ist alles was zählt. Meine Zeit läuft ab. Dieses Jahr steht die Menschheit am Scheideweg. Wird am 31.12.2019 die falsche Entscheidung getroffen, hat das eine Kettenreaktion zur Folge, die nicht mehr zu stoppen sein wird. Natürlich wird die Menschheit nicht sofort untergehen, aber diese Entscheidung wird letztendlich ihr Ende besiegeln. Woher ich das weiß und warum ich das ausgerechnet dir erzähle kann ich dir nicht sagen. Es ist wichtig, dass du nicht mehr weißt, als du wissen musst. Alles weitere würde nur die Gefahr vergrößern. Du bist der Schlüssel, Jens Lorenz. Jetzt musst du nur noch das passende Schloss finden. Mehr kann ich dir nicht sagen, den Rest musst du alleine herausfinden. Bist du bereit dazu?"

Jens schluckte. Vor wenigen Minuten noch hatte er sich selbst seiner Nutzlosigkeit versichert und jetzt sollte er auf einmal zum Retter der Menschheit avancieren. Das kam doch alles etwas plötzlich. Und von einer unsichtbaren Stimme. Die werden mich einweisen! "Ich wünschte ich wäre es. Aber wie kann ich wissen, dass ich mir das nicht einfach einbilde und verrückt werde?"

"Nichts ist wie es scheint! Schau nach links!" Jens gehorchte. Eine Gestalt schälte sich aus den Büschen. Eine weibliche Gestalt. Ein gut aussehende weibliche Gestalt. "Verdammt gut aussehend!" verbesserte sich Jens in Gedanken. Sie schälte sich aus einer Art hautengem Tarnanzug, schüttelte ihr langes blondes Haar und näherte sich ihm. Ohne zu zögern küsste sie ihn. "Ich bin real, Jens Lorenz. Vergiss das nie! Hilf mir bitte! Du bist unsere letzte Hoffnung! Ich zähle auf dich!"

"Du kannst dich auf mich verlassen!" stotterte Jens. "Ich werde tun was ich kann, das verspreche ich."

"Danke!" hauchte sie ihm in Gesicht und zog sich ihren Anzug wieder an. Schon war sie wieder so gut wie unsichtbar. "Übrigens: Mein Name ist Una. Auf Wiedersehen, Jens Lorenz."

"Auf Wiedersehen", flüsterte Jens zurück und versuchte sie im Gebüsch zu orten. Ohne Erfolg. Jens war wieder alleine. Allein mit seinen Gedanken. Und mit dem Motorradfahrer!

Ultra Armageddon FusionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt