Kapitel 1

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 „Hexe! Die Prinzessin ist eine Hexe!"

„Haltet sie fest!"

„Sie soll auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden."

Abgelenkt von ihren völlig erschöpften Beinen und dem Soldaten, der gerade vor ihr aufgetaucht war, hatte sie keine Zeit weiter auf die verächtlichen und mit Hass erfüllten Schreie zu achten. Ohne das schmerzhafte Ziehen in ihren Armmuskeln zu beachten, wehrte sie Schlag um Schlag des feindlichen Schwertes mit der einzigen Waffe, die sie hatte mitnehmen können, erfolgreich ab. Gerade als ihr Gegenüber zum erneuten Angriff ansetzen wollte und dabei fehlerhafter Weise seine linke Seite ungeschützt ließ, nutzte sie den Moment und versetzte ihm einen kräftigen Hieb mit ihrem eigenen Schwert. Triumph gönnte sie sich jedoch nicht, denn als er schmerzhaft stöhnend auf die Knie sank, war sie schon an ihm vorbei in die nächste Gasse gerannt. Keine Sekunde zu früh, denn schon im nächsten Moment erreichten die ersten zwei Wachen den besiegten Soldaten. So leise wie möglich, um es den Verfolgern nicht zu leicht zu machen, rannte sie durch die engen Gassen, das Schwert immer kampfbereit in der Hand. Das lange Kleid vom Fest hinderte sie etwas, doch es würde zu lange dauern es mit dem Schwert zu kürzen. Also rannte sie so schnell sie konnte durch die schützende Nacht. Der Atem brannte ihr im Brustkorb und der Schweiß rann ihr die Stirn herab. Noch ein paar Soldaten kamen ihr in die Quere, die sie jedoch erfolgreich mit dem Schwert und auch manchmal mit etwas Magie abwehren konnte. Noch immer kämpfte sie gegen die Magie an, die einen Weg aus ihr heraus suchte, doch manchmal war sie zu abgelenkt von den Verfolgern und sie entkam. So mancher, der sich ihrer Schöpferin in den Weg stellte, wurde unbarmherzig zurückgeschleudert. Nur einmal kam ihr ein Schwert näher, als ihr lieb war. Die Schnittwunde schmerzte noch immer, als sie schließlich an ihrem Ziel, einem leerstehenden Haus, ankam.

Ein paar Tage versteckte sich das schwarzhaarige Mädchen dort, um abzuwarten, dass sich der Tumult etwas beruhigte. Das teure Designerkleid wechselte sie in ein altes Kleid, wie es das einfache Volk trug, das sie in einem Schrank in dem Haus glücklicherweise gefunden hatte. Natürlich herrschte nach ein paar Tagen immer noch eine riesige Aufregung überall, doch länger wollte sie nicht warten. Denn je länger sie in dem alten verfallenen Haus bleiben würde, umso größer wurde die Gefahr, gefunden zu werden. Sie machte sich also nach wenigen Tagen des unruhigen Abwartens auf den Weg zur Grenze und von dort wollte sie in die Berge, hinter denen das Nachbarkönigreich Trydias lag. Es war gefährlich im Winter in den Bergen, doch eine andere Möglichkeit gab es nicht, wenn sie nicht von diesem Volk umgebracht werden wollte. Immer wieder musste sie sich auf ihrem Weg an die Grenze vor Wachen und Soldaten des Königs, ihrem eigenen Vater, verstecken und die Nächte in der eisigen Kälte zehrten erbarmungslos an ihren Kräften, doch wie durch ein Wunder schaffte sie es schließlich unversehrt an die herbeigesehnte Grenze. Dahinter begrüßten sie bereits mächtige Berge. Ein letztes mal sah sie zurück in ihre alte Heimat, die sie nicht länger als dies bezeichnen wollte und konnte. Dann drehte sich sich fort. Mit festen Schritten brach sie zwischen den Schutz bietenden Tannen, die die Berge umschlossen, in das, mit einer hohen Schneeschicht bedeckte Gebirge dahinter auf. Jeden Abend suchte sie sich Unterschlupf in einer Höhle und am Tag lief sie ohne Unterbrechung in Richtung Westen. Die viele Magie dort zog sie förmlich in diese Richtung und wies ihr den richtigen Weg. Nahrung hatte sie nicht besonders viel. Das Wenige was sich in ihren Taschen befand, hatte sie noch in ihem Königreich gestohlen. Sie musste es sich sparsam einteilen, wenn sie bis zu ihrem Ziel nicht verhungern wollte. Doch sie verhungerte nicht und erfror auch nicht auf ihrem Weg nach Trydias. Und so kam es, dass sie nach Tagen der Kälte und Not das herbeigesehnte Ziel erreichte. Und darüber war sie so froh, dass sie beinahe schluchzend in die Knie gesunken wäre, als sie die erste Stadt des Nachbarkönigreiches erreichte. Was vielleicht auch an der bleiernen Erschöpfung lag, die sie fast in die Ohnmacht trieb.

Die Gabe der MagieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt