Langsam schleiche ich die Straße entlang. Es ist schon dunkel und die Luft liegt mir klamm auf der Haut. Es riecht modrig und überall auf dem Boden ist Dreck verteilt. In der Ferne das Rauschen eines Flusses. Vermutlich der Farikh. Er verdient es kaum Fluss genannt zu werden, sein Wasser ist eine einzige Dreckbrühe. Mir läuft ein kalter Schauer den Rücken runter. Plötzlich höre ich ein Knacken hinter mir, ich will mich umdrehen, meinen Dolch in den Leib meines Angreifers stoßen, doch er ist schneller als ich. Er dreht mir den Arm um und drückt mir eine Pistole an den Hinterkopf. In meinem Nacken spüre ich seinen heißen Atem. Er stinkt nach Alkohol und Zigaretten. Mit tiefer, sehr bedrohlicher Stimme knurrt er mir ins Ohr: „Das ist dein Ende, elender Mörder.“ Seine Stimme kommt mir leicht bekannt vor und weckt ein sehr unangenehmes Gefühl in mir. Ich unternehme einen Versuch mich loszureißen, aber es ist zwecklos. Wer auch immer mich festhält, ist stärker und größer als ich. Er lacht und stößt mich dann nach vorne. Ich stolpere und spüre einen stechenden Schmerz in meinem Bein. Bei meinem letzten Kampf hatte ich mir eine schwere Verletzung zugezogen. Mein Angreifer lacht wieder. „Ich bring dich erst mal weg hier, bevor du dran glauben musst. Eine Leiche bringt selbst hier, im übelsten Viertel von Medjagar, stets Ärger.“ Er schiebt mich die Straße weiter und ich überlege, wie ich meinem Angreifer entkommen kann. Ich brauche schon einen echt guten Plan, denn aufgrund der Verletzung könnte ich, sollte ich mich befreien können, nicht schnell genug weglaufen. Ich bezweifle auch nicht, dass er zögern würde, mich zu erschießen. Auch an einen Kampf ist wegen der Verletzung kaum zu denken. Das einzige, das in Frage käme, wäre die kleine Pistole in meinem Stiefel. Aber wie mein Angreifer schon sagte: „Leichen machen selbst hier stets Ärger.“ Trotzdem beschließe ich, es so zu versuchen. Am Boden entdecke ich einen Karton voller Müll. Ich tue so, als stolpere ich drüber und lasse mich zu Boden fallen. Mein Angreifer flucht und ich habe Gelegenheit, meine Pistole aus meinen abgewetzten Lederstiefeln zu holen. Ich reiße mich in diesem Augenblich der Unachtsamkeit von Seiten meines Angreifers los, rolle mich blitzschnell ab und fluche dann auch. Ich habe mit einer Hand mitten in den Dreck gegriffen. Meine neuen Handschuhe aus echtem Wildleder sind verdreckt und würden zwei Monate nach Kloake stinken. Aber vermutlich wird mich das nicht stören, denn meine Chancen zu überleben stehen nicht gut.
Ich kann meinen Angreifer nun endlich sehen – und was ich sehe ermutigt mich nicht gerade. Es ist ein zwei Meter großer Hüne mit Muskeln, als hätte er eine zu viel von diesen neuen Vitamintabletten genommen. In der Hand hält er eine Pistole, mit der er genau auf meinen Kopf zielt. Und ich habe nur einen Schuss. Mir war bei meinem letzten Kampf dummerweise die Munition ausgegangen und so habe ich jetzt echt ein Problem. Ich zwinge mich, mich wieder auf meinen Gegner zu konzentrieren. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Hüne seinen Finger zum Abzug bewegt und schießt. Ich ziele innerhalb von wenigen Hundertstelsekunden und schieße meinerseits. Meine Kugel trifft genau auf die meines Angreifers, wird aber dadurch abgelenkt und schlägt einige Zentimeter neben dem Kopf meines Gegners in die Wand ein. Der zuckt zurück, überrascht von dieser Wendung. Trotzdem begreift er sofort, dass ich jetzt keine Munition mehr habe, er jedoch hat noch sieben Schuss. Ich weiche weiter in den Schatten zurück, bis ich die Wand in meinem Rücken spüre. Der Mann lacht gehässig und kommt auf mich zu. Ich fluche innerlich. Warum hatte ich nur diesen Weg genommen? Ja klar, hier gibt’s keine Wachen und niemand, der einen wegen unerlaubten Waffenbesitzes, Mordes und ähnlichem einbuchten will. Aber hier ist es nicht ganz ungefährlich, vor allem, wenn man eine schwere Verletzung hat und seine letzte Munition bei seiner aktuellsten Mission aufgebraucht hat. Normalerweise werde ich mit solch einem Gegner locker fertig, aber unter diesen Umständen
stehen meine Chancen schlecht. Der Hüne schießt noch einmal und ich weiche geschickt aus. Solange ich meine Beine nicht brauche, gibt es vielleicht noch Hoffnung. Wenn er nur alle Kugeln verschießen würde. Doch er hat natürlich bemerkt, dass mein Bein verletzt ist und feuert seinen dritten Schuss auf meine Beine ab. Ich mache eine Flugrolle und rette mich in einen Hauseingang. Dahinter höre ich Stimmen. Es ist nie gut, in dieser Gegend einfach irgendwelche Gebäude zu betreten, aber durch das Schild über der Tür schließe ich, dass der dahinter liegende Raum zu einer Kneipe gehört. Was nicht unbedingt besser ist. Aber eine Kneipe bietet mehr Deckung und genug Leute, die einfach auf irgendwen losgehen, sobald einer anfängt zu schießen. Bei der folgenden Prügelei könnte ich dann entwischen. Ich drücke die Tür auf und flüchte mich hinein. Mein Angreifer folgt mir sogleich, wobei er den Kopf einziehen muss, um durch die Tür zu kommen. Dies nutze ich, um ihm mit meinem Dolch eine Wunde am Arm zu verpassen, woraufhin er vor Schmerz aufheult. Sofort drehen sich alle anderen Kneipengäste zu uns um. Und sie scheinen alle etwas gegen mich zu haben. Einige kenne ich, aber viele sind mir unbekannt. Nur eine Frau sieht mich freudig überrascht an. Sie erkenne ich sofort wieder. Sie ist groß, schlank, muskulös und hat lange, glatte schwarze Haare. „Lyra!“, rufe ich aus. Sie strahlt mich an. Die Blicke der anderen verfinstern sich noch mehr. Jetzt habe ich eine Vermutung, wer die anderen, die ich nicht kenne, sein könnten. Vermutlich Lyras Verehrer, die eifersüchtig sind, weil ich mich immer so gut mit ihr verstand. Sie sieht aber auch gut aus. Ich empfinde jedoch keine Liebe für sie. Wir waren Partner, bevor wir uns vor zwei Jahren trennten, denn Lyra wollte mehr in Richtung Spionage, während ich mich den etwas direkteren Verfahren zuwandte. Ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen und freue mich deshalb sehr. Allerdings habe ich jetzt ca. zwanzig Eifersüchtige, dreiundzwanzig, die wegen meinem Job Rache wollen, und den Hünen, der mir so seltsam bekannt vorkommt, gegen mich. Kein guter Zeitpunkt, um ein Wiedersehen zu feiern. Einer der Rachsüchtigen, den ich sogar schon mal gesehen hatte, ruft mir entgegen: „Na, da ist ja wieder unser kleiner Auftragskiller. Du schnappst mir nie wieder einen Auftrag weg. Das ist dein Ende!“ Die anderen nicken und knurren mich an. Sie erinnern stark an eine Raubtiermeute, die sich bereitmacht, ihr Opfer zu erlegen. Und leider bin ich dieses Opfer. Ich gehe in Verteidigungsstellung, denn auch wenn ich kaum Möglichkeiten haben werde, mich zu verteidigen, würde ich niemals kampflos aufgeben. Das würde meinen Ruf als bester Auftragsmörder schwer beschädigen und ich will lieber im Kampf sterben, als mit dem Wissen, dass alle einen Versager in mir sehen werden. Plötzlich kommt eine Gestalt durch die Luft auf mich zu gesegelt. Es ist Lyra, mit einer Maschinenpistole in der einen, einem Revolver in der anderen Hand. Den Revolver wirft sie mir zu und ich fange ihn geschickt. Ich schaue dankbar zu ihr rüber. Sie grinst nur und wir stellen uns Rücken an Rücken auf. Jetzt erscheint die Situation längst nicht mehr so aussichtslos, sondern es ist wie früher, als wir noch ein Team waren – ein unschlagbares Team. Ich sehe, wie der Wirt hinter der Theke in Deckung geht, da stürzen die anderen Gäste schon auf uns zu. Lyra schießt gnadenlos alle nieder, während ich eher Kugeln spare und hauptsächlich mit dem Dolch kämpfe. Mit Lyra als Rückendeckung kann ich wesentlich freier kämpfen, weil ich mein Bein nur von einer Seite schützen und es weniger belasten muss. Ich spüre, wie das Adrenalin durch meine Adern schießt. Aus den Augenwinkeln sehe ich einen großen Mann mit einem langen Kampfmesser auf mich zukommen. Blitzschnell drehe ich meine Hand und steche zu, drehe den Dolch um und ziehe ihn schnell aus dem Leib des Mannes. Er schreit auf und noch bevor er auf den Boden schlägt, ist er tot. Sofort wende ich mich meinem nächsten Gegner zu. Er ist noch größer als der andere und neben einem Jagdmesser auch eine Pistole hat. Ich wehre einen Schuss mit dem Messer ab und führe einen Schlag mit dem Messer an seinem Unterarm entlang, sodass er vor Schmerz aufheult und seine Pistole fallen lässt. Dann schneide ich ihm mit einem einzigen Schnitt die Kehle durch. Lyra hat in der Zwischenzeit ungefähr zwanzig Leute ins Jenseits befördert und mindestens dreifach so viele Patronen verbraucht.
Ich erledige einen weiteren mit einem Stich ins Herz und schneide einem weiteren tief in die Hand, so dass er jaulend vor Schmerz zu Boden sinkt. Ich habe kurz Zeit zum Verschnaufen, als sich auch schon wieder die Meute auf mich stürzt. Es sind zwar schon wesentlich weniger als am Anfang, aber es sind immer noch genug. Nun benutze ich meinen Revolver. Ich schieße zwei Kugeln ab und wenige Sekunden später sinken zwei Männer tot zu Boden - durch einen Schuss durchs rechte Auge. Normalerweise schieße ich meinen Opfern immer ein „G“ in die Brust – ich habe dafür extra Spezialpatronen anfertigen lassen – aber wenn nicht genug Zeit ist oder ich den Revolver mit den Patronen nicht dabei hab, dann nehme ich immer das rechte Auge. Meinen nächsten Gegner beseitige ich durch einen einfachen Stich ins Herz. So geht es eine Weile weiter, bis die Übriggebliebenen die Flucht ergreifen und nur noch mein ursprünglicher Angreifer übrig ist. Lyra stellt sich neben mich. „Irgendwie kommt der Typ mir bekannt vor.“ Ich nicke und der Hüne grinst gemein. Mit bedrohlicher Stimme sagt er: „Auf meinen Kopf sind zehntausend Silbermünzen ausgesetzt.“ Ich erwidere: „Nein, nein, daher kenn ich dich nicht. Ich bin Auftragsmörder – kein Kopfgeldjäger.“ Der Hüne sieht mich mit einem sehr merkwürdigen Gesichtsausdruck an und will sich auf mich stürzen. Allerdings begeht er den Fehler, mit dem Arm zum Schlag auszuholen, an dem ich ihn beim Betreten der Kneipe verletzt habe. Er heult auf und zieht den Arm schnell wieder an. Lyra und ich müssen lachen und er knurrt uns böse an. Plötzlich kommen längst vergessene Erinnerungen zurück und ich knurre ihn an: „Hey! Ich weiß wieder, woher ich dich kenne. Du hast mal meine Familie überfallen und…“ Meine Miene verfinstert sich. „Du hast meine kleine Schwester umgebracht!“ Ich knurre den Hünen wütend an und er knurrt zurück. „Wartet Mal kurz.“, meint Lyra verdutzt. „Du hattest eine kleine Schwester?“, fragt sie an mich gewandt, und zu dem Hünen meint sie: „Und du hast es geschafft bei ihm einzubrechen?“ Wir nicken synchron. Dann knurren wir uns wieder an. Der Hüne hebt seine Pistole und ich den Revolver. Dann werfe ich ihn Lyra zu, da er keine Munition mehr hat. Der Hüne lacht und schießt dann. Ich hebe meinen Dolch und werfe ihn der Kugel entgegen. Er trifft sie genau in der Mitte und spaltet sie – und landet genau im rechten Auge des Hünen. Dieser schreit auf und stürzt tot zu Boden. „Das war Rache für meine Schwester!“, sage ich leise. Nun haben Lyra und ich endlich Zeit, uns richtig zu begrüßen. Sie umarmt mich und meint dann: „Du solltest nicht mit so einer Wunde rumlaufen. Vor allem nicht hier. Und erst recht nicht ohne Munition. Stell dir vor, ich wäre nicht hier gewesen. Du wärst längst im Nirwana. Und… ich hab dich vermisst, Gareen.“
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Gareen
Short StoryGareen, ein junger Auftragsmörder, lebt zusammen mit seiner Teampartnerin Lyra in Medjagar, der Hauptstadt von Arginor. Als berüchtigte Auftragsmörder der Stadt erledigen sie viele Aufträge vom einfachen Auftragsmord bis hin zu diabolischen Intrigen...