Oushiza

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~Der Oushiza der Macht, der in uralten Tagen die Frühjahrs-Tagundnachtgleiche kennzeichnete. Große Veränderungen stehen bevor.

Kattūu schob die Brille mit dem breiten Rand auf seiner Nase ein Stückchen nach oben und knöpfte sich die Wollmantel Jacke zu. Eine abendliche Brise war aufgekommen. Er beobachtete die Silhouette seines Onkels, der auf dem Deck der Fähre auf und ab tigerte. Stumm las er auf einem kleinen Tablet, das er in der Hand hielt. Mit der anderen zwirbelte er gedankenverloren seinen Gehstock. Kattūu fand, dass der Smoking an seiner gebeugten, schlaksigen Figur schlecht aussah. An den Rändern verschwamm er geradezu mit dem öligen Strömungen der Themse. "Wenn du jetzt noch nicht vorbereitet bist, ist es sowieso zu spät'', rief Kattūu ihm zu und hob tadelnd den Finger. Genau das sagte sein Onkel nämlich immer zu ihm, wenn er ihn spätnachts noch dabei ertappt hatte, wie er für eine Prüfung an der nächsten neuen Schule lernte. Laut pochte sein Gehstock aufs Deck. Er blieb stehen und sah ihn an. Nur das Weiß seines Kragens sorgte dafür, dass er vor dem schwarzen Hintergrund der East-End-Betonsilos und -Schiffswerften nicht unterging. Er wirkte viel mehr wie ein Schatten als wie ein Mann, der sein ganzes Leben der Wissenschaft gewidmet hatte. Ein Leben, das ihn zielgerichtet an eben diesen Abend geführt hatte, wie Kattūu wusste. ''Keine Ahnung, wer dir das erzählt hat, aber er hatte keinen blassen Schimmer, wovon er redet'', erwidert Kattūus Onkel. ''Ein bisschen Vorbereitung auf den letzten Drücker hat noch keinem geschadet.'' Kattūu lachte. ''Na ja, besser, du beeilst dich. Wir sind fast da.'' Nicht weit vor ihnen kam der lange Streifen des Pier in Sichtweite, an dem die Lichter vieler Boote funkelten. Kattūu bekam Gänsehaut. Er war schon so oft in London gewesen, doch noch nie hatte er dabei die Möglichkeit, das berühmte Observatorium von innen zu sehen. Jahrhundertelang war es der Dreh- und Angelpunkt für Wissenschaft und Astronomie gewesen -- Kattūus zwei große Leidenschaften. ''Stimmt'', sagte Kattūus Onkel, wandte sich wieder seinem Tablet zu und lief weiter auf und ab. Das dumpfe Pochen seiner Absätze wurde alle zwei Schritte vom Klopfen seines Stocks unterbrochen: tapp, tapp, klounk, tapp, tapp, klounk. Sein Onkel hatte versucht, es vor ihm zu verbergen, aber Kattūu merkte deutlich, wie nervös ihn der Vortrag machte, den er gleich vor der Royal Society halten würde -- einer Gruppe der genialsten Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Seit Kattūu und sein Onkel vor ein paar Wochen ihr zuhause in Japan verlassen hatten und hierhergeflogen waren, hatten die Vorbereitungen für den Vortrag jeden seiner wachen Augenblicke in Anspruch genommen. Komisch war nur, dass er sich geweigert hatte, Kattūu irgendetwas darüber zu erzählen. Ich will, dass es eine Überraschung ist, hatte er nur gesagt und sich ein gezwungenes Lächeln abgerungen, nachdem er nicht aufgehört hatte, ihn immer wieder zu fragen. Bisher hatte er seine Arbeit noch nie vor Kattūu geheim gehalten. Außerdem hatte er den Eindruck, dass er niedergeschlagen war. Das sah dem sonst so ausgelassenen Professor gar nicht ähnlich. Noch dazu wurde er das merkwürdige Gefühl nicht los, dass seine Niedergeschlagenheit etwas mit Ihm  zu tun hatte. ''Alles in Ordnung?'', fragte Kattūu ihn schließlich, nachdem er ein paar weitere Runden auf dem Deck gedreht hatte. Er schaut zu ihm. ''Ja, Kat, das sind nur die Nerven.'' Da war es wieder, das seltsame Zögern in seiner Stimme. Die Art, wie sein Blick eine Sekunde zu lange auf ihm ruhte. ''Sonst bist du nie wegen einem Vortrag so nervös'', stellte Kattūu fest. ''Um den Vortrag mach ich mir keine Sorgen.'' Er macht eine Pause. ''Mehr über das Danach.'' 

''Worüber sollte man sich beim Thema Astronomie-Geschichte schon streiten? Das ist doch alles längst, na ja, Geschichte. '' Sein Onkel seufzt und wendet den Blick ab. ''Ach, wenn du da nur recht hättest.'' Bevor er nachhaken konnte, was das heißen soll, löste sich ein Mädchen mit zurückgekämmten orangenen Haaren aus einer Gruppe Teenager, die es sich auf einigen der dunkel roten Plastiksitzen der Fähre gemütlich gemacht hatte. Sie kaute so kräftig auf ihrem Kaugummi herum, dass sie einen Generator hätte antreiben können. Bevor sie sich vor Kattūus Onkel stellte, warf sie ihren Freunden noch ein Grinsen zu. ''Darf ich ein Selfie mit Ihnen machen, Professor?'' Kattūus Onkel war nicht nur in der akademischen Welt eine Berühmtheit, auch dem Fernsehpublikum war er ein Begriff. Und das überall -- in seiner ursprünglichen Heimat, Amerika, in Europa, Afrika und selbst im Mittleren Osten. Seine TV-Show Geheimnisse der Archäologie  war fast zwei Jahrzehnte lang ausgestrahlt worden. ''Er ist gerade beschäftigt'', sagt Kattūu abweisend. Das Mädchen schnitt eine Grimasse. ''Und wer bist du? Sein Bodyguard? Und außerdem, habt ihr Amerikaner das Selfie nicht quasi erfunden?'' Kattūu klang vielleicht, als stammte er aus der USA, doch das stimmte nicht. Nicht wirklich -- Er ist Großteils Japanischer Abstammung. Seit er denken kann, ist Kattūu seinem Onkel durch die ganze Welt gefolgt, als Passagier auf seiner akademischen Reise. Von Stadt zu Stadt waren sie gezogen, von Universität zu Ausgrabungsstätten zu Speziallaboren. Kattūu hatte internationale Schulen besucht oder war privat unterrichtet worden. Zuletzt waren sie in Griechenland, Ägypten und Frankreich zu Hause gewesen, von wo aus sie jeweils zusätzlich Abstecher an andere Orte unternommen hatten. Manchmal störte es Kattūu -- immer wieder aufzubrechen, gerade wenn er sich irgendwo eingelebt hatte, immer wieder neu gewonnene Freunden Lebewohl zu sagen. Doch die Vorteile schienen die Nachteile am Ende zu überwiegen. Welcher 
Teenager konnte von sich schon behaupten, auf sechs Kontinenten gelebt zu haben, fünf Sprachen fließend zu Sprechen und Freunde in Griechenland, Mexiko, Ägypten und auf der ganzen Welt zu haben? Aber er hatte keine Lust, dem Mädchen seine Lebensgeschichte zu erklären. ''Von mir aus'', sagt er stattdessen. ''Gib mir dein Handy. Ich kann das Foto machen.'' Die Ori (Orangen-Haarfarbende) grinste. ''Cool. Dann bist du ein lebendiger Selfiestick!'' Sie wirft Kattūu das Handy zu. ''Man könnte es wohl eher fast-Fotograf nennen'', sagte Kattūu und machte ein paar Schnappschüsse von dem Mädchen, das den Arm um Professor Shinwa legte, während der' geduldig lächelte. Lachend hüpfte das Mädchen zurück zu ihren Freunden und zeigte die Bilder herum. ''Danke, dass du das übernommen hast'', sagt Kattūus Onkel mit einem anerkennenden Nicken. Kattūu runzelt die Stirn. ''Du weißt schon, dass ich nicht dein Leibwächter und  dein Forschungsassistent sein kann. Ich finde, dafür wäre zumindest eine Gehaltserhöhung fällig.'' 

Kenryoku no sōzokujinWhere stories live. Discover now