Leseprobe

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Prolog

Nic

Feuergeburt


Feuer brannte hinter meinen Lidern, selbst als ich sie geschlossen hielt. Die Flammen fraßen sich immer weiter in die Höhe, krochen an den Zimmerwänden empor und leckten zugleich an meinen Fußspitzen. Ich hatte noch nie im Leben solch eine Hitze verspürt. Sie schraubte sich an mir empor und schälte mir langsam und qualvoll die Haut von den Knochen. Ein schmerzvoller Schrei brach aus mir hervor und wurde sogleich durch den dichten tiefschwarzen Rauch erstickt. Ich keuchte. Das Gewölk drang in meine Lunge ein und verschloss die Luftröhre. Im Rücken spürte ich das Gemäuer des Hauses. Vor mir flackerte die Feuerwand und versperrte mir den einzigen Ausweg aus dieser Hölle. Das nächste Fenster war ebenfalls zu weit entfernt, um es rechtzeitig zu öffnen und zu fliehen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich mich im achten Stockwerk des Studentenwohnheims befand. Doch allein der Gedanke daran, dass ich während meines Falls den erfrischend kalten Gegenwind spüren könnte, ließ mich sehnsuchtsvoll aufseufzen, was jedoch mehr nach einem erstickten Röcheln klang.

Was würde ich dafür geben, um dieser Hitze zu entkommen!

Die Schweißperlen auf meiner Stirn verdampften bereits, bevor sie sich vollständig gebildet hatten. In meinen Augen flackerte das Licht des rot glühenden Feuers. Ich hatte bereits so lange hinein gestarrt, dass ich befürchtete zu erblinden.

Doch spielte das überhaupt noch eine Rolle?

Die Flammen kamen immer näher, waren nur noch Zentimeter von der Zimmerecke entfernt, in welche ich mich gepresst hatte. Ich hustete und schluchzte, während mir die Tränen die Wangen hinabliefen. Die Hitze des Feuers brannte ihre Spuren in meine Haut, sodass ich sie bis in alle Ewigkeit spüren würde.

Im Hintergrund schrillte der Feueralarm vor sich hin und untermalte meine nach Hilfe schreienden Gedanken mit seinem Kreischen. Vielleicht war es auch der Todesschrei eines anderen Studenten ...

Ich wusste nicht, was den Brand ausgelöst hatte. Ich erinnerte mich bloß daran, dass ich mitten in der Nacht durch den nervtötenden Feueralarm aufgeweckt worden war. Dieser wurde allerdings mehrmals innerhalb einer einzigen Woche ausgelöst, weshalb ich mir keine weiteren Gedanken machte, mich umdrehte und versuchte, wieder einzuschlafen. Womöglich hatte jemand einfach vergessen, beim Kochen in der Gemeinschaftsküche die Dunstabzugshaube anzuschalten. Die Dampfentwicklung hatte schon mehr als zwanzig Mal den Alarm ausgelöst.

Erst als der Alarm nicht stoppte, wurde mir bewusst, dass hier irgendetwas gewaltig falsch lief. Als ich meine Zimmertür öffnen wollte, war der Türgriff bereits so heiß, dass meine Haut bei dieser Berührung zischte. Ich hatte so viel Abstand zwischen mich und die Tür gebracht wie nur möglich. Wenn sich der Knauf derart erhitzt hatte, bedeutete das, dass das Feuer schon im Flur wüten musste.

Ich hatte meine Verletzung gemustert und beobachtet, wie sich Brandblasen auf meiner Handfläche bildeten. Sie schmerzten höllisch. Als würde jemand ein glühendes Eisen auf meine Haut pressen. Ich hatte geflucht und meine zitternde Hand von mir gestreckt, um nicht versehentlich meine Kleidung zu berühren und die Verletzung damit schlimmer zu machen. Aus einem Instinkt heraus griff ich nach einem alten Shirt, das auf dem Boden lag, und der Wasserflasche neben meinem Bett. Ich leerte den kompletten Inhalt über den Stoff und presste ihn gegen mein Gesicht, um mich vor dem Rauch zu schützen.

Nur wenige Sekunden später brach die Zimmertür unter lautstarkem Ächzen und Knarren in sich zusammen. Der Knall hallte mir immer noch in den Ohren nach. Das Holz hatte sich dunkel, fast schwarz verfärbt und fiel dem lodernden Feuer zum Opfer. Eine Stichflamme war explosionsartig ins Zimmer geschossen und hatte mich in die Ecke gedrängt. Ich konnte das Schmatzen der Flammen immer noch hören. Feuer war ein gefräßiges Monster ohne Gnade. Da war nur dieser endlose Hunger. Dieses Verzehren nach Leben.

Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis ein Funke auf den rechten Ärmel meines Pullovers übersprang und den staubtrockenen Stoff binnen weniger Herzschläge in Brand steckte. Ich hatte keine Chance. Die Flammen versengten die rechte Hälfte meines Oberkörpers und setzten meinen kompletten Arm in Brand. Ich konnte sehen, wie meine Haut abblätterte wie alte Farbe von einer spröden Wand. Ich beobachtete, wie mein Körper aufriss und offene Wunden meine gesamte rechte Körperhälfte spalteten. Blut sickerte aus den Verletzungen und tropfte brennend zu Boden. Der Aufprall jedes einzelnen Tropfens hallte unendlich in meinen Ohren nach. Ich verlor flüssiges Leben. Und mit jedem weiteren Tropfen näherte ich mich dem unvermeidlichen Tod.

Die Schmerzen waren unerträglich. Dieses Brennen, diese Hitze ... Ich spürte es einfach überall. Die Flammen tanzten nicht nur auf meinem Körper, sondern auch in meinem Kopf. Kein klarer Gedanke konnte sich formen. Da war nur noch dieser Wunsch nach Erlösung, der in meinem Inneren immer und immer wieder echote.

Es soll endlich aufhören! Ich will nicht mehr leiden.

Die Qualen überstiegen meinen Geist. Ich konnte nichts anderes mehr fühlen. Mein Körper wurde taub, als hätte das Feuer jegliche meiner Empfindungen weggebrannt. Mein Blick wandte sich ein letztes Mal meinem Mörder, dem Feuer, zu. Ich wusste, dass ich sterben würde. Ich wusste es einfach. Und ich wollte ins Licht sehen, sobald es so weit war.

Und dann sah ich sie.

Sie stand inmitten der Flammen. Geschaffen aus Asche und Glut und Rauch. Eine junge Frau. Sie blinzelte mich erschrocken an, als sie bemerkte, dass ich sie beobachtete. Als hätte sie nicht damit gerechnet, dass ich sie sehen könnte. Das Feuer bedeckte sie wie eine zweite Haut oder ein lebendiges Kleid. Sie schien sich nicht an den Flammen zu stören. Und tatsächlich: Die Naturgewalt verschonte sie und ihren makellosen Körper.

Ich halluzinierte. Anders konnte ich mir das nicht erklären. Das alles spielte sich in den wenigen Sekunden ab, seit die Tür nachgegeben hatte. Mein Hirn musste völlig überfordert sein. Kein Wunder, dass ich begann, Trugbilder zu sehen. Dennoch streckte ich meine verbrannte Hand in ihre Richtung aus. Sie war schwer wie Blei und zitterte unkontrolliert. Ich konnte mich kaum noch konzentrieren, als ich versuchte, mit meinen Lippen einen einzigen Satz zu formen.

Die Fremde ging einen Schritt auf mich zu. In ihren Augen las ich unbändigen Schmerz, obwohl die Flammen ihre Haut nicht versengten oder angriffen. Ich schloss meine Lider und flüsterte in das Knistern des Feuers meine letzten Worte, in der Hoffnung, dass mich die Frau hören würde.

»Hilf mir.«

Gerade als mein Körper in sich zusammensackte und mich jegliche Kräfte verließen, spürte ich, wie jemand meine ausgestreckte Hand ergriff. Eine kühle Welle aus vollkommenem Frieden wogte bei der Berührung durch mein Innerstes und erfüllte meine Seele.

Dann wurde alles schwarz ...

LESEPROBE "Living Legends - Des Teufels Träume" (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt