Ich rannte. Und rannte. Immer geradeaus durch den dicht bewachsenen Birkenwald. Nicht umdrehen. Weiterlaufen. Bloß nicht umdrehen. Die kalte, feuchte Nachtluft brannte schmerzhaft in ihren Lungen und der Nieselregen stach wie tausend kleine Nadeln in ihre Haut. Meine Beine hingen schwer an meinem Körper, doch ich musste weiterrennen. Er durfte mich nicht erreichen. Der Nebel, der um mich herumwaberte, schien mich festhalten zu wollen. Ich hatte vollkommen die Orientierung verloren und verlangsame meine Schritte. Hinter mir hörte ich keinen Mucks mehr. War er weg? Hatte er die Verfolgung aufgegeben? Ich blickte mich um. Mir war unheimlich übel und mein Kopf dröhnte. Der Nebel begann, dichter zu werden und die dürren Birken um mich herum verschwammen langsam mit der Dunkelheit. Einzelne nasse Strähnen meiner Haare hatten sich in mein Gesicht verirrt und ich begann langsam zu frieren. Gleichzeitig war mir so heiß, wie ich es nie zuvor gespürt hatte.
Plötzlich hörte ich etwas. Schwere Stiefel schlurften über das Laub auf dem Boden. Ich wollte weiterlaufen, doch ich konnte nicht. Ich stand wie paralysiert da. Die Stiefel schlurften näher. Der Mann, dem sie gehörten, atmete schwer und langsam. Er kicherte leise. Er stand direkt hinter mir. Noch immer konnte ich mich nicht rühren und als ich eine eisige Hand auf meinem Arm spürte, blieb mein Herz für einen kuren Moment stehen. Die Hand strich aufwärts, über meine Schulter und packte schließlich meine Haare. An meinem Hals spürte ich einen stechenden Schmerz und anschließend eine warme Flüssigkeit über mein Schlüsselbein und meine Brüste fließen. Der Mann lachte wieder. Um mich herum wurde alles schwarz und ich hörte nur noch das Lachen. Immer lauter und greller lachte er.
Angstschweißgebadet schreckte Linda hoch und berührte ihren Hals, auf dem sie immernoch den Schnitt der Klinge spürte. Der Wecker piepste laut und sie atmete einige Male tief ein und aus, bevor sie ihn ausschaltete. Sie schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Ihr Herz hämmerte unaufhörlich, als wöllte es voller Panik aus ihrem Körper flüchten. "Es war nur ein Traum,", versuchte sie sich zu beruhigen, "nichts ist passiert.". Sie stand auf und sank gleich danach wieder zurück auf die Matratze. In ihrem Kopf drehte sich ein Karussell und ein dunkler Schleier trübte ihre Sicht. Sie schluckte schwer und erhob sich noch einmal, diesmal langsamer.
Linda schleppte sich ins Badezimmer, wo sie eine Aspirin nahm und duschen ging, um im Anschluss festzustellen, dass sie noch immer allein war. Im Ehebett hatte niemand geschlafen, kein benutztes Geschirr stand im Spülbecken. Außerdem war ihr Vater nicht wie jeden morgen mit dem Hund rausgegangen, weshalb Linda ihn schnell in den Hinterhof schicken musste, wo Mika sich im Schnee vergnügte, der über Nacht gefallen war. Währenddessen kochte sie sich einen Kaffee und stellte das Radio an, um die Nachrichten und den Wetterbericht zu hören. Der Moderator erzählte von einem ausgebrannten Bauernhaus in der Nähe ihres Viertels und einem missglückten Banküberfall in der Nachbarstadt. Der Wetterbericht war eine Enttäuschung. Regen oder Schnee für die gesamte restliche Woche und starker Wind.
Nachdem die Nachrichtensendung vorbei war, begann Justin Bieber "Baby" zu singen. Sie fing an, mitzusingen und mit der Kaffeetasse in der Hand durch die Küche zu tänzeln. Als sie merkte, was sie da tat, schaltete sie sofort das Radio aus. Nachdem sie den Kaffee ausgetrunken hatte, ging sie wieder in ihr Zimmer, zog sich für die Schule um und steckte ein paar Bücher zusammen mit einer Flasche Wasser und ihrem Federmäppchen in den Rucksack.
Da sie noch Zeit hatte, bis ihr Bus kam, setzte sie sich auf ihr Bett, öffnete Instagram und durchstöberte ihre Lieblingsmemeseiten. Einige Zeit später vibrierte das Handy in ihrer Hand. Alicia hatte ihr geschrieben, dass die erste Stunde heute ausfiel, weil der Physiklehrer krank geworden war. Linda seufzte und stand auf, um aus dem Fenster hinunter aus die Straße zu sehen. Es hatte weiter geschneit und die wenigen Autos schlitterten in Schrittgeschwindigkeit mehr oder weniger geradeaus. Ihre Eltern fielen ihr ein. Hoffentlich war ihnen bei diesem Wetter nichts passiert. Sie glaubte nicht mehr, dass sie so lange Arbeiten waren, also nahm Linda ihr Handy und rief ihren Vater an.
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Virus M137 (PAUSIERT)
Ciencia FicciónEin Jahrhundertwinter. Ein gefährlicher Virus und nichts vermag ihn zu stoppen.