Das Nichts

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Ich spüre nichts.
Nichts ist ein großes Wort. Ich habe nie darüber nachgedacht, aber jetzt habe ich ja nichts zu tun. Schon wieder nichts.
Es fühlt sich falsch an zu sagen, ich spüre nichts. Denn ich spüre ja etwas. Nämlich das Nichts. Aber da das Etwas ein Nichts ist spüre ich ja doch wieder nichts. Oder eben Nichts. Allerdings setzt das Nichts-Spüren ja die Existenz eines Etwas voraus. In diesem Fall mich. Durch meine Existenz wird das Spüren des Nichts erst möglich. Ohne mich gäbe es das Nichts nicht. Es wäre nicht Nichts, es wäre schlicht nicht seiend. Ich frage mich ob mein Sein genauso abhängt vom Nichts. Ob wir aufeinander angewiesen sind oder ob wir auch unabhängig voneinander existieren können.
Das Nichts ist kein unangenehmes Gefühl, nur ungewohnt. Vermutlich weil es dem Wissen so sehr wiederspricht. Ich weiß zum Beispiel, dass am Ende meiner Beine meine Füße sind. Aber spüren kann ich sie nicht. Natürlich kann ich meine Beine ebensowenig spüren. Oder meine Hände. Oder sonst irgendeinen Teil meines Körpers.
Ich spüre doch etwas wird mir klar. Allerdings mehr auf der Psychischen Ebene als auf der Physischen. Ich fühle Verwirrung und Angst. Und Zweifel, Neugierde, Mutlosigkeit. Die ganze Situation ist ziemlich seltsam, vor allem weil ich immer noch nicht dahintergekommen bin was eigentlich los ist. Allerdings weiß ich natürlich auch nicht, wie lange ich schon darüber nachdenke. Vielleicht bin ich schon seit Tagen in dieser schwerelosen Einsamkeit. Vielleicht erst seit Sekunden. Das Bewusstsein ist ein schwer zu fassendes Ding.

Ich glaube nicht dass ich tot bin. Nicht, dass ich irgendwelche Erfahrungen mit diesem Zustand aufweisen könnte, aber ich glaube es würde sich anders anfühlen. Ich bin nicht religiös, ich glaube nicht an Wiedergeburt oder ein Leben nach dem Tod. Der Tod ist das Ende. Und da ich noch da bin, zumindest gedanklich, kann ich nicht tot sein. Dieser Gedanke tröstet mich ungemein. Denn etwas anderes als meine Gedanken habe ich nicht. Ich nehme nichts wahr, keine Geräusche, keine Berührungen. Ich sehe nichts, ich rieche nichts. Nur mein Geist existiert weiter vor sich hin. Allerdings mag ein philosophisch begabterer Mensch das vielleicht als ein Stadium des Todes deuten. Immerhin heißt es ja auch, der Schlaf sei auch nur ein kurzer Tod und der Tod eben ein langer Schlaf. Sollte ich allerdings schlafen (oder tot sein) bedeutete das ja, ich würde träumen oder nicht? Und einen so seltsamen Traum habe ich nun wirklich noch nie gehabt.

Vielleicht träume ich doch. Träume fühlen sich ja real an, während man sie träumt. Nicht, dass sich irgendetwas hiervon real anfühlen würde. Aber vielleicht ist das ja auch der Punkt. Wer weiß schon, was sich das Unterbewusstsein denkt, wenn es einem die Träume schickt. Trotzdem träumt man ja üblicherweise von Dingen die man erlebt hat, es tauchen Orte auf die man besucht, Menschen die man getroffen hat. Bei mir gibt es nur Leere. Das nervt ganz schön.

Als ich noch ein Kind war haben wir mal Urlaub in Frankreich gemacht. Ich weiß nicht mehr genau wo, aber ich weiß noch dass ich irgendwann allein da stand. Vermutlich habe ich mich wie sonst auch von irgendetwas ablenken lassen und deswegen den Rest meiner Familie verloren. Überall um mich waren fremde Menschen, die in einer Sprache redeten die ich nicht verstand. Ein paar Minuten stand ich dort mitten in einer Einkaufsstraße und fragte mich was ich tun sollte. Dann ging ich los um meine Eltern zu suchen.
Die Angst kam erst ein paar Stunden später, als es langsam dunkel wurde, und die Straßen leerer. Irgendwann kam eine Frau die ich nicht kannte nahm mich bei der Hand und zog mich weg. Ich wehrte mich, ich sollte ja nicht mit Fremden gehen, aber die Frau redete sanft auf mich ein, und obwohl ich sie nicht verstand fühlte ich mich getröstet. Sie brachte mich um ein paar Ecken, und da stand sie, meine Mama. Ihr verzweifeltes Gesicht werde ich nie vergessen, ebenso wenig den Ausdruck der Freude der in ihren Augen trat als sie mich sah. Meine Retterin, die fremde Frau, redete kurz mit Mama, dann war sie schon wieder weg. Mama sagte mir an diesem Tag, dass sie mich niemals wieder allein lassen würde. Egal wo ich sei, ich könne mir sicher sein, dass sie immer bei mir wäre.
Ich frage mich ob sie jetzt auch bei mir ist.
Ich vermisse sie so sehr. Ich möchte so gerne mit ihr reden, möchte sie fragen was mit mir los ist, ob sie mir nicht helfen kann. Wie ich es schaffe, wieder so zu sein wie früher. Es gibt da diese Sache die Mütter können, und ich habe nie begriffen wie es geht: sie lächeln, und die Welt ist in Ordnung. So ein Lächeln könnte ich grade echt gut gebrauchen.

Vielleicht träume ich doch.
Oder ich habe zu viel an Mama gedacht.
Manchmal höre ich sie reden.
Ich kann nicht verstehen was sie sagt, aber sie klingt traurig. Ich weiß nicht, wann ich sie das letzte Mal so traurig erlebt habe. Ich wünschte ich könnte ihr irgendwie helfen. Für sie da sein, wie sie immer für mich da ist. Aber ein Traum bleibt eben ein Traum.
Papa höre ich auch manchmal reden. Er ist nicht so traurig, glaube ich. Eher genervt. Deshalb glaube ich, dass es ein Traum sein könnte. Denn Träume spiegeln doch das wieder, was man so erlebt hat. Mamas Trauer passt nicht so gut ins Bild wie Papas Gereiztheit, aber wären Träume wie die Wirklichkeit würden wir sie wahrscheinlich nicht Träume nennen.
Ich sehne mich nach der Wirklichkeit.
So sehr.
Was gäbe ich darum, mit jemandem reden zu können, und sei es nur für ein paar Minuten. Ach was sage ich, mit jemandem reden. Es reichte mir schon, jemandem zuzuhören. Ich will wieder eine Stimme hören, die nicht meine eigene in meinen Gedanken ist. Ich will jemanden hören, der einfach nur redet, und ich höre zu. Das wäre wirklich schön. 

In meinem Kopf die ganze WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt