Töten.
Was für ein merkwürdiges Wort dies doch war.
Zu klein, zu simpel, zu einfach, um etwas so großes zu bedeuten. Der Akt des Tötens an sich klang so einfach, ein kurzes Messerstechen in die Hauptschlagader, ein Gift in das Getränk gemischt, und es war vollbracht. Wenig anders als unsere üblichen Handgriffe. Wie konnte also dieses Töten, das doch angeblich so leicht war, so unglaublich schwer sein? Ich gebe zu, dass ich früher nie wirklich verstanden habe, was es bedeutet, zu töten. Der Mörder war in meinem Kopf immer ein gefühlloses Etwas, kalt, unmenschlich, durch und durch böse. Ein normaler Mensch würde schließlich niemanden töten.
Doch so wie ein vor kurzem fest angestellter, ein beschauliches Leben lebender Mensch in wenigen Tagen zu dem Obdachlosen werden konnte, der mit dreckigen, stinkenden Klamotten in der U-Bahn um Geld bat, so konnte auch der Menschlichste zu einem Mörder werden. Und anders als bei einem Obdachlosen gab es keine Möglichkeit, den Titel des Mörders abzulegen und zur Normalität zurückzukehren. Dafür blieben einen die schlaflosen Nächte, die erdrückenden Schuldgefühle und die Gewissheit, nie wieder einen Tag zu verbringen, ohne daran zu denken. Es war wie ein Schatten, der dich überall hin begleitete und dich langsam aber sicher zerstörte. Wie eine Schlinge, die sich um deinen Hals spannte, und je tiefer du Luft holen wolltest, desto enger wurde sie. Es klebte Blut an meinen Händen, das Blut eines Lebewesens, menschliches Blut. Ich hatte schon lange aufgehört zu weinen. Es war, als wäre ich leer, als hätte ich beim töten auch einen Teil von mich selbst getötet.
Ich war tot, dachte ich, kaputt, zerstört, kalt, unmenschlich, tot.
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Insights
Short StoryWer weiß, was an diesem Augenblick gerade passiert? Vielleicht stirbt jemand gerade, während jemand anderes sein Traum verwirklicht? Vielleicht macht ein Kind seinen ersten Schritt, während ein Opa zum Begräbnis seiner Frau fährt? Der zweite Teil vo...