Kapitel 2

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Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich meinen Sitzplatz erreicht habe, lasse ich mich erleichtert in das bequeme Leder sinken und richte meinen Blick aus dem Fenster. Die Sonne geht gerade auf und taucht die Startplan in ein leuchtendes orange.
Der Flug von Denver bis nach Seattle wird ungefähr drei Stunden dauern, solange darf ich hier drinnen ausharren, ehe ich wieder festen Boden unter den Füßen haben werde.
Bei den Gedanken an den Flug breitet sich ein mulmiges Gefühl in mir aus, welches auch nicht sonderlich besser wird, als die Maschine erst langsam, dann immer schneller ins rollen kommt, bis sie schließlich abhebt und ich mit aller Kraft in meinem Sitz nach hinten gedrückt werde. Erst als der Start überwunden ist und das Flugzeug gleichmäßig an Höhe gewinnt, atme ich erleichtert die Luft, welche ich angehalten habe, aus.
Das fliegen an sich macht mir nichts aus, bloß das Wissen, jemand anderen, noch dazu einer mir fremden Person die Kontrolle über mein Leben zu überlassen ist für mich schrecklich. Seit jener Nacht gibt es für mich kaum eine beängstigendere Vorstellung als keine Kontrolle über mein eigenes Leben zu haben. Ich bin quasi dazu gezwungen diesem fremden Menschen für drei Stunden zu vertrauen. Doch was bleibt mir auch anderes übrig ? Um umzudrehen und fort zu rennen ist es bereits zu spät. Ich hab mich für einen Neuanfang entschieden und nun gibt es vorerst kein zurück mehr.

Dad war zunächst extrem verwirrt, als ich ihn bei einem unserer Telefongespräche fragte, ob ich zu ihm ziehen könne. Nachdem ich ihm meine Situation erklärt hatte und ihm etliche Male versicherte, dass ich wirklich bereit für einen Neuanfang sei, hatte er schließlich nachgegeben und schien sich tatsächlich zu freuen, dass ich nun für eine längere Zeit nach Neah Bay zurückkehren werde, - dem Ort aus dem meine Mutter mit mir fortging, als ich gerade Mal zwei Jahre alt war und sie sich von meinem Vater trennte. Den Grund für die Trennung kenne ich seit heute nicht. Natürlich hab ich Mum mehrmals danach gefragt, es aber irgendwann aufgegeben, nachdem ich gemerkt hatte, dass ich anscheinend keine Antwort auf diese Frage bekommen würde. Dad habe ich nie danach gefragt, am Telefon schien mir ein Gespräch über die Trennung zu unpersönlich. Seit dem meine Mutter mit mir aus Neah Bay fortgegangen ist, bin ich nie wieder dort gewesen, noch nicht einmal in meinen Ferien. Stattdessen besuchte mein Vater mich einmal im Jahr und wir verbrachten einen Teil meiner Sommerferien zusammen, daran hatte sich auch nichts geändert als ich zu Helen zog.

Durch ein klimperndes Geräusch wird meine Aufmerksamkeit auf den Gang gelenkt, wo ich einige Plätze vor mir den Frühstückswagen entdecke. Kurze Zeit später bin ich mit meiner Bestellung dran, ich entscheide mich für ein Käse-Sandwich und einen English Breakfast Tea, einen Kaffee werde ich mir nachher auf dem Flughafen holen. Die weitere Zeit des Fluges vertreibe ich mir damit, hauptsächlich aus dem Fenster zu schauen und nebenbei in einer Frauenzeitschrift zu blättern. Zwar ist der neuste Tratsch und Klatsch nicht unbedingt mein Ding, aber die Zeitung genügt, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und mich abzulenken. Als ich nach ein paar Seiten jedoch merke, wie meine Augenlieder zunehmend schwerer werden, gebe ich mich geschlagen und lege die Zeitung beiseite um ein wenig Schlaf der vergangen Nacht nachzuholen.

Ein lautes Stimmengewirr reißt mich aus meinen Träumen, frustriert reibe ich mir mit den Händen über die Augen und suche nach dem Auslöser, der mich geweckt hat.
Zwei Plätze vor mir entdecke ich ein Pärchen, dass sich allen Anschein nach streitet.
Genervt verdrehe ich meine Augen und suche in meiner Tasche nach meinen Kopfhörern, auf das Gestreite kann ich nur all zu gut verzichten. Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass es bereits halb neun ist. Nicht mehr lange, dann werde ich in Seattle landen. Ich schließe meine Augen und versuche mich für die restliche Zeit zu entspannen, indem ich mich auf den Klang der Musik konzentriere.
Eine halbe Stunde später ertönt eine Durchsage, dass wir in kürze zur Landung ansetzen werden. Ich drehe meinen Kopf zum Fenster und beobachte, wie die Landschaft unter mir immer deutlicher zu erkennen ist, währenddessen trommle ich nervös mit meinen Fingern auf meinen Oberschenkel. Beinahe ein Jahr ist es her, seit ich meinen Vater das letzte Mal gesehen hab. Ein Jahr kann eine ziemlich lange Zeit sein, in der sich, wie ich feststellen durfte ziemlich viel verändern kann. Ob er sich wohl verändert hat ?

Umso mehr das Flugzeug an Höhe verliert desto nervöser werde ich. Ich mache mir Sorgen, Sorgen die ich bei meiner Entscheidung zu meinen Vater zu ziehen, versucht habe zu verdrängen. Vorerst. Anscheinend ist nun der Zeitpunkt gekommen, an dem meine Sorgen an die Oberfläche kommen. Großartig.
Im Grunde genommen habe ich absolut keine Ahnung, wie ein Zusammenleben mit mir und Dad aussehen wird. Ich weiß nicht, ob wir uns auf Dauer verstehen werden und was mich erwartet. Die kurze Zeit die wir einmal im Jahr miteinander verbracht haben, kann ich nicht als sonderliches Zusammenleben betrachten. Das war Urlaub, keine Schule, keine Arbeit, eine Zeit ohne Stress und Terminen - kein Alltag. Aber gleichzeitig ist da auch diese ungeheuere Freude meinen Vater endlich wieder zu sehen. Ich bin neugierig ihn und meine alte Heimat kennenzulernen, ich möchte herausfinden woher ich komme und was es mit meiner Vergangenheit auf sich hat. Das Anschnallsignal über mir blinkt auf, mein Zeichen mir meine Jacke überzuziehen und mich anzuschnallen. Wenige Minuten später kann ich bereits den Seattle International Airport ausmachen und das Flugzeug setzt zur Landung an. Zu einer holprigen Landung um genau zu sein.

Heilfroh gut angekommen zu sein und wieder festen Boden unter meinen Füßen zu haben, schnappe ich mir meine Handtasche vom Platz und bahne mir einen Weg zum Ausgang des Flugzeuges, was in Anbetracht der vielen Passagiere gar nicht so leicht ist. Desto erleichterter bin ich, als ich es aus dem Flugzeug geschafft habe und bloß nur von zwei Kindern angerempelt wurde. Auf dem Weg zum Gepäckband besorge ich mir noch schnell einen Kaffee, der darf bei mir am Morgen auf keinen Fall fehlen, ansonsten bin ich nicht zu gebrauchen. Der Vorteil an einem heißen Becher voller Kaffee ist, dass einem die Leute am Gepäckband - ganz gegensätzlich zu ihrer sonst eher rücksichtslosen Verhaltensweise - freiwillig Platz machen, um bloß keinen heißen Kaffe auf sich verschüttet zu kriegen. Mit einem zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht halte ich Ausschau nach meinem Koffer und genieße gleichzeitig die Sonnenstrahlen, welche durch das riesige Glasdach über mir auf mein Gesicht scheinen. Zu meiner Überraschung regnet es nicht, wie ich erwartet hatte. Ein dunkelgrüner Koffer taucht auf dem Gepäckband auf. Ich warte geduldig, bis er bei mir angekommen ist, ehe ich ihn energisch vom Gepäckband ziehe und dabei beinahe meinen Kaffee verschütte, zu meinem Glück scheint es das Schicksal heute ausnahmsweise Mal gut mit mir zu meinen. Meinen Koffer hinter mich herziehend laufe ich in Richtung der Ausgänge, wo ich und Dad vereinbart haben uns zu treffen. Dort angekommen suche ich den Bereich nach ihm ab, kann ihn zwischen all den hektischen Menschen allerdings nirgendwo sehen. Genervt ziehe ich meine Stirn kraus und krame in meiner Tasche suchend nach meinem Handy, bevor ich es allerdings finden kann höre ich hinter mir eine tiefe, warme Stimme meinen Namen rufen. Diese Stimme würde ich selbst unter Hunderten wieder erkennen, zu sehr habe ich sie mir in den letzten Jahren bei etlichen Telefonaten eingeprägt.
,,Farrah, hier hinten !" Mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht drehe ich mich um und entdecke meinen Vater. Er hält ein Schild in seinen Händen, auf welchem in großen, schwarzen Buchstaben mein Name geschriebene steht, bei dem Anblick muss ich leicht meinen Kopf schütteln und gebe ein kichern von mir.
,,Falls du mich nicht mehr erkennst.", erklärt mir Dad als Antwort auf mein kichern und zieht mich in eine Umarmung. Ungeschickt erwidere ich seine Umarmung, darauf bedacht ihn nicht meinen Kaffee über den Rücken zu schütten. Als wir uns voneinander lösen mustere ich ihn. Rein äußerlich scheint er sich kaum verändert zu haben, abgesehen von einigen grauen Haarsträhnen, die zu seinem dunkelbraunen Haar dazu gekommen sind.
,,Keine Sorge, ich würde dich immer erkennen - selbst mit grauem Haar auf dem Kopf.", necke ich ihn und versuche mir mein Grinsen zu verkneifen. ,,Soll das etwa eine Andeutung sein ?", fragt er mit einem belustigten Unterton. Lässig zucke ich mit meinen Schultern. ,,Vielleicht."
Grübchen bilden sich auf seinem Gesicht.
,,Vorsicht junge Dame. Deine Füße sind nun unter meinem Tisch."
Ich ziehe meine Augenbrauen hoch. ,,Tja, dann werde ich sie wohl auf deinen Tisch legen."
Ein kehliges Lachen entkommt ihm. ,,Du hast mir gefehlt Kleines. Schön das du endlich wieder da bist."

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Hallo ihr lieben
Hier nun mein 2. Kapitel zu der Story.
Was haltet ihr bisher von der Story und den Charakteren ?
Ich würde mich sehr über eure Antworten und Kommentare freuen,
Eure Rylee ❣️

Stay WildWo Geschichten leben. Entdecke jetzt