Kapitel 1 - Sechzehn Jahre

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„Ro!"

Amber packte mich grob am Arm. Der Griff meines Beautycases entglitt mir und das Ding knallte mir auf die Füße. Ich keuchte. Wenigstens war es nicht die Rolltreppe runtergepurzelt. „Oh mein Gott, das kann nicht sein!", hechelte sie und verstärkte den Druck an meinem armen Arm. Wir stiegen auf, die Stufen schnurrten zusammen wie eine Ziehharmonika und glitten wie durch Zauberhand unter den Boden des Bahnhofs. Ich stolperte von der Rolltreppe. Kiley schob uns von hinten aus dem Einlaufbereich der Rolltreppe, die Räder unserer Trollis ratterten auf dem tief gefurchten Aluminiumboden. „Was?", zischte sie. Amber zog uns hastig hinter eine Lidfaßsäule mit bunt besprayten Werbepostern.

„ER!" Sie fuchtelte wild mit den Händen, die Augen weit aufgerissen. „Er ist-...das ist...."

Kiley runzelte böse die Stirn. „Na spuck's schon aus!"

Mit einer finalen Geste sackten Ambers Schultern zusammen, während sie wie ein platzender Ballon die angestaute Luft austieß.

„Blue Fire!"

Plötzlich schienen ihre moosgrünen Augen die Farbe zu wechseln, wie verwaschene Wassermalfarben verliefen die Übergänge, zwischen ihren Wimpern öffnete sich die Weite des Himmels.
Azurblaue Augen.

Mit einem Schlag waren alle Geräusche verstummt. Die Gesetze der Zeit hielten die Zeiger an. Im meinem Kopf regnete es, in Wellen brandete das Blut in meinen Ohren, und ich griff nach Worten.

Bis zum nächsten Mal, Robyn. Wir sehen uns."

Und dann war der Moment vorbei.

Ambers Augen waren wieder grün, wie sie es schon immer gewesen waren. Ein Kinderellenbogen bohrte sich zwischen meine Rippen, als sich eine Großfamilie an uns vorbeischlängelte. Die Stimme war verschwunden. Ich griff mir an den Kopf.

„Es ist unglaublich, wie wenig er sich verändert hat, oder?", meinte Amber. Sie und Kiley starrten auf einen Punkt weit hinter mir, als wäre ich ein Busch, der ihnen im Weg stand. Ich versuchte, das plötzliche Chaos in meinen Gehirnwindungen in eine unverfänglichere Richtung zu schieben und drehte mich um.

Inmitten des Knäuels aus menschlichen Gebeinen, das sich an Bahnhöfen unweigerlich bildet, stand ein Junge.

Er fiel mir nicht wegen des kurzen Shirts auf, das er trug, obwohl es Winter war. Ich meine, jedes andere menschliche Wesen trägt zu dieser Zeit eine Jacke. Oder wenigstens einen Pulli.

Auch nicht die Tatsache, dass er nicht wie alle anderen gehetzt etwas auf Rollen hinter sich herzog, sondern absolut regungslos an der grafitiverschmierten Bahnhofswand lehnte, lenkte meinen Blick innerhalb eines Wimpernschlages einer Eintagsfliege auf ihn.

Kiley räusperte sich. „Er sieht verdammt noch mal noch besser aus als früher. Falls das möglich ist."

Unmöglich.

Unmöglich, es in Worte zu fassen, warum ich ihn unter tausenden von Jungs erkennen würde. Unter Millionen. Milliarden.

Und jetzt stand er da.

Warum stand er da, verflucht nochmal?!

Ich musste den Jungen an der Bahnhofswand ununterbrochen angestarrt haben, denn Kiley stieß mich an und zischte: „Herrgott, Ro, starr ihn nicht so an. Er ist kein T-Rex!"

„Aber schon so was ähnliches", murmelte Amber, „Schau ihn dir doch nur mal an! Kann er sich nicht einfach wie ein normaler Mensch anziehen??"

„Natürlich nicht. Das Shirt ist viel zu cool für eine Jacke darüber."

„Und die Haare? Die Schuhe?! Wie er dasteht? Wie ein Panther."

Kiley runzelte die Stirn. „So war er schon immer, Amber."

Schon immer.

Ha.

Als würden wir Blue kennen. Als hätten wir ihn nicht seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen. Als wäre er vorhersehbar.

Ich schluckte. „Unser Bus, Mädels. Der Bus fährt weg."

Als wäre es so spannend, Blue Fire zu treffen.

Ha.

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⏰ Last updated: Feb 18, 2019 ⏰

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