#1.1

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Zuerst dachten wir uns nichts dabei, haben wir uns doch im Club schon oft verloren. Als dann jedoch die Sprachmemo kam - wobei uns der Standort skeptischer machte, verließen wir den Club, um sie anhören zu können. Ich starre mein Handy an. Drücke wieder auf Wiedergabe und wünsche mir gleichzeitig, dass das alles nur ein schrecklicher Albtraum ist. Ihre Stimme, sie erinnert mich an einen dieser Abende, an denen wir komplett verschallert im Wohnzimmer lagen und nicht einmal mehr sagen konnten, in welchem Zimmer wir eigentlich liegen, weil uns die Drogen so sehr zu Kopf gestiegen waren. 

Es fühlt sich an, als würde sich die Welt ohne mich weiterdrehen. Als würde alles um mich herum weiterlaufen. Kennt ihr diese Szenen in Filmen, wenn die Menschen um den Protagonisten herum im Zeitraffer abgespielt werden, während er sich selbst in normaler Geschwindigkeit bewegt. So fühlt es sich an, doch mein Handy beweist mir, dass nicht einmal eine Minute vergangen ist. 

Am Rande bekomme ich mit, wie irgendjemand Initiative ergreift und das tut, von dem wir dachten, wir würden es nie freiwillig tun. Die Polizei rufen. Wir verlassen den Club, jeder von uns in sich gekehrt, jeder versucht die Panik nicht zu zeigen, doch insgeheim ist es uns allen klar. Der Standort ist wenige Minuten vom Club weg und angeblich soll dort ein Streifenwagen auf uns warten. Wäre die Situation nicht so Ernst, ich glaube wir würden lachen. Das wir die Polizei rufen. Freiwillig. 

Es fühlt sich an, wie im Zeitraffer und ohne dass ich es wirklich wahrnehme, stehen wir in einer Wohnung. Einem Zimmer. Eine Starre liegt über meinem Körper, mein Blick haftet auf dem Typ, der von einem der Polizisten abgeführt wird, während der Andere einen Krankenwagen alarmiert. Mechanisch. Meine Bewegungen fühlen sich mechanisch an. 

Ich weiß nicht, was richtig ist, in einer solchen Situation, doch ich habe einfach nur das Bedürfnis, sie zu bedecken. Diesen blassen Körper zu bedecken, statt ihn noch länger entblößt dort liegen zu lassen. Ich ziehe meinen Hoodie über meinen Kopf, ignoriere, dass er mir damit wahrscheinlich die Frisur ruiniert und trete näher zu dem Bett. Ich will nicht genauer hinschauen, will ihr einfach nur den letzten Schutz wiedergeben, der ihr hier genommen wurde. 

"Was...?", fragt Daniel verwirrt, doch als er meine kläglichen Versuche bemerkt, ihr den Pulli anzuziehen, hilft er mir. Es fühlt sich an, als würde man eine Puppe anziehen. Ihre Lider, sie flackern. 

"Finn", murmelt sie leise und ihre Hand hebt sich einmal kurz, sinkt dann aber wieder kraftlos zurück auf die Matratze. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Daniel sich bückt und wenige Sekunden später ihr Handy in der Hand hält. 

"Ist okay...", flüstere ich und habe das Bedürfnis sie festzuhalten, zu umarmen, abzuschirmen von alldem, was geschehen ist. 

"Bleibst du hier?" Die Worte scheinen ihre letzte Kraft zu kosten, das merkt man daran, wie schwach sie über ihre Lippen kommen. 

"Natürlich." Ich weiß nicht, ob sie es noch gehört hat, als sie wieder kraftlos zurück sinkt. 

Als der Krankenwagen eintrifft, geht alles viel zu schnell. Oder zu langsam, ich weiß es nicht. Wir stehen da und wissen nicht, was wir tun sollen. Irgendeiner bestimmt, dass ich mitfahren soll, weil das anscheinend nur einer darf und so kommt es, dass mir dort ein Platz zugewiesen wird. Die Fragen, die mir gestellt werden. Ich begreife zuerst nicht, dass sie an mich gerichtet sind, ist meine ganze Aufmerksamkeit doch auf dieses leblose Gesicht gerichtet, dass vor kurzer Zeit noch lachend an der Bar stand und sich Wodka Bull geholt hat. Immer wieder flattern ihre Lider und ein leises, klagendes Seufzen kommt über ihre Lippen. Ich bemühe mich, die Formalitäten zu beantworten, doch zögere, als die Fragen sich ausweiten. 

"Hey? Hast du die Frage verstanden?" Ich bewundere den Sanitäter, dass er die Ruhe mitbringt und mir die Fragen mehrmals stellt, wenn ich mit den Gedanken komplett woanders bin. Dich dieses Mal habe ich die Frage verstanden. Drogen. Und mein Kopf kreist sich, kreist sich um all die Leute, die schon Probleme mit der Polizei hatten, all die Dealer, die aufgeflogen sind und das Risiko, dass wir auf uns nehmen. 

"Ja... Ja...", ich zögere, rechne zurück und die Gedanken rattern in meinem Kopf. 

"Und?"

"Alkohol und Zigaretten...", ich zögere und ich glaube das Zögern verrät mich. 

"Es gibt so etwas wie Schweigepflicht. Das greift auch hier. Ich frage nicht, um euch die Polizei auf den Hals zu hetzen, sondern um Überraschungen zu vermeiden. Wir wissen nicht, was der Typ deiner Freundin gegeben hat. Und wenn wir immerhin wissen, was für Substanzen sonst noch in ihrem Blut sein können, können wir Wirkungen der Mischung erwarten." Mir ist das alles klar. Und doch will ich es nicht glauben, doch die Sorge ist zu groß.

"Gras. Öfters. Aber heute nur Alkohol und Zigaretten." Ich will ihnen nichts von Emma und Paul sagen. Das Vertrauen ist nicht da, jetzt erst Recht nicht, wo die Polizei bereits in den Fall involviert ist. Aber in letzter Zeit war es wirklich nur Gras. Wirklich nur.

Und mein Blick, mein Blick ruht auf den flatternden Lidern und das leichte Zucken in ihren Fingern.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 19, 2019 ⏰

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